Podcast KN:IX talks

Folge #14 | Miteinander statt gegeneinander im Kampf gegen Antisemitismus

In der vierzehnten Folge von KN:IX talks haben wir mit Saba-Nur Cheema und Derviş Hızarcı über islamisierten Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus und die Islamismusprävention gesprochen. Wieso ist es schwierig, von einem muslimischen oder islamischen Antisemitismus zu sprechen? Wie nutzen islamistische Gruppen Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus für sich und welche Tipps haben unsere Expert*innen für die praktische Arbeit?

 

Im Podcast zu Gast

Saba-Nur Cheema ist Politikwissenschaftlerin und forscht an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main zu Antisemitismus in pädagogischen Kontexten. Von 2015-2021 war sie Pädagogische Leiterin der Bildungsstätte Anne Frank. Sie ist Mitglied im Expertenkreis Muslimfeindlichkeit, der nach den Anschlägen in Hanau 2020 von der Bundesregierung einberufen wurde. Im Oktober diesen Jahres erschien der Sammelband „Frenemies. Antisemitismus, Rassismus und ihre Kritiker*innen“ (Verbrecher Verlag), den sie gemeinsam mit Meron Mendel und Sina Arnold herausgegeben hat.

Derviş Hızarcı arbeitete nach seinem Lehramtsstudium in Berlin-Kreuzberg. Von August 2019 bis September 2020 war er Antidiskriminierungsbeauftragter der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Hızarcı sitzt im Beratungskreis des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein. Er engagiert sich in der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA e. V.), die er seit 2015 als Vorstandsvorsitzender leitet. Zudem ist er Vorstandsvorsitzender der BAG RelEx. 2021 wurde ihm die Verdienstmedaille der Bundesrepublik Deutschland für Engagement in der Einwanderungsgesellschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verliehen.

Transkript zur Folge

(O-Töne, Musik im Hintergrund)

Saba-Nur Cheema: Da wünsche ich mir selbstverständlich auch eine Sprache, die eben nicht pauschalisierend ist. Da finde ich, tun wir uns keinen Gefallen, wenn wir eine Gruppe, und zwar Muslime, die ohnehin mit vielen Zuschreibungen ihren Alltag zu bewältigen haben, dass sozusagen noch eine weitere Zuschreibung dazukommt, und zwar antisemitisch zu sein.

 

Derviş Hızarcı: Wir haben viele Fälle gehabt, wo uns Schülerinnen und Schüler vermittelt haben, dass sie nicht verstehen, was jetzt stattfindet. Dass die pädagogische Maßnahme als eine Art Bestrafung kommuniziert wird und auch als solche sich anfühlt. Und so bekämpft man Antisemitismus nicht.

 

(Musik im Hintergrund)

Charlotte Leikert (Intro KN:IX talks): Herzlich Willkommen zu KN:IX talks, dem Podcast zu aktuellen Themen der Islamismusprävention. Bei KN:IX talks sprechen wir über das, was die Präventions- und Distanzierungsarbeit in Deutschland und international beschäftigt. Für alle, die im Feld arbeiten oder immer schon mehr dazu erfahren wollten: Islamismus, Prävention, Demokratieförderung und politische Bildung. Klingt interessant? Dann bleiben Sie jetzt dran und abonnieren Sie unseren Kanal. KN:IX talks – überall da, wo es Podcasts gibt.

 

(Musik im Hintergrund)

Charlotte Leikert (KN:IX): Hallo und herzlich willkommen zur vierzehnten Folge von KN:IX talks, schön, dass Sie zuhören. Mein Name ist Charlotte Leikert

 

Ulrike Hoole (KN:IX): und mein Name ist Ulrike Hoole. Und gemeinsam sprechen wir heute über islamisierten Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus und Islamismusprävention. Dazu haben wir mit Saba-Nur Cheema und Derviş Hızarcı gesprochen, die sich beide seit 20 Jahren mit diesen Themen auseinandersetzen. Unter anderem geht es heute darum, warum es schwierig ist, von einem muslimischen oder islamischen Antisemitismus zu sprechen, wie islamistische Gruppen diese Themen für sich nutzen und welche Tipps Saba und Derviş für die praktische Arbeit haben.

Musik

Die Politikwissenschaftlerin Saba-Nur Cheema forscht an der Goethe Universität zu Antisemitismus in pädagogischen Kontexten. Zuvor war sie pädagogische Leiterin der Bildungsstätte Anne Frank. Sie ist Mitglied im Expertenkreis Muslimfeindlichkeit der Bundesregierung und Mitherausgeberin des Sammelbandes Frenemies. Antisemitismus, Rassismus und ihre Kritiker*innen, der kürzlich erschienen ist.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Derviş Hızarcı arbeitete als Lehrer in Berlin Kreuzberg. Er engagiert sich seit vielen Jahren in der Arbeit gegen Antisemitismus und sitzt unter anderem im Beratungskreis des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und im Kampf gegen Antisemitismus. Aktuell ist er Vorstandsvorsitzender der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus und der BAG RelEx.

 

Musik

Ulrike Hoole (KN:IX): In medialen Debatten häufig im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt steht Antisemitismus in muslimischen Communities in Deutschland besonders im Fokus. Wenn man diese Debatten verfolgt, kann man fast meinen, dass Antisemitismus nur in diesem Kontext existiert.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Dabei beschränkt sich Antisemitismus nicht nur auf spezifische Gruppen, man findet ihn in seinen unterschiedlichen Ausprägungen überall in der Mehrheitsgesellschaft. Deshalb ist es in der praktischen Arbeit zu Antisemitismus auch wichtig, sich alle unterschiedlichen Facetten anzugucken. Für die einen von Ihnen mag es ganz offensichtlich erscheinen, wieso wir hier im Podcast zu Islamismusprävention über Antisemitismus sprechen und andere von Ihnen werden jetzt wahrscheinlich ein Fragezeichen in den Augen haben. Keine Sorge, wieso das Thema wichtig ist, haben wir auch unsere beiden Expert*innen gefragt.

 

Saba-Nur Cheema: Eine ganzheitliche Islamismusprävention oder Auseinandersetzung mit Islamismus geht gar nicht an dem Thema Antisemitismus vorbei. Weil Antisemitismus, Antizionismus auch, sind ganz wesentliche Bestandteile in der islamistischen Ideologie. Und ich beziehe mich jetzt vor allem auf den Islamismus, der sozusagen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sich irgendwie ideologisch erst mal überhaupt definiert hat, verbreitet hat. Nicht nur eben ja in Ländern, wo die Gesellschaften vornehmlich islamisch geprägt sind, sondern eben auch in Europa, im Zuge der Migrationsbewegungen. Und da sozusagen setzt man sich einfach mit den ideologischen irgendwie Schriften auseinander oder auch irgendwie mit ganz entscheidenden Persönlichkeiten, also Sayyid Qutb oder Maudūdī und so weiter und so fort. Dann stellt man schnell fest, man kommt an dem Thema überhaupt nicht dran vorbei. Also sozusagen Juden als Feindbild und dann eben nach 1948, nach der Staatsgründung Israels auch noch, das Feindbild wurde dann erweitert mit Israel. Das gehört im Prinzip zum Islamismus dazu und muss daher mit thematisiert werden.

 

Derviş Hızarcı: Ich denke, dass zivilgesellschaftliche Organisationen, die vor allem in Deutschland arbeiten, grundsätzlich sich auch mit dem Phänomen Antisemitismus auseinandersetzen sollten aus unterschiedlichsten Gründen. Weil Antisemitismus ein Problem ist in Deutschland auch noch mit ganz besonderen historischen Bezügen, aus der man für die Arbeit, für das Leben in dieser Gesellschaft auch Positionen, Haltungen heraus leiten und entwickeln kann. Und speziell im Bereich der Islamismusprävention oder im Bekämpfen von religiös begründetem Extremismus ist das wichtig, dass man mit versteht, dass Antisemitismus ein Bestandteil bis hin zu einer Kernideologie ist. Was dazu führt, dass Menschen mit und über Antisemitismus angezogen werden. Es hat eine gewisse Attraktion in Form von Verschwörung.

 

Musik

Ulrike Hoole (KN:IX): Genau wie bei allen anderen gesellschaftlichen Themen spielt auch bei Antisemitismus der Kontext und die öffentliche Debatte eine Rolle. Und auch Präventionsarbeit findet eben nicht im luftleeren Raum statt. Die öffentlichen Debatten haben auch eine Auswirkung auf die praktische Arbeit unserer Kolleg*innen und wenn es um Antisemitismus geht, kann es schon mal sein, dass es etwas komplizierter wird.

In medialen Debatten wird ja immer wieder über einen spezifisch muslimischen oder islamischen Antisemitismus gesprochen oder auch über einen besonderen Antisemitismus unter Muslim*innen. Wenn man jetzt von christlichem Antisemitismus spricht, dann bezieht man sich ja sehr stark auf theologische Narrative. Was ist es denn, was einen mit einem spezifisch muslimischen oder islamischen Antisemitismus gemeint ist?

 

Derviş Hızarcı: Wenn man vom christlichen Antisemitismus spricht, vor allem auch aus der Vergangenheit, wenn man es mit dem Begriff Antijudaismus versucht zu fassen, dann spricht man ganz klar von einem Antisemitismus oder einem Judenhass, was sich aus der Religion herleitet. Was ihren Ursprung in der religiösen Auffassung hat, was die Ausdrucksform, auch in Vorstellungen von wie man zu glauben hat und was man als Glaubensgemeinschaft ist und wovon man sich abzugrenzen hat etc. Und es hat eine sehr lange Historie, wir reden von Jahrtausenden. Und im Vergleich nun ist der sogenannte islamische Antisemitismus, islamisierte Antisemitismus würde ich, wenn mit diesem Begriff überhaupt gearbeitet werden soll, das verwenden, oder vom sogenannten muslimischen Antisemitismus. Da ist einmal der historische Bezug, die historische Dauer eine andere. Und gleichzeitig leiten sich diese Einstellungen gegenüber Jüdinnen und Juden nicht primär und unmittelbar aus der Religion heraus. Und da gibt es ganz klare Unterscheidungen, und insofern ist der islamische oder der muslimische Antisemitismus nicht das gleiche in grün im Vergleich zum christlichen Antisemitismus, zum Antijudaismus. Der Judenhass dort wird, wenn überhaupt, irgendwie zusätzlich religiös angereichert, damit man größere Gruppen erreicht, auch eine andere Legitimationsgrundlage schafft für diese Argumentation. Aber da gibt es eigentlich wenig Unterschiede zum Antisemitismus, den wir auch in Deutschland in diesen unterschiedlichen Erscheinungsformen seit Jahrzehnten und eigentlich auch schon seit über einem Jahrhundert kennen. Da muss man genau differenzieren.

 

Musik 

Ulrike Hoole (KN:IX): Wenn Sie mehr zu christlichem Antisemitismus erfahren möchten, hören Sie sich gerne die KN:IX talks Folge dreizehn unserer Kolleginnen von Violence Prevention Network an, die sich diesem Thema widmet.

 

Musik

Charlotte Leikert (KN:IX): Islamischer, muslimischer oder islamisierte Antisemitismus, das Kind hat viele Namen und alle bringen ihre ganz eigenen Assoziationen mit. Aber was genau ist damit gemeint, wenn man über Antisemitismus unter Muslim*innen spricht? Und wieso eignet sich der eine Begriff eigentlich besser als der andere?

 

Saba-Nur Cheema: Also mit islamisiert wird ja vor allem das Anpassen in Bezug auf die Semantik gemeint. Also es ist eine islamistische Semantik dazu gekommen beim Antisemitismus in arabischen Staaten, islamisch geprägten Gesellschaften und deshalb sprechen wir von islamisiert. Wenn wir über Antisemitismus sprechen unter Muslimen, ganz wichtig zu verstehen, dass diese Form von Antisemitismus erst mal, so sagen es Klaus Holz und Michael Kiefer in einem sehr, sehr spannenden Text, eine Variation des europäischen Antisemitismus ist [der Artikel ist unter weiterführende Informationen verfügbar, Anm. d. Red.]. Was heißt das eigentlich? Das heißt, es gibt Antisemitismus, es gibt diese klassischen Stereotype, wie zum Beispiel der reiche Jude, die Weltverschwörung hinter den Kulissen, die Strippenzieher sind alles immer nur Juden, Juden sind hinterhältig etc. und so weiter und so fort. Diese ganzen Stereotype, die gehören, das sind klassische Stereotype von Antisemitismus, und die finden sich in irgendeiner Form modifiziert und angepasst in islamisch geprägten Gesellschaften oder unter Muslimen. So ungefähr, das heißt dieser Ausdruck eine Variation des europäischen Antisemitismus. Heißt zum Beispiel auch, dass dieser sekundäre Antisemitismus, den wir hier vor allem ganz spezifisch deutsch erst mal definieren, weil, was heißt sekundärer Antisemitismus? Es gibt keinen primären und sekundären, sondern sekundär heißt nach [19]45, also nach dem Holocaust. Das ist eine ganz spezifische Form von Antisemitismus, die sich auf den Holocaust bezieht und so was sagt wie Juden würden ihre Vorteile ziehen aus dem Holocaust oder sozusagen nach dieser Formel von Zvi Rex: nicht trotz, sondern wegen Auschwitz. Sozusagen, es gibt so eine Täter-Opfer-Umkehr damit. Also da stecken viele Narrative drin in diesen sekundären Antisemitismus: „Aber wir sind jetzt die Opfer, wir, die Deutschen und Juden, beschuldigen uns“ und so weiter und so fort. Also da steckt viel mit drin. Aber was ich sagen will: Auch diese Form von Antisemitismus, dieser sekundäre Antisemitismus, den finde ich auch im arabischsprachigen Raum, zum Beispiel. Auch da gibt es genau dieses Narrativ, die Juden würden Vorteile aus ihrer Vergangenheit ziehen. Damals waren sie die Opfer, vielleicht, stimmt ja, oder sie übertreiben auch ein bisschen; Es kommt immer drauf an. Es gibt bestimmte Karikaturen, die, die das dann so darstellen: Vielleicht ist auch alles nur erfunden der Holocaust, die Lüge, also Auschwitzlüge und so weiter. Da kommen auch solche, die wir als rechtsextreme Erzählungen hier kennen, die finden sich auch dort wieder. Und aber entscheidend ist der Aspekt zu sagen damals waren sie Opfer und heute sind sie aber Täter. Heute in Bezug auf den Nahostkonflikt. Heißt also das alles sind diese Formen, die man islamisierte Antisemitismus nennt. Das heißt eigentlich genuin europäisch so, aber, weil hier der Antisemitismus in Europa entstanden ist und dann angepasst worden ist.

 

Musik

Charlotte Leikert (KN:IX): Wenn sie mehr zu islamisiertem Antisemitismus und seiner Entstehungsgeschichte lesen möchten. Wir haben dazu im Rahmen von KN:IX eine Analyse veröffentlicht. Den Link finden Sie in den Shownotes.

 

Musik

Saba-Nur Cheema: Ich würde nicht von muslimischem Antisemitismus sprechen, ich sehe da einen Unterschied schon zu den anderen Begrifflichkeiten. Weil dieser Ausdruck für mich sehr stark suggeriert Muslime, das liegt so in der DNA, die die sind, die können potenziell immer antisemitisch sein, weil sie muslimisch sind. Und deshalb vermeide ich den Ausdruck auf jeden Fall. Islamistische Formen von Antisemitismus beziehen sich dann vor allem auf islamistische Bewegungen. Ich bevorzuge tatsächlich, über Antisemitismus und Ausdrucksformen in muslimischen, migrantischen Milieus zu sprechen.

 

Ulrike Hoole (KN:IX): Und was ist eigentlich davon zu halten, wenn Menschen in Deutschland von einem importierten Antisemitismus sprechen?

 

Saba-Nur Cheema: Ich ärgere mich immer wieder darüber, je öfter ich das lese. Und ich muss auch sagen, das ist ja überhaupt nicht verschwunden, auch wenn es ordentliche und gute Kritik auch gegeben hat. Also einfach importiert, also niemand ist hier importiert, es werden keine Menschen hier importiert. Und wenn überhaupt, wenn man den Antisemitismus und die Feindbilder und das, was ich vorhin erwähnt habe, wenn man das erklären will, dann ist erst mal der Antisemitismus als Import aus Europa in vielen anderen Ländern und Staaten erst mal angekommen. Das heißt, wenn, dann ist es ein Re-Import in Europa. Aber das finde ich schräg.

Musik

Ich habe jetzt in der Auseinandersetzung mit Antisemitismus, mit aktuellen Formen von israelbezogenen Antisemitismus, habe ich doch das Gefühl, dass dieser Ausdruck von islamisiertem Antisemitismus ein bisschen zu kurz greift. In den letzten 20 Jahren ist so eine Islamisierung des Nahostkonflikts zu beobachten, wo die Auseinandersetzungen dort, die grundlegenden Konfliktlinien und so weiter und so fort, immer mehr theologisch interpretiert werden oder auch belegt werden: Also das ist sozusagen nachzulesen im Koran oder sonst wo und so weiter. Das sind vor allem islamistische Gruppen, die solche Narrative bedienen und die diese Feindschaft gegen Juden fast nur noch theologisch definieren. Und da würde ich sagen, dafür greift dann dieser Ausdruck dann nicht mehr so ganz, wenn wir sagen, es ist eigentlich alles Europa und es wurde angepasst. Ich sehe da eigentlich ganz neue Elemente. Na ja, die spielen immer mit diesen klassischen Stereotypen, das stimmt. Deshalb kann man auch sagen, es ist nicht komplett verkehrt. Aber ich muss schon sagen, das ist was dezidiert Eigenes, was neu ist, was eigentlich zu beobachten ist, wenn es eben vor allem um Israel und Nahostkonflikt geht. Ich würde sagen und einfach in der Auseinandersetzung jetzt in den vergangenen Jahren, sich gerade in diesen neueren islamistischen Bewegungen, die überhaupt nicht jetzt irgendwie militaristisch irgendwie aufgestellt sind und so weiter. Sondern wir sprechen von deutsch-islamistischen Gruppen, die vor allem soziale Medien nutzen für ihre Zwecke und da würde ich schon sagen, das ist für mich tatsächlich etwas, was ich in den älteren Dokumenten nicht in dieser Form auffinden. Also so ein YouTube Video, was ich vor einiger Zeit schon gesehen hatte, Lorans Yusuf zum Beispiel ist so ein islamistischer Kanal, der auf einmal von so einer Prophezeiung von Allah spricht: Juden würden zweimal bestraft werden und das zweite Mal ist, dass sie vertrieben, dass sie aus Israel vertrieben werden, wahrscheinlich. Also es gibt so eine religiöse Deutung des Nahostkonflikts, die es in dieser Form, in dieser Deutlichkeit gar nicht so gegeben hat, dass man sozusagen aktuelle Auseinandersetzungen darauf bezieht, irgendwie. Also ich denke, dieses Video ist nach den Eskalationen im Mai 2021 entstanden und das klingt dann so: genau, das sind Prophezeiungen, oh das hat man vorhergesehen, dass das passieren wird, oh okay. Und das würde ich sagen, sind schon neuere Entwicklungen, aber jetzt gar nicht seit gestern oder Mai 2021, sondern schon bestimmt seit 20 Jahren.

 

Musik

Charlotte Leikert (KN:IX): Warum aber wird oftmals ein spezifisch muslimischer Antisemitismus separat angesprochen und was schwingt da häufig mit, bewusst oder unbewusst?

 

Derviş Hızarcı: Und man muss eigentlich auch schauen wer benennt diesen Antisemitismus wie und was liegt dieser Benennung zugrunde? Man muss eigentlich ganz klar unterscheiden: Geht es hier darum, das inhaltlich zu erfassen, um danach Strategien dagegen zu entwickeln? Oder ist es eher ein Thema, was man gerne nutzt, um eine bereits marginalisierte Gruppe, und zwar die der Muslime in Deutschland, auch noch über dieses Thema weiterhin zu stigmatisieren oder antimuslimischen Rassismus zu propagieren? Also Antisemitismus hat definitiv auch immer politische Funktionen in Gesellschaften. Und diese Komponente müsste man hier meiner Meinung nach auch immer im Blick haben. Wichtig ist mir eigentlich zu differenzieren, auch in der Qualität der Ausdrucks- und Erscheinungsform des Antisemitismus im Kontext von Antisemitismus bei Muslimen: Nennen wir diesen Antisemitismus muslimischen Antisemitismus, weil er von Muslimen geäußert wird, oder nennen wir ihn muslimischen beziehungsweise islamischen Antisemitismus, weil er aus einer religiös begründeten glaubensbezogenen Einstellung heraus geäußert wird. Und auch da muss differenziert werden. Denn wenn in einer Schulklasse, und diese Debatten hatten wir in Deutschland fast zwei Jahrzehnte lang im Kontext von Antisemitismus, zum Beispiel im Schulhof etc., wenn Kinder und Jugendliche du Jude als Schimpfwort benutzen. Und wo ist der Unterschied, wenn es ein 12-jähriger Herkunftsdeutscher, mit vielleicht christlichen Bezügen, ein Tobias sagt? Oder wenn es ein Gleichaltriger in der gleichen Klasse zwei Bänke vor ihm sitzender Ibrahim sagt? Ist das dann ein christlicher Antisemitismus, ist das ein muslimischer Antisemitismus, je nachdem, wer ihn äußert? Und da muss differenziert werden, und das wird halt auch nicht getan. Deshalb die Info vorhin, dass man aufpassen muss, wer benennt den Antisemitismus, wie und aus welcher Motivation heraus, mit guten Absichten oder mit weniger guten Absichten? Und wenn man das versucht festzustellen, dann kommt man schnell auf irgendeinen Weg. Natürlich mit der Warnung, man sollte auch nicht zu schnell jemanden verurteilen, diese Person äußert diese Benennung ja nur, um Muslime fertig zu machen, also das ist ein Rassist. Davon halte ich nicht viel. Man kann sehr fair und möglichst unterscheidend sich genau das angucken und eigentlich auch erkennen, worum es geht.

 

Ulrike Hoole (KN:IX): Diese Debatten über einen spezifisch muslimischen Antisemitismus bleiben natürlich auch nicht ohne Wirkung. Jugendliche, besonders als muslimisch wahrgenommene Jugendliche, werden natürlich von diesen Debatten beeinflusst, die auch einen diskriminierenden Effekt haben können.

 

Derviş Hızarcı: Noch bevor ich beantworte, wie es bei muslimisch gelesenen Menschen ankommt, müssen wir sagen, was es für eine Empfänglichkeit bei nichtmuslimischen Menschen in diesem Land hat. Das ist ja das Interessante, dass wenn wir Antisemitismus bei Muslimen erleben, dass es dafür eine andere Aufmerksamkeit in Deutschland gibt, als es die im rechten Spektrum gibt oder im linken Milieu oder in anderen Bereichen. Und wenn es da diese Qualitätsunterschiede und Quantitätsunterschiede gibt, dann müssen wir uns fragen: Warum ist das so? Und zurück auf deiner Frage. Die allermeisten jungen Menschen verstehen das nicht. Sie können auch politische Debatten und gesellschaftliche Debatten und Diskurse nicht verstehen, verfolgen, einordnen und sich dazu auch positionieren. Das heißt, in der Schule müssten sie eigentlich genau das auch lernen. Wenn aber in der Schule Lehrer*innen, die Medien konsumieren, die es schaffen, diese Debatten zu verfolgen, zu verstehen und einzuordnen, aber in einer bestimmten Prägung und in einer bestimmten Unverhältnismäßigkeit das erleben, dann setzt sich eine falsche Grundsituation fest. Wenn wir sagen, wir haben Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen, und das ist ein Problem, das macht uns Sorgen, dann ist das erst einmal kein Problem. In der Tat gibt es auch Antisemitismus unter jungen Muslimen. Wenn wir aber sagen „junge Muslime sind eigentlich per se antisemitisch“, wenn das die Grundvorstellungen ist, dann haben wir ein Problem, weil wir pauschal verallgemeinernd über eine sehr große, heterogene Gruppe ein Urteil formulieren.

 

Musik

Saba-Nur Cheema: Weil du auch von der Debatte gesprochen hast, das ist. Immer noch laufen die nicht gut und immer, wenn es in Nahost irgendwie eskaliert, ist klar, es gibt hier irgendwelche Ausschreitungen. Das kann man in Grafiken auch schon sehen: Auf einmal gibt es hier einen Anstieg, ja an antisemitischen Anschlägen, muss man auch ganz konkret sagen, darum geht es meistens. Was immer noch nicht funktioniert ist, dass wir darüber konkret sprechen können und sagen können: Das ist Antisemitismus, wenn zum Beispiel in Gelsenkirchen eine Gruppe von ja muslimisch markierter Jugendlicher vor einer Synagoge, vor einer deutschen Synagoge, irgendwie scheiß Israel und scheiß Juden schreien, so. Wir kriegen nicht hin, das ganz klar als antisemitisch zu benennen, ohne dass es auf einmal so eine, ja so eine Gegenreaktion gibt mit: „Jetzt hört doch immer auf, über den Antisemitismus von Muslimen zu sprechen, ihr seid doch selbst alle antisemitisch.“ Mit ihr ist die Mehrheitsgesellschaft gemeint. „Das ist nur eine Entlastungstrategie und das ist Rassismus, was ihr macht.“ Und diesen Reflex würde ich gerne kurz mal als ein Problem irgendwie markieren und sagen, unabhängig davon, was sie sagen, verunmöglich diese Reaktion  eine konstruktive, adäquate Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus unter Muslimen und verunmöglicht auch diese rassismussensibel zu führen. Also rassismussensibel würde bedeuten, nicht zu sagen alle Muslime, wie gesagt sind irgendwie Antisemiten oder sie neigen dazu und so weiter. Sondern einfach darauf zu gucken, mit wem haben wir es immer zu tun. Und andersherum, natürlich auch da würde ich sagen, die, die dann schnell, und es ist nicht nur die AfD – also die AfD würde sagen „antisemitische Muslime ausweisen“, so hieß ja auch ein Slogan als es, glaube ich, so Demonstration gab in Berlin im Zuge der Verlegung der US-Botschaft. Aber insgesamt, ne das „das größte Problem, dass die größten Antisemiten sind Muslime“, das kann auch irgendwie politisch von anderen Lagern kommen und auch in der Öffentlichkeit von anderen öffentlichen Person, die das dann so äußern. Da wünsche ich mir selbstverständlich auch eine Sprache, die eben nicht pauschalisierend ist, selbstverständlich. Also so, da finde ich, tun wir uns keinen Gefallen, wenn wir eine Gruppe, und zwar Muslime, die ohnehin mit vielen Zuschreibungen ihren Alltag hier zu bewältigen haben, da sozusagen noch eine weitere Zuschreibung dazukommt, und zwar eben antisemitisch zu sein. Und da braucht es selbstverständlich eine Auseinandersetzung, die das möglich macht.

 

Musik

Charlotte Leikert (KN:IX): Wie greifen islamistische Akteure nun dieses Thema, also Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus auf? Und warum verfängt das bei Jugendlichen mitunter so gut?

 

Saba-Nur Cheema: Wie islamistische Gruppen das aufgreifen? Das ist einfach sehr einfach, natürlich darauf einzugehen und diese Schieflage für sich zu übernehmen. Und zwar so etwas zu sagen wie „Klar, wenn es um Antisemitismus geht, sind wir immer die Bösen“ und so weiter und „Muslime werden sowieso nur die ganze Zeit rassistisch behandelt“ und so weiter und so fort. Ich meine, das ist ja so ein Narrativ: Muslime als Opfer in Deutschland, in Europa, auf der Welt oder im Westen. Das ist etwas, das ist ein Kernelement eigentlich in islamistischen Gruppen oder in ihren Botschaften. Das ist etwas, was wir ständig sehen. Es gibt das Video von der Gruppe Generation Islam, das nennt sich der ewige Moslem, also rekurriert einmal auf den nationalsozialistischen Propagandafilm von 1940 Der ewige Jude, und der ewige Moslem wäre sozusagen der neue Jude. Anders gesagt Muslime sind die neuen Juden, in so einer ganz einfachen Sprache. Und ich finde, da wird ganz deutlich noch mal so eine Opfer-Konkurrenz aufgemacht. Also da geht es gar nicht nur darum, Muslime sind antisemitisch, sondern es geht um was anderes. Es geht darum zu sagen: „Muslime sind eigentlich Opfer in dieser Gesellschaft und Juden zwar auch, aber wenn es um Juden geht, dann schreien auch alle Antisemitismus, aber wenn es um Muslime geht, dann hat man da nicht so ein Problem“. Deutlich wird es gemacht an dem Beispiel von Karikaturen. Die Süddeutsche Zeitung hatte ja einige eindrucksvolle sage ich jetzt mal, eindeutige antisemitische Karikaturen gehabt, woraufhin es Kritik gegeben hat und der Karikaturist die Süddeutsche Zeitung dann verlassen hat. Und dann wird so ein Vergleich gezogen „Ah ja, antisemitische Karikaturen. Dann ist der Karikaturist verliert seinen Job. Aber Mohammed Karikaturen, dann reden wir plötzlich von Meinungsfreiheit“ und so weiter. Also jetzt, als Salman Rushdie vergangenes Jahr angegriffen worden ist, habe ich das auch in bestimmten Kurzvideos gesehen, es war irgendwie, oder in Statements: „Aber genau den Propheten, den darf man verunglimpfen, das ist immer Meinungsfreiheit. Aber bei anderen ist es dann immer, spricht man von Antisemitismus usw.“ Also diese Art von Vereinnahmung dieser Debatten für ihre Zwecke findet dann statt, wenn es um Antisemitismus geht und antimuslimischen Rassismus.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Das bedeutet also, dass diese Narrative deswegen auch so gut verfangen können, weil sie auf reale Diskriminierungserfahrungen Bezug nehmen, die im normalen Alltag der Jugendlichen vielleicht nicht so viel Gehör finden, wie sie sich das wünschen.

 

Ulrike Hoole (KN:IX): Ja, und genau in diesem Spannungsfeld setzt pädagogische Arbeit an. Deshalb ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, wie wir Antisemitismus und eventuell spezifische Ausprägungen unter Muslim*innen in der pädagogischen Arbeit ansprechen können, ohne dass man einzelne Gruppen stigmatisiert.

 

Derviş Hızarcı: Wir haben sehr oft die Erfahrung gemacht, dass uns Menschen aufgesucht haben, die gesagt haben, „wir haben hier eine muslimische Klasse und die sind antisemitisch, sagen antisemitische Sachen, und wir brauchen Hilfe, wir sind überfordert“. In Deutschland ist keine Schulklasse eine muslimische Klasse, es sei denn, das ist eine religiöse Schule, eine islamische Schule und die Kinder und Jugendliche, die dort zur Schule gehen und am Unterricht teilnehmen, sind Muslime. Wenn das nicht der Fall ist, und davon gibt es vielleicht in ganz Deutschland nur eine Handvoll, dann sind die restlichen tausende säkulare Schulen und die Kinder und Jugendlichen, die diese Schulen besuchen, sind Schülerinnen und Schüler, sind Kinder und Jugendliche und keine Muslime. Eine Lehrerin oder ein Lehrer muss das verstehen, muss das verinnerlichen, als eine pädagogische Haltung für sich formulieren und muss immer unvoreingenommen den Kindern und Jugendlichen gegenüber sein. Wenn aber uns die Information erreicht sie sind muslimisch – und wir bekommen es auch aus den Medien mit, dass das sehr schnell passiert, dass diese Kinder und Jugendlichen zu Muslimen erklärt werden, von außen bestimmt, markiert werden – dann haben wir hier ein grundsätzliches Problem und das passiert sehr, sehr oft beziehungsweise fast immer. Diese Kinder und Jugendlichen verstehen, dass dann der Workshop gegen Antisemitismus in der Schule, der eigentlich aus richtigen Gründen stattfinden muss, weil Antisemitismus geäußert wurde, aber die Kommunikation oft ist: „Wir machen das auch, weil sie Muslime sind.“ Und dieses wir machen das auch, weil sie Muslime sind, steht dann oft zwischen dem Problem und auch der Lösung. Ich kann Beispiele nennen, wo uns Schülerinnen und Schüler gesagt haben: eigentlich haben unsere Lehrer selber Probleme mit Juden, oder mit Israel. Wir haben viele Fälle gehabt, wo uns in einer unklaren, uneindeutigen Art und Weise Schülerinnen und Schüler vermittelt haben, dass sie nicht verstehen, was jetzt stattfindet, dass die pädagogische Maßnahme als eine Art Bestrafung kommuniziert wird und auch als solche sich anfühlt. Und so bekämpft man Antisemitismus nicht. So erreicht man diese Schülerinnen und Schüler nicht. So würde man übrigens auch die Muslime nicht erreichen. Wenn man das Gefühl hat, auf alle anderen negativen Beschreibungen und Merkmale hinzu kommt jetzt auch noch hinzu, dass sie antisemitisch sind. Da wird auch eine Ohnmacht geschaffen, die es erschwert bis hin zu unmöglich macht, dass man diese Gruppe erreicht und es schafft, dass sie A den Antisemitismus in ihren Reihen sehen und bekämpfen und B sowohl in die eigene Community als auch nach außen hin sichtbar machen und kommunizieren, dass sie Antisemitismus als Problem sehen und dagegen auch sich positionieren. Und das sind meiner Meinung nach verpasste Chancen.

 

Ulrike Hoole (KN:IX): Würdest du denn dann sagen, dass um diesen Zugang dann möglich zu machen oder zu erleichtern, mindestens genauso wichtig eigentlich die Arbeit mit den Lehrkräften ist und genau dort die vorherrschenden Diskurse, eben um einen spezifisch muslimischen oder islamischen Antisemitismus, auch zu thematisieren und dafür erst mal zu sensibilisieren, bevor man dann in eine pädagogische Maßnahme mit vermeintlichen muslimischen Jugendlichen gehen kann?

 

Derviş Hızarcı: Beides parallel ständig laufen und das ist auch möglich, meiner Meinung nach auch zwingend notwendig. Das heißt, auch Lehrerinnen und Lehrer müssen immer geschult werden. A grundsätzlich, dass sie Pädagoginnen sind. B, dass sie in den unterschiedlichen Phänomenen wie Antisemitismus mit all den Facetten oder Rassismus oder Antiziganismus, also die Lehrerin oder der Lehrer unserer Zeit muss, diese Themen kennen, muss ein Mindestmaß an Professionalisierung zu diesen Themen haben, muss aber auch wissen, dass man gleichzeitig über die Pädagogik unheimlich viele Chancen hat. Also das muss man nicht nur als Herausforderung oder als Last oder Bürde oder was auch immer sehen. Das ist eigentlich eine großartige Chance, hier was zu machen. Und bei Schülerinnen und Schülern genauso: Also was ist antisemitisch? Stört mich, dass meine Klasse in Kreuzberg, in Neukölln, im Wedding oder in anderen Städten, in Marxloh, in Dortmund Nordstadt, wo auch immer, dass diese arabischstämmigen, türkischstämmigen, lass uns das mal so benennen, ihren Israel- und Judenhass äußern und dabei sagen „Das sagt uns unsere Religion“ und auf Allah schwören oder sich auf den Propheten beziehen? Dann muss man sagen „okay, ich interessiere mich für euren Allah und für euren Propheten. Hat er das wirklich gesagt? Warum hat er das gesagt?“ und nicht sagen „Schrecklich! Also wie könnt ihr an so einen Allah glauben und wie könnt ihr an so einen Propheten glauben?“ Weil man eh in den letzten Jahrzehnten auch, aufgrund vielleicht von religionskritischen Haltungen, die man per se hatte und zwei Jahrzehnten kontinuierlicher islamophober Berichterstattung – trotz nachvollziehbarer Gründe: Terroranschläge, Al Qaida, später der IS etc., wir befassen uns mit diesen Themen, also ich will das nicht kleinreden. Dass man dann sagt „ist ja schrecklich, was eure Religion da sagt! Und ja, unsere muslimischen Kinder sind Antisemiten und das, was sie äußern, ist dann muslimischer Antisemitismus.“ Ja, ich würde mir wünschen, dass wir uns genau um diese Themen mehr Gedanken machen, schauen, wo gibt es Gemeinsamkeiten. Gemeinsamkeiten nicht unbedingt in der Art und Weise, wie sich das äußert oder was vielleicht die Betroffenheit etc. angeht, sondern Gemeinsamkeiten wie schaffen wir es als Muslime, als Juden, als Christen, als Deutsche, als Türken, als Araber – Ich habe das jetzt verkürzt und auch nicht gegendert, weil das ja sehr häufig die Art und Weise ist, wie das so ein bisschen aufgezählt wird – Wie wir Gemeinsamkeiten finden in uns als Menschen und in der Art und Weise, wie wir Hass und Intoleranz ablehnen, in dem wir die Bedeutung von Demokratie und Vielfalt in der Demokratie gemeinsam erkennen und benennen und dann im Kampf gegen Hass und Intoleranz, gegen Antisemitismus und Rassismus. Das sind immer unterschiedliche Dinge, die aber die Menschen sehr häufig in gleicher Art und Weise berühren, verletzen, ausschließen, in der übelsten, bösesten Form sogar töten können. So, dass man sich mehr Gedanken macht auf Allianzen, auf Dialog, statt dass man mit diesen Themen es, sogar tatsächlich schafft, sich weiter gegenseitig auszugrenzen oder gegeneinander ausspielen zu lassen. Also, wenn wir diese Themen verwenden wollen, verknüpfen wollen, dann für das Gemeinsame, für das Gute anstatt das Trennende und für das Böse.

 

Musik

Saba-Nur Cheema: Grundsätzlich ist es immer wichtig, egal was ich mit Jugendlichen mache, bei ihnen anzufangen. Und wenn ich vorhabe, einen Workshop zum Thema Antisemitismus in einer Schulklasse, die sehr heterogen ist, wo ich ja, wo es ganz unterschiedliche Bezüge zu dem Thema gibt, wenn ich damit anfangen will, dann fange ich erst mal bei den Jugendlichen an und nicht bei Antisemitismus. Ich glaube, das ist einfach was ganz grundlegend Wichtiges und ich habe das sehr oft auch gemacht, gerade mit muslimischen Jugendlichen. Und da ist das Thema genau, wir reden über Antisemitismus, aber vorher reden wir doch auch über Stereotype und Zuschreibungen, Vorurteile und wie sich das äußert und kennt ihr sowas? Und die haben Lust, eigentlich hatte ich selten eine Gruppe, die keine Lust hat, darüber zu sprechen. Also das irgendwie, gerade wenn sie sehr heterogen zusammengesetzt sind. Und einer fängt an so, es braucht immer eine Person. Ein Schüler, eine Schülerin fängt an und dann auf einmal läuft es und es geht ja erst mal darum, irgendwie einen Zugang zu dem Thema irgendwie zu entwickeln. Und es geht ja doch – und ich glaube, dahin muss man kommen – es geht eigentlich um das Gleichwertigkeitsprinzip und das ist gar nicht so leicht. Aber, weil Gleichberechtigung meine ich jetzt gar nicht. Ich meine wirklich nur dieses also zu sagen alle Menschen sind gleich viel wert und es ist, jede Zuschreibung, ist irgendwie ein Problem, aufgrund von Herkunft, aufgrund von Religion, was auch immer. Und ich denke, wenn man da bei ihnen selbst anfängt und danach darüber spricht, ja, wie funktioniert eigentlich Antisemitismus in unserer Gesellschaft und wo findet sich das wieder? Und so weiter, dann kann man da wirklich auch sehr konstruktive Gespräche mit Jugendlichen führen. Ich kann mich an ein Gespräch sehr gut erinnern, in einem Workshop, wo wir angefangen haben, wie ich es erzählt habe. Und dann ging es um Antisemitismus. Und da habe ich, obwohl ich gerade gesagt habe, ich würde es selten tun, über verschiedene Formen von Antisemitismus gesprochen. Gut, die war ein bisschen älter, das ging auch, und wir hatten zum Beispiel über israelbezogenen Antisemitismus gesprochen und ich habe dann erzählt, was das irgendwie konkret bedeutet, und habe es, glaube ich, an so einem Beispiel deutlich gemacht. Es ging darum, dass eine Schülerin, deutsch-jüdische Schülerin, für das, was im Nahostkonflikt passiert, von ihren Mitschülerinnen und Mitschüler ja gemobbt wird oder so was. Und das haben wir dann irgendwie besprochen und es war erst mal so sehr einleuchtend. Und dann weiß ich es noch, dann ist dieses eine Mädchen aufgestanden. Dabei ist niemand aufgestanden, während wir geredet haben. Aber sie ist dann aufgestanden und sagt so „Ja, genau so geht es mir auch, weil mich fragen alle, ob meine Eltern Erdoğan wählen werden“ ja, es war ein kurdisches Mädchen, das hat sie dann später auch gesagt. Aber das war Teil ihrer, ihres Ärgers, ihres Frusts und hat gesagt „Es nervt mich total und niemand interessiert sich überhaupt für die Geschichte von meinen Eltern. Also fragt doch mal, warum wir überhaupt hier sind.“ Und es war wirklich eine sehr krasse Geschichte auch, die hat sie dann auch kurz erzählt und ihr ging es darum „Ich werde immer als die Türkin gesehen“ so und die eine Lehrerin hat gefragt „Wählen deine Eltern Erdoğan?“ Und das fand ich halt so krass, ja es geht überhaupt nicht um diesen, so macht es denn Sinn diesen Vergleich gerade zu machen oder so was, sondern es hat funktioniert, am Gerechtigkeitsempfinden von diesem Mädchen anzukommen. Es hat sie irgendwie gestört, was ich da erzählt habe mit dem Mädchen, die dann immer mit Israel in Verbindung gebracht wird, obwohl sie überhaupt nichts mit diesem Land zu tun hat und so und weiter. So kann es funktionieren, das will ich damit sagen mit diesem Beispiel, also so, dass man die Möglichkeit gegeben hat und offensichtlich wusste sie, dass dieser Raum auch dafür da ist, dass sie was sagen kann.

 

Musik

Ulrike Hoole (KN:IX): Was spätestens durch die Gespräche mit Saba und Derviş klar geworden ist, ist, wie komplex die Gemengelage aus islamisiertem Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus ist und wie viele andere Themen dabei noch mitschwingen. Und wie Saba ganz zu Anfang gesagt hat: Wir kommen in einer ganzheitlichen Islamismusprävention nicht drum herum, uns damit auseinanderzusetzen. In der praktischen Arbeit ist es wichtig, antisemitische Äußerungen oder Taten entschieden zu thematisieren, ohne gleichzeitig in die Falle zu tappen, rassistische Stereotype zu reproduzieren. Das heißt, wir brauchen eine rassismussensible Arbeit gegen Antisemitismus, das haben Saba-Nur Cheema und Derviş Hızarcı heute auch ganz klar betont.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Wenn wir uns mit Antisemitismus auseinandersetzen, egal aus welcher Gruppe er nun kommt, ist es wichtig, dass wir uns klar positionieren. Was heute aber auch noch mal deutlich geworden ist, ist, dass es wichtig ist, genau hinzuhören, wenn jemand von einem vermeintlich muslimischen oder islamischenAntisemitismus spricht. Eben weil es zentral ist, wer das mit welchen Intentionen anspricht und was da mitschwingt.

Wenn Sie mehr dazu erfahren wollen, wie sich antisemitische Narrative in unserer Gesellschaft über die Zeit hinweg gewandelt haben und was ein christlicher Antijudaismus damit zu tun hat, empfehlen wir Ihnen die Folge dreizehn von KN:IX talks. In der haben sich unsere Kolleginnen von Violence Prevention Network mit Dr. Katharina von Kellenbach zu genau diesem Thema unterhalten.

 

Ulrike Hoole (KN:IX): Wie sich islamisierte Antisemitismus entwickelt hat und welche Motive und Narrative eine Rolle spielen, hat Oliver Glatz in der KN:IX Analyse Nummer sieben sehr anschaulich herausgearbeitet. Ein Link dazu haben wir Ihnen in die Shownotes gepackt. Dort finden Sie wie immer auch weiterführende Informationen zum heutigen Thema.

Vielen Dank fürs Zuhören. Wir freuen uns, wenn Sie auch bei der nächsten Folge von KN:IX talks wieder einschalten.

Musik

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Inhaltliche Vorbereitung, Moderation und technische Umsetzung: Charlotte Leikert und Ulrike Hoole. Postproduktion: Malte Fröhlich.

Musik

 

Charlotte Leikert (Abspann KN:IX talks): Sie hörten eine Folge von KN:IX talks, dem Podcast zu aktuellen Themen der Islamismusprävention.

KN:IX talks ist eine Produktion von KN:IX, dem Kompetenznetzwerk „Islamistischer Extremismus“. KN:IX ist ein Projekt von Violence Prevention Network, ufuq.de und der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus, kurz BAG RelEx.

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Übrigens, aktuell läuft eine Umfrage, über die Sie uns Ihre Gedanken und Anregungen zum Podcast schreiben können. Das Ganze dauert nur ein paar Minuten und hilft uns sehr, den Podcast weiter zu verbessern. Den Link finden Sie in den Shownotes.

KN:IX wird durch das Bundesprogramm Demokratie leben! des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Weitere Finanzierung erhalten wir von der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung in Sachsen-Anhalt, der Landeskommission Berlin gegen Gewalt und im Rahmen des Landesprogramms Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus.

Die Inhalte der Podcast Folge stellen keine Meinungsäußerung der Fördermittelgebenden dar. Für die inhaltliche Ausgestaltung der Folge trägt der entsprechende Träger des Kompetenznetzwerks „Islamistischer Extremismus“ die Verantwortung.

Weiterführende Links

Evaluation der aktuelle Folgen von KN:IX talks zur das DJI
https://limesurvey.dji.de/index.php/888221?lang=de [abgerufen: 18. April 2023].

Arnold, S. (2023): Antisemitismus unter Menschen mit Migrationshintergrund und Muslim*innen. Mediendienst Integration.
https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/MEDIENDIENST-Expertise_Antisemitismus_unter_Menschen_mit_Migrationshintergrund_und_Muslimen.pdf [abgerufen: 19. April 2023].

Cheema, S.-N. (2020): Antisemitische Narrative in deutsch-islamistischen Milieus.
https://www.bpb.de/themen/infodienst/303898/antisemitische-narrative-in-deutsch-islamistischen-milieus/ [abgerufen: 18. April 2023].

Glatz, O. (2022): Islamisierter Antisemitismus. Motive, Motivgeschichte, Probleme, Lösungsansätze. KN:IX Analyse #7.
https://kn-ix.de/publikationen/analyse-7/ [abgerufen: 18. April 2023].

Hızarcı, D. (2020): Antisemitismus und Muslime. Ein Drahtseilakt zwischen rassistischer Zuschreibung und falscher Toleranz. In: Benz, W. (Hrsg.): Streitfall Antisemitismus. Anspruch auf Deutungsmacht und politische Interessen, 213 – 238.

Holz, K., Kiefer, M. (2009): Islamistischer Antisemitismus. Phänomen und Forschungsstand. In G. Follert, W. Stender (Hrsg.), Konstellationen des Antisemitismus. Perspektiven politischer Bildungsarbeit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Mendel, M., Cheema, S.-N., Arnold, S. (Hrsg.) (2022): Frenemies. Antisemitismus, Rassismus und ihre Kritiker*innen. Verbrecher Verlag.

Öztürk, C., Pickel, G. (2021): Der Antisemitismus der Anderen: Für eine differenzierte Betrachtung antisemitischer Einstellungen unter Muslim:innen in Deutschland. Zeitschrift Fur Religion, Gesellschaft Und Politik, 6(1), 189.
https://link.springer.com/article/10.1007/s41682-021-00078-w [abgerufen: 18. April 2023].

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