Hier finden Sie die Übersicht über den KN:IX Report 2024, der mit einem Grußwort von Ramses Michael Oueslati (Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung, Hamburg, und Mitglied des KN:IX Beirats) erschienen ist.
Der KN:IX Report gibt umfassende Einblicke in aktuelle Themen der Präventionsarbeit im Jahr 2024 sowie in fachwissenschaftliche Debatten und Erfahrungen aus der Praxis. Er enthält Empfehlungen und Anregungen für die eigene Arbeit und beleuchtet Strategien der universellen, selektiven und indizierten Prävention. Im KN:IX Report 2024 widmen uns in den Schlaglichtern folgenden Themen:
- Mainstreaming auf Social Media. Wie rechtsextreme und islamistische Akteur*innen ihre Themen platzieren
- Antisemitismus vs. Rassismus? Der Nahostkonflikt in der Praxis von Demokratie- und Präventionsarbeit
- Was ist eigentlich „unerträglich“? Polarisierung und Ambiguität in der pädagogischen und politischen Auseinandersetzung um Antisemitismus und Nahostkonflikt
- Jenseits der „Runden Tische“. Aktuelle Anforderungen an die Praxis der Antisemitismusprävention
- Beratung für den Neuanfang. Distanzierungsarbeit zivilgesellschaftlicher Träger in der Tertiärprävention
Im Report finden Sie außerdem die aufbereiteten Ergebnisse von Bedarfserhebungen mit Themenschwerpunkt Nahostkonflikt sowie hinsichtlich der Folgen autoritären Denkens für die Präventionsarbeit der Kompetenznetzwerke im Bundesprogramm „Demokratie leben!“. Zudem stellen wir die Erkenntnisse eines Fokusgruppengesprächs mit den Modellprojekten zur Entwicklung ihrer Arbeit vor.
Grußwort von Ramses Michael Oueslati
Fachlichkeit statt Feuerwehrpolitik
Bundesweit sind Projekte und Angebote zur Islamismusprävention inzwischen gut ausgebaut und die Expert*innen sind fachlich versiert. Das Phänomen selbst und viele Programme zur Prävention sind gut erforscht, erfahrene Praktiker*innen arbeiten teils bereits seit den 1990er Jahren. Dennoch fragen sich viele Menschen, nicht zuletzt angesichts von Anschlägen, ob nicht noch mehr getan werden muss.
So betrifft die islamistische Radikalisierung seit dem 7. Oktober 2023 offenbar immer mehr Jugendliche. Terrorismusforscher Peter Neumann, Professor am King‘s College in London und KN:IX-Beiratsmitglied, hat beobachtet, dass zuletzt etwa zwei Drittel der verhafteten Anschlagsverdächtigen in Westeuropa Teenager waren und sich auch dort radikalisiert haben – vermutlich durch TikTok. Ist vor diesem Hintergrund der Diskurs um Abschiebungen in menschenrechtsfeindliche Diktaturen zielführend? Mit Feuerwehrpolitik und der teils zu verzeichnenden Dämonisierung jugendlicher Migrant*innen sind minderjährige Täter*innen präventiv jedenfalls eher selten zu erreichen. Vielmehr braucht es einen verlässlichen und nachhaltigen Rahmen für das gesamte Spektrum der Islamismusprävention, um Radikalisierungsprozesse besser verstehen und verhindern zu können.
Schließlich – das wird oft vergessen – sind die jugendlichen Täter*innen selbst Opfer des Islamismus. Dabei misst sich eine demokratische Gesellschaft auch daran, ob sie ihre vulnerabelsten Mitglieder schützen kann – selbst wenn sie menschenrechtsfeindlich denken und gewalttätig handeln. Dramatische Ereignisse sollten also Anlass geben, darüber nachzudenken, in welchen Lebensbereichen von Jugendlichen wir Erwachsene unserer Verantwortung nicht gerecht werden.
Selbst als Lehrer und Schulberater am Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung tätig, stelle ich mir diese Fragen: Warum kommen diversitätssensible Signale der demokratischen Mehrheit bei einigen Jugendlichen mit Migrationsgeschichte kaum an? Warum rutschen uns viele junge Menschen mit psychischen Auffälligkeiten und radikalen Identitätsverengungen durch das Netz? Sehen wir nur die Chancen, jedoch nicht die Gefahren der Digitalisierung? Sind Lehrkräfte so ausgebildet, dass sie grenzwertig geführte Kontroversen nicht als störend, sondern als Normalzustand von Demokratie betrachten? Wird in Schulen Demokratie gelehrt oder auch gelebt? Was können wir jungen Menschen anbieten, die dem Leistungsdruck nicht gerecht werden und für die ein würdiger Lebensentwurf in weiter Ferne liegt? Haben wir als Gesellschaft eine Vision von Gerechtigkeit und Zugehörigkeit, die als fair wahrgenommen wird?
Als Mitglied des KN:IX-Beirats wünsche ich mir, dass auch der Report 2024 dazu beiträgt, dass Praktiker*innen und Expert*innen im Themenfeld besonnen und professionell handeln können.
Ramses Michael Oueslati
Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung, Hamburg