Podcast KN:IX talks

Folge #31 | Islamismusprävention im Fokus

Rückblick, aktuelle Entwicklungen und Zukunftsperspektiven

Wie haben sich Mobilisierungsnarrative und -strategien islamistischer Gruppen gewandelt? Welche Entwicklungen hat die Islamismusprävention in den letzten Jahren durchlaufen? Wie gut sind wir aufgestellt, um diesen Herausforderungen zu begegnen? Diese Fragen diskutieren wir in dieser Abschlussfolge von KN:IX talks mit Thomas Mücke, Dr. Jochen Müller und Jamuna Oehlmann.

Darüber hinaus werfen wir auch einen Blick in die Zukunft: Welche technologischen, sozialen und politischen Entwicklungen werden die Präventionsarbeit in den kommenden Jahren prägen? Und wie können Präventionsansätze weiter professionalisiert und verstetigt werden, um auch in Zukunft wirkungsvoll zu sein?

Die Bedrohung durch islamistischen Extremismus bleibt akut, während sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie die islamistische Szene verändern. Neue digitale Räume und gesellschaftliche Polarisierungen fordern von der Präventionsarbeit und Politik Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Mit dem Ausbau von Netzwerken, der Entwicklung innovativer Ansätze sowie der Förderung von Kooperationen zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren, Regelstrukturen und (Sicherheits)Behörden wurden in den letzten Jahren wichtige Fortschritte in der Präventionsarbeit erzielt. Angesichts zunehmender gesellschaftlicher Komplexität wird die Frage nach der langfristigen Verankerung präventiver Ansätze immer drängender.

Im Podcast zu Gast

Jamuna Oehlmann ist, gemeinsam mit Rüdiger José Hamm, Geschäftsführerin der BAG RelEx. Thomas Mücke ist Mitbegründer und Geschäftsführer von Violence Prevention Network gGmbH. Dr. Jochen Müller ist Mitbegründer und Co-Geschäftsführer des Vereins ufuq.de. Alle drei hatten die Projektleitungen des Kompetenznetzwerk „Islamistischer Extremismus“ (KN:IX) inne.

Transkript zur Folge

Charlotte Leikert (KN:IX Intro): Herzlich willkommen zu KN:IX talks, dem Podcast zu aktuellen Themen der Islamismusprävention. Bei KN:IX talks sprechen wir über das, was die Präventions- und Distanzierungsarbeit in Deutschland und international beschäftigt. Für alle, die in dem Feld arbeiten oder immer schon mehr dazu erfahren wollten. Islamismus, Prävention, Demokratieförderung und politische Bildung – klingt interessant? Dann bleiben Sie jetzt dran und abonnieren Sie unseren Kanal. KN:IX talks – überall da, wo es Podcasts gibt.

(Musik Intro KN:IX talks)

Ulrike Hoole (KN:IX talks): Hallo und herzlich willkommen zur vorerst letzten Folge von KN:IX talks. Mein Name ist Ulrike Hoole und gemeinsam mit meiner Kollegin Charlotte Leikert hoste ich den Podcast KN:IX talks bei der BAG RelEx. In der heutigen Sonderfolge sprechen wir darüber, wo wir aktuell mit der Islamismusprävention stehen. In dieser Folge geben wir Einblicke in zentrale Entwicklungen und Herausforderungen der Präventionsarbeit und werfen einen kleinen Blick in die Zukunft. Dazu haben wir geballte Expertise für Sie eingeholt und diskutieren heute mit drei Expert*innen aus unterschiedlichen Bereichen der Präventionspraxis. Jamuna Oehlmann, gemeinsam mit Rüdiger José Hamm Geschäftsführerin der BAG RelEx und Koordinatorin des KN:IX, Thomas Mücke, Mitbegründer und Co-Geschäftsführer von Violence Prevention Network, und Jochen Müller, Mitbegründer und Co-Geschäftsführer des Vereins ufuq.de. Und alle drei waren auch Projektleitungen im Kompetenznetzwerk Islamistischer Extremismus, kurz KN:IX.

(Musik)

Bevor wir mit der Diskussion starten, hören Sie aber die Einschätzung von Lamya Kaddor, welche Entwicklungen sie aktuell für bedeutend hält. Lamya Kaddor ist Mitglied des KN:IX-Beirats, Bundestagsabgeordnete und langjährige Expertin und Publizistin im Themenfeld Prävention von Islamismus.

Lamya Kaddor: Liebe Zuhörer*innen und Zuhörer. Dass der Islamismus eine der größten Gefahren für unsere Gesellschaft darstellt, ist kein Geheimnis. Das wissen wir seit langem. Allerdings haben wir uns politisch in der Vergangenheit relativ wenig über die Gefahren des Islamismus für unsere Gesellschaft unterhalten. Es ist etwas ruhiger geworden. Gleichzeitig müssen wir aber feststellen, dass seit dem 7. Oktober letzten Jahres und dem schrecklichen Angriff der Hamas auf israelische Zivilisten auch der Islamismus sich sozusagen weiterentwickelt hat, sich dieser Gesellschaft irgendwie versucht hat anzupassen und Methoden anzuwenden, Sprache anzuwenden, um junge Menschen besser zu adressieren. Gerade nach den Anschlägen in Mannheim oder Solingen mit islamistischem Hintergrund, muss ich sagen, verläuft die politische Debatte häufig schräg. Denn wir diskutieren leider wenig über Islamismusbekämpfung, über Prävention, über Deradikalisierung, sondern vielmehr über Migration, beispielsweise über Abschiebung, über Aufenthaltsstatus, über Menschen, die man leider allzu pauschal in einen Topf wirft, um das Phänomen von gewaltbereitem Extremismus einer bestimmten Gruppe in dieser Bevölkerung zuzuschreiben. Als Beiratsmitglied ist mir das sehr wichtig, diese Aspekte der Prävention, der Intervention, der Radikalisierung im Bereich des Islamismus immer wieder zu thematisieren, politisch auf die Tagesordnung zu rufen. Gerade wir Grüne machen uns für diese Teilung, für diese Bereiche sehr stark, weil sie natürlich schon auch mit Sicherheit zusammenpassen und zusammen gehören aus meiner Sicht. Die Methodik der Islamisten, die Rhetorik, die Sprache hat sich verändert. Vor allen Dingen sind diese Personengruppen sozusagen werben und radikalisieren eben nicht mehr, wie anfänglich vielleicht in Moscheen oder moscheeartigen Komplexen. Sie sind dann irgendwann die Stadtteile auf die Straße gegangen und dort dann weitergezogen in die digitale Welt verbreiten auf sämtlichen Plattformen Hass, Hetze, Verschwörungsglauben, Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit und vieles mehr. Aber harte Präventionsarbeit bedeutet auch, dass wir uns als Politik stärker mit der Frage von Prävention im Netz auseinandersetzen müssen und deshalb zum Beispiel auch die Plattformbetreiber stärker in die Verantwortung nehmen wollen. Besonders wichtig ist mir aber, dass dies ja nur möglich ist, wenn entsprechende Gelder, wenn der Haushalt eben genau das vorsieht, diese Arbeit vorsieht und auch gezielt fördert. Deshalb setze ich mich als Grüne sehr stark dafür ein, dass nicht nur im Rahmen des Sicherheitspakets die Frage der Prävention angesprochen wird, sondern wir auch im Bundeshaushalt genügend Gelder dafür haben, dass wir eben diese Prävention leisten können, diese Präventionsarbeit auch im digitalen Raum. Ich finde, mindestens nach Solingen und auch nach Mannheim ist das sehr angezeigt, dass wir eben nicht nur und vor allen Dingen über Migration sprechen und damit eine verzerrte Wahrnehmung vermitteln, wie man angeblich Islamismus bekämpfen kann, sondern vor allen Dingen Geld auch da reinpumpen, in Prävention, Intervention, Deradikalisierung und das vor allen Dingen im Netz. Und da leistet ihr einen wirklich erheblichen Beitrag zu und möchte ich an dieser Stelle vielen Dank sagen. Und weiter so!

Ulrike Hoole (KN:IX talks): Lamya Kaddor hat ja gerade in ihrem Impuls gemeint, wir haben uns in letzten Jahren politisch eigentlich sehr wenig mit Islamismus beschäftigt und es ist ziemlich ruhig generell um das Thema geworden. Und das hat sich ja dramatisch geändert seit dem Anschlag der Hamas am 7.10., jetzt auch der Anschlag in Moskau zu Beginn des Jahres. Aber spätestens mit Mannheim und Solingen und auch mit einem Blick auf gesellschaftspolitische und mediale Debatten könnte man inzwischen meinen, dass die Gefahr von islamistischer Radikalisierung plötzlich wieder da ist. Wie seht ihr das denn? Ist Islamismus gefährlicher oder wieder relevanter geworden? Jamuna, was meinst du dazu?

Jamuna Oehlmann (BAG RelEx): Also erst mal freue ich mich auch ja, dass wir heute ins Gespräch kommen können und dass wir auch Lamya Kaddor gewinnen konnten, uns ihre Gedanken zu teilen. Ich würde in dem Punkt ja, so mit einem zerrissenen Herzen zustimmen, weil natürlich ist das Thema wieder präsenter geworden und gleichzeitig haben wir uns natürlich im KN:IX intensiv mit den Themen Islamismus und Radikalisierung beschäftigt. Ich würde ihr aber zustimmen, dass die Wahrnehmung und die gefühlte Unsicherheit auf jeden Fall zugenommen hat. Und tatsächlich ist es ja auch so, dass die Anzahl der Anschläge in den letzten Monaten stark zugenommen hat und auch die, die vereitelt wurden. Und auch die Auswirkung der Anschläge der Hamas am 7.10. vor gut einem Jahr. Jetzt können wir noch nicht genau absehen, aber wir sehen, dass da auch die Zahlen islamistischer Radikalisierung und Rekrutierung in dem Zusammenhang wirklich stark gestiegen sind.

Ulrike Hoole (KN:IX talks): Thomas, wie siehst du das?

Thomas Mücke (VPN): Also ich glaube, dass alle politisch Verantwortlichen in keinster Weise im System den Islamismus relativiert haben in den letzten Jahren. In der öffentlichen Aufmerksamkeit war es nicht immer da, weil die öffentliche Aufmerksamkeit richtet sich nach terroristischen Anschlägen. Aber alle Beratungsstellen, alle Experten und alle politisch Zuständigen haben immer gesagt: Hier geht eine größere Gefahr aus. Und das Islamismuspotenzial hat sich ja eigentlich auch in den letzten Jahren nicht verändert. Und da haben wir ein Mobilisierungsthema, das ist der Nahostkonflikt und der terroristische Angriff der Hamas vom 7. Oktober. Das macht jetzt die Schwelle, dass man jetzt in eine aktive Handlung geht, nämlich terroristische Anschläge zu begehen, macht diese Schwelle niedriger. Aber das Problem war immer da gewesen, und wir werden immer damit zu tun haben, dass terroristische Anschläge sich wie eine Wellenbewegung entwickeln. Es wird wieder runtergehen, dann gibt es wieder ein Mobilisierungsthema und es werden wieder terroristische Anschläge passieren. Und das heißt, dieses Thema darf man nicht konjunkturell betrachten, sondern man muss davon ausgehen, wir haben eine stetige Herausforderung.

Ulrike Hoole (KN:IX talks): Und Jochen, was sagst du dazu?

 

Jochen Müller (ufuq): Ich würde das auch so sehen, dass wir uns nicht an diesen Wellen orientieren. Zumal diese Wellen ja, wie du jetzt auch schon gerade gesagt sich stark danach richten, dass eine Gefahr existiert, dass ein Anschlag ist. Aber die Gefahr, die der Gesellschaft sozusagen bevorsteht, ist ja nicht nur eine von Terrorismus, von körperlicher Gewalt und Gefahr, sondern ist ja auch eine von Demokratiedistanz und von Demokratiefeindlichkeit, von Segregation, Distanzierung von der Gesellschaft insgesamt. Und da kann man sagen, das beobachten wir kontinuierlich die gesamte Zeit. Und ich glaube, das ist auch tatsächlich extrem relevant da hinzugucken. Und gerade online, das wurde ja angesprochen, beobachten wir das ja eigentlich durchgehend mit einer steigenden Tendenz. Also da sind ja auch Grauzonen, also gerade Bereiche, wo man noch gar nicht so sagen würde, das ist Islamismus, das ist auf keinen Fall auch Dschihadismus oder Terrorismus, sondern findet gewissermaßen im Vorfeld statt. Und da bewegt sich sehr viel.

Ulrike Hoole (KN:IX talks): Ja, Thomas?

Thomas Mücke (VPN): Wobei natürlich terroristische Anschläge auch eine Wirkung haben. Sie verändern die Gesellschaft, sie führen zu Ängsten und Unsicherheiten. Und sie führen natürlich dann auch zu Ausgrenzungsprozessen. Und wenn man das Thema Flucht und Migration besonders hervorhebt, kann es natürlich auch dazu führen, dass Menschen mit Migrationsgeschichte sich nicht angenommen fühlen. Und das verstärkt natürlich noch mal diese Entwicklung, dass man sich von demokratischen Vorstellungen immer mehr verabschiedet.

Ulrike Hoole (KN:IX talks): Es klang gerade bei euch schon durch und auch Lamya Kaddor hat in ihrem Impuls ja von einer Weiterentwicklung des Islamismus gesprochen, also zum Beispiel in Bezug auf Rhetorik oder aber auch auf die Aktivitäten und Methodik, beispielsweise nach dem 7.10. oder was die Aktivitäten im digitalen Raum angeht. Wie schätzt ihr das denn ein? Welche relevanten Entwicklungen gibt es denn aktuell in der islamistischen Szene?

Jamuna Oehlmann (BAG RelEx): Also natürlich sind es genau diese Themen. Onlineradikalisierung hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Das beschäftigt uns derzeit sehr stark. Natürlich auch, weil es einige derjenigen, die Anschläge versucht haben in den letzten Monaten betroffen hat. Das heißt, das ist irgendwie ein großes Thema, Radikalisierung im Netz. Und auch, was wir seit einigen Jahren auch in der Arbeit im KN:IX beobachtet haben insgesamt die Diversifizierung der islamistischen Szene. Das heißt, wir sehen das auch in Gesprächen mit anderen Multiplikator*innen, es wird komplexer, das Thema wird komplizierter, auch die Unterschiede klar zu benennen: Wer ist jetzt tatsächlich wie problematisch? Mit welchen Themen wenden sich auch islamistische Akteure an, an Jugendliche? Also, das ist ein Thema, mit dem wir uns im Rahmen vom Kompetenznetzwerk intensiv auseinandergesetzt haben, aber was natürlich auch gesellschaftspolitisch top aktuell ist und uns alle bewegt. Und die Schwierigkeit, die ich da sehe, ist, dass einige islamistische Gruppierungen natürlich reelle Probleme aufgreifen und damit einen Punkt haben, wenn sie Diskriminierungserfahrungen als Narrativ benutzen und damit Jugendliche ansprechen. Das sind reelle Situationen, mit denen einige Jugendliche konfrontiert sind, und die finden damit eben auch Anschluss.

Jochen Müller (ufuq): Also ich würde sagen, es gibt eine quantitative und qualitative Weiterentwicklung. Quantitativ ist ganz klar, technisch, Digitalisierung, die Onlineplattformen, das sind Möglichkeiten, die vorher nicht bestanden haben. Ich weiß noch, als wir angefangen haben, Islamismusprävention zu machen, da gab es noch Videokassetten, die verteilt worden sind an einzelne einzelnen Hotspots. Das ist natürlich jetzt eine ganz andere, ganz andere Möglichkeiten, ganz viel, viel, viel mehr Jugendliche und ganz andere Szenen von von Jugendlichen, jungen Menschen und darüber hinaus zu erreichen. Also das schon allein quantitativ ist, ist eine Riesenveränderung und qualitative oder sagen wir mal Themen, also wir werden wahrscheinlich später noch über den Nahostkonflikt sprechen. Das ist ein Thema, das natürlich auch nie weg war und hat aber jetzt eine ganz andere Dimension bekommen. Und das gleiche würde ich für Fragen im Kontext von LGBTIQ etc. beschreiben. Das war auch schon immer Thema von Islamismus, hat aber in den letzten Jahren deutlich an Gewicht gewonnen.

Thomas Mücke: Ich bin mir nicht immer ganz so sicher, ob immer alles neu wird. Ich glaube, dass sich die islamistische Szene in ihrer Ideologie nicht wirklich verändert hat. Es sind immer die gleichen Narrativen, die erzählt werden. In der Quantität spielt die Radikalisierung online sicherlich eine große Rolle. Ist auch nicht neu, wenn man mal dran denken, wie damals der IS auch mit seinen Propagandafilmen im Netz versucht hat, Anhänger zu rekrutieren. Aber sie greifen natürlich das auf, die Kommunikationsmittel, die junge Menschen gerade auch benutzen. Und die Problemlagen, warum junge Menschen sich radikalisieren, haben sich auch nicht verändert. Es wird immer wieder versucht, hier eine Identität aufzubauen und versucht, diese Menschen von der Gesellschaft zu entfremden. Und die Themen, mit denen man mobilisiert, sind beliebig austauschbar. Wenn wir jetzt mal anschauen auf den Nahostkonflikt sehe ich schon noch mal die Parallelen von 2013, 2014, was die Verbrechen des Assad-Regimes anging, wie man hier auch da mit Bildern gearbeitet hatte: Und schaut her, Muslime werden weltweit verfolgt, man hat versucht, die kollektive Opferidentität herzustellen, man hat versucht mit Emotionen zu arbeiten. Das macht man heute genauso und es funktioniert.

Jochen Müller: Wobei ich an der Stelle, wir reden sehr viel über die, über die Sender der Botschaften, also über Propaganda, über Prediger, über einzelne Kanäle. Und das sage ich jetzt mal explizit aus der Sicht von der universellen Prävention geht es ja auch sehr stark um die Empfänger, also Angebot und Nachfrage. Das eine ist natürlich, sich mit den Angeboten, mit entsprechenden Organisationen, mit entsprechenden Personen auseinanderzusetzen. Und aus der Sicht der universellen Prävention ist ja eher die Frage, warum sind denn diese Angebote überhaupt attraktiv? Also was daran spricht junge Menschen an? Und das ist an der Stelle, wo natürlich eine universelle Prävention eher ansetzt, zu gucken, was können wir für alternative Angebote machen, wie können wir Jugendliche stärken, so dass sie gar nicht erst diese Angebote, die ihnen da gemacht werden, als attraktiv erleben. Oder noch mal anschließend zu sagen, also, wenn wir als Gesellschaft und da denke ich, nicht nur an uns als Prävention, natürlich nicht, sondern in Politik, Medien und Schule. Wenn wir keine Antworten auf die Fragen von jungen Menschen in dieser Gesellschaft haben, dann kommen eben andere und geben ihre Antworten.

Jamuna Oehlmann: Absolut. Darauf wollte ich nur eingehen. Was du gerade gesagt hast, weil die islamistischen Akteure passen sich ja auch den Gegebenheiten an, islamistische Akteure machen das ja ganz bewusst. Die halten sich auf den Plattformen auf, wo Jugendliche sind. Die benutzen genau die Sprache, die jugendaffin sind und benutzen die Themen, Alltagsthemen, die Jugendliche interessieren, um quasi bei denen anzukommen. Das heißt, so sehr entwickelt sich die Szene vielleicht nicht, aber die Probleme, die da sind, werden von islamistischen Akteuren ganz gezielt aufgegriffen und da sind sie flexibel und ihrer Zeit immer einen Schritt voraus.

Jochen Müller: Der Nahostkonflikt, du hast es gerade angesprochen, wäre genauso ein Thema. Also Nahostkonflikt und antisemitische Positionen sind immer Bestandteil des Islamismus gewesen, haben aber aus meiner Einschätzung gar nicht so eine große Rolle gespielt. Und im Moment ist es so, dass einzelne Träger, wir denken an die Hizb-ut-Tahrir, die auch an einzelnen Demos sehr viele Leute zusammengeholt hat. Da ist wieder die Frage: Geben wir Jugendlichen genug Raum, um über Themen, die sie bewegen, sich auseinandersetzen zu können? Oder warten wir darauf, dass es eben andere tun? In dem Fall ist es die Hizb-ut-Tahrir, die genau da angesetzt hat.

Ulrike Hoole: Du hast es gerade angesprochen, eines der großen Themen im letzten Jahr war natürlich der Nahostkonflikt oder genauer die Entwicklungen im Nahostkonflikt nach dem 7.10. und Thomas hat das gerade auch angesprochen, dass es gewisse Parallelen vielleicht gibt, auch zu den Verbrechen des Assad-Regimes, dass das dann eben auch von islamistischen Akteuren instrumentalisiert wurde. Was würdet ihr denn sagen, welche Rolle spielen denn solche internationalen Entwicklungen für die islamistische Szene in Deutschland, in Beziehung, zum Beispiel auf den Nahostkonflikt, aber auch andere internationale Entwicklungen?

Jochen Müller: Die spielen auf jeden Fall eine Rolle. Dem kann man ja gar nicht sich entziehen. Das heißt die Nachrichten, die Entwicklungen, die Krisen, Kriege, Konflikte, die wirken direkt auch auf junge Menschen hier, unabhängig davon, ob sie möglicherweise auch familiäre oder biographische Bezüge in bestimmte Regionen haben. Ich glaube aber, was ich eben schon mal angedeutet habe, dass wir da genau an der Stelle als Gesellschaft, zum Beispiel auch in der Schule eine große Verantwortung haben, genau diese Themen vielleicht auch viel mehr ins Gespräch zu bringen, ins Bewusstsein zu bringen und auch unterschiedliche Positionen. Da kommen wir an diese Diskussionen mit den roten Linien, gerade wie wir, wenn wir über den Nahostkonflikt und möglicherweise antisemitische Positionen, die es ohne Zweifel auch gibt, in diesem Kontext darauf zu sprechen, zu gucken, wie kann ich einen Raum eröffnen auf der einen Seite, wenn so ein internationaler Konflikt da ist und ich weiß von meinen Jugendlichen, dass das die emotional und in ihrem Leben in ihren Gedanken sehr stark prägt, dann ist es ja meine Aufgabe, da dafür Raum zu geben. Aber wie kann ich das machen? Andere Jugendliche, zum Beispiel, in der Klasse, muss ich schützen. Wie kann ich die roten Linien einhalten und gleichzeitig den Raum geben? Das ist eine unglaublich schwere Aufgabe, aber ich glaube, es ist extrem wichtig.

Thomas Mücke: Der Nahostkonflikt wird instrumentalisiert von islamistischen Organisationen, die sich übrigens vorher nicht unbedingt um die Palästinafrage sich großartig den Kopf gemacht haben. Aber sie wissen, dass es ein emotionales Thema ist. Und gerade junge Menschen lassen sich über Emotionen sehr wecken. Und wenn wir immer so schauen, noch so wie damals beim Assad-Regime, wo dann gesagt worden ist, wie kannst du zuschauen, dass deine Schwestern, die Frauen und Kinder ermordet werden, gefoltert werden? Da wird moralischer Druck erzeugt, etwas zu tun. Es ist einfach ein Mittel, um eine Mobilisierung herzustellen. So, und das ist natürlich bei globalen Konflikten immer möglich und die extremistische Szene tut was. Es hat Einfluss auf die terroristischen Anschläge, die begangen werden. Aber dahinter steckt ja immer, dass diese Organisationen versuchen, vorher schon eine Entfremdung von der Demokratie herzustellen, ihnen eine eigene Identität anzubieten, also Wertschätzung, Anerkennung, eigene Identität, einfache Erklärungen für schwierige Fragen. Und dann gibt es verschiedenste Mobilisierungsthemen. Und die Frage ist, die man sich immer stellen muss, ist natürlich: Warum sind gerade junge Menschen dafür so anfällig? Und wie sind die Problemlagen dieser jungen Menschen? Also wenn man in den Beratungssituationen ist oder wenn man sich die Eingänge in den Beratungshotlines sich anschaut und man hört dann, was die Eltern sagen, warum, was mit ihren Kind plötzlich los ist. Man geht etwas tiefer rein, dann merkt man, dass da Konflikte dahinterstecken. Und wenn die nicht bearbeitet werden, dann haben natürlich extremistischen Szenen immer die Möglichkeiten, Einfluss auszuüben. Wir wissen ja zum Beispiel auch den Zusammenhang zwischen Vereinsamung und Radikalisierungsprozessen.

Jamuna Oehlmann: Wir sehen natürlich, dass der Nahostkonflikt in Deutschland besonders stark emotionalisiert. Wir sitzen hier in Berlin-Kreuzberg, und ich finde es schon auch auffällig, wenn hier Demonstrationen irgendwie im Kiez sind, wie man einen anderen, einen anderen Umgang auf der Straße spürt. Und wenn wir das merken, die sich professionell mit dem Thema auseinandersetzen und im Arbeitsalltag Zeit haben, sich eine Meinung zu bilden zu diesen Themen, da frage ich mich wirklich Jochen, wie du das auch angesprochen hast, wie das Jugendlichen geht, wenn sie keinen Ort haben, ihre Gedanken zu artikulieren, vielleicht in der Schule nicht die richtigen Möglichkeiten haben, diese Fragestellungen auch zu artikulieren. Und im Herbst letzten Jahres war meine Erfahrung, so auch in den Gesprächen mit Mitgliedsorganisationen aus der BAG RelEx, dass der Bedarf nach Austausch auch unter Fachkräften riesig groß war, weil einfach so viel Unsicherheit und auch bei Erwachsenen eben das Thema sehr stark emotionalisiert. Also auf jeden Fall eine Bestätigung zu deinem Punkt von gerade eben, dass wir da noch mehr Austauschorte schaffen müssen und uns auch den schwierigen Fragen und Diskussionen irgendwie hingeben können müssen. Also wenn das Fachkräfte sich nicht zutrauen, dann können wir als Gesellschaft glaube ich nicht die Erwartung haben, dass andere Menschen das können, wenn wir das in unserem Beruf uns nicht trauen.

 

Jochen Müller: Ich glaube auch noch mal, diese Frage nach den internationalen Konflikten. Aber die sind natürlich in besonderer Weise dazu angetan, auch eigene Erfahrungen, die junge Menschen, aber nicht nur, die sie auch hier machen. Und da würde ich ganz klar sagen, Erfahrungen von Nichtzugehörigkeit, von Nichtanerkennung, von Diskriminierung, die da bietet so einen Konflikt wie jetzt zum Beispiel der Nahostkonflikt, eine Art von Projektionsfläche, in Bezug auf Zugehörigkeit, Anerkennung, bin ich Teil dieser Gesellschaft, wie werde ich gesehen? Das rechtfertigt und legitimiert in keinster Weise irgendwelche radikalen bis hin zu extremistischen oder auch gewalttätigen Reaktionen darauf. Aber wenn man die Genese sich anguckt, dann glaube ich, dass das eine große Rolle spielt.

(Musik)

Ulrike Hoole: Nachdem zu Beginn Lamya Kaddor über die Entwicklungen der islamistischen Szene gesprochen hat, haben wir Peter Neumann gefragt, welche Themen er denn zukünftig für die Präventionsarbeit für zentral hält. Er ist Professor für Sicherheitsstudien am King’s College in London und ebenfalls Mitglied im KN:IX-Beirat.

Peter Neumann: Prävention muss das Phänomen reflektieren, das sie bearbeitet. Und deswegen drei Gedanken dazu. Erster Gedanke: Wir müssen, glaube ich, noch stärker als bisher uns für den Bereich Flucht und Asyl interessieren. Da scheinen ja momentan sehr viele der mutmaßlichen Attentäter herzukommen. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir stigmatisieren sollen, aber genau, dass wir präventiv auch in diesem Bereich noch stärker aktiv sein sollten. Zweiter Gedanke ist der Bereich Online. Wir sehen zum ersten Mal überhaupt, dass sich ganze Radikalisierungszyklen von Anfang bis zur operativen Tatplanung online abspielen. Was bedeutet das für Prävention? Machen wir da genug? Wie agieren wir dort und wie können wir dort noch effektiver sein? Und drittens die Tatsache, dass Attentäter und mutmaßliche Attentäter in diesem Bereich immer jünger werden. Zwei Drittel der in Westeuropa in den letzten zwölf Monaten verhafteten mutmaßlichen Attentäter waren 19 Jahre und jünger. Sind unsere Programme darauf eingestellt? Machen wir in diesem Bereich genug? Das sind die Gedanken für die Fortentwicklung der Prävention. Dass es KN:IX gibt ist erst mal eine super Sache und ich hoffe, es geht auch in irgendeiner Art und Form und Weise weiter.

Ulrike Hoole: Peter Neumann hat ja als zentrale Themen für die Zukunft drei Punkte genannt. Bevor wir über Onlineradikalisierung oder die die jünger werdenden Attentäter*innen sprechen, lasst uns auf seinen ersten Punkt blicken. Flucht und Asyl als Arbeitsfeld der Prävention. Besonders aktuell ist dieses Thema in mehreren Hinsichten nach Solingen. Zum einen kam ja der mutmaßliche Täter als Geflüchteter nach Deutschland und zum anderen hat sich die Aufmerksamkeit nach Solingen sehr auf dieses Thema fokussiert. Die gesellschaftlichen Debatten werden teilweise sehr polarisiert geführt und es wird teilweise mehr über Migration gesprochen als über islamistische Radikalisierung. Deshalb meine Frage zum Einstieg: Wie schätzt ihr das ein und wie beeinflussen gesellschaftspolitische Debatten denn unser Arbeitsfeld? Jamuna, vielleicht möchtest du einsteigen?

Jamuna Oehlmann: Kann ich gerne machen. Natürlich ist das ein Riesenthema. Die Diskurse haben wir in unserem Netzwerk und haben wir mit Fachleuten im Arbeitsbereich. Und die werden auch, ja auf gesellschaftspolitischer Ebene natürlich diskutiert. Und ich glaube, das ist kein Geheimnis, das wir in der BAG RelEx und im KN:IX natürlich für eine zivilgesellschaftliche Präventionsarbeit stehen und auch der Meinung sind, dass das ganz zentral ist, dass wir diese Arbeit weiter machen. Und gleichzeitig fällt unser Arbeitsfeld nun mal in einen Sicherheitsdiskurs. Und ich würde immer sagen, dass wir im Austausch auch mit Sicherheitsbehörden natürlich kooperieren, dass ganz klar sein muss, wo der Auftrag der Zivilgesellschaft ist und wo er auch aufhört, wo man im Gespräch bleiben muss. Aber die Debatten um Asyl, Migration, Abschiebung schaden, glaube ich, dem Themenfeld als Ganzes massiv, weil er wiederum dazu beiträgt, dass Menschen sich ausgegrenzt fühlen, die hier leben, die hier zur Gesellschaft dazugehören und Deutsche sind. Und ich glaube, das ist bei einigen Politikern, die sich lautstark äußern, einfach noch nicht angekommen. Oder sie wollen einfach schon Wahlkampf betreiben und Politik machen. Was mich wirklich erzürnt, weil es unsere Arbeit schwerer macht und weil es wiederum zur Ausgrenzung beiträgt.

Thomas Mücke: Dass die Gesellschaft ausgrenzt, das ist die Strategie von Extremisten und Terroristen. Wir dürfen darauf nicht reinfallen, denn sonst machen wir das, was ihre strategische Zielsetzung ist. Aber ich glaube, dass diese Vermischung dieser ganzen Themen auch nicht die Realität wiedergeben, weil die Radikalisierungspotenziale gehen durch alle gesellschaftlichen Schichten. Und wir verengen das wirklich nur noch auf das Thema Migration und Flucht und übersehen dabei, dass Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen, die geflüchtet sind, genauso Opfer von terroristischen Anschlägen werden können, wie wir. In Solingen. Das erste Opfer war ein Flüchtling gewesen. Also das darauf zu reduzieren, das ist desaströs, wenn das passiert.

Jamuna Oehlmann: Und am Ende sind es diejenigen, die am meisten auch leiden, unter Radikalisierung, weil sie mehr betroffen sind von antimuslimischem Rassismus. Und weil viele der Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, ja auch vor Terror und Gewalt geflüchtet sind. Das muss man auch an der Stelle noch erwähnen. Und gleichzeitig, da können wir vielleicht später auch noch mal auf den Punkt kommen, muss man, finde ich, auch benennen, dass die Fälle von den Menschen, die in letzter Zeit Anschläge versucht haben zu verüben, nun mal in den meisten Fällen Menschen mit Fluchterfahrung waren. Das heißt nicht, dass die sich vielleicht schon unterwegs radikalisiert haben oder mit dem Ziel nach Deutschland gekommen sind, hier Anschlag zu verüben, sondern die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Menschen in Deutschland radikalisiert haben, ist durchaus gegeben und groß. Aber ich denke schon, dass das auch nicht verkehrt ist, wenn wir uns diese Themen genauer angucken, weil wenn wir das rechten Akteuren überlassen, diese Themen zu führen oder auch sehr konservativen Akteuren, dann gerät der Diskurs eben aus dem Ruder, so wie es derzeit auch der Fall ist.

Jochen Müller: Du hast es gerade gesagt. Das sind ja unsere Jugendlichen. Auch wenn Geflüchtete hier sind, sind es gewissermaßen unsere Jugendlichen. Und wir arbeiten in der universellen Prävention in der Regel mit Fachkräften, die dann wiederum vielleicht ein bisschen besser als vorher, ein bisschen sensibler als vorher, ein bisschen wissender als vorher mit ihren Jugendlichen arbeiten. Dieses Stichwort Polarisierung, da tragen wir ja als Gesellschaft mit zu bei. Polarisierung, es ist wichtig, das im Kopf zu behalten, das ist keine Einbahnstraße. Ich würde die öffentliche Debatte über den Nahostkonflikt so beschreiben, dass es tatsächlich Polarisierung nach draußen gibt von einzelnen Akteuren. Es gibt aber auch sozusagen diese Gegenbewegung, die eben auch die Distanz verstärkt dadurch, dass sich so eine gesellschaftliche Mitte sozusagen fokussiert und quasi nach innen bewegt. Das sind so gegenseitige Bewegungen, und ich glaube, darin liegt tatsächlich eine Gefahr, auch von, ich sage erst mal von Radikalisierung, von Einzelnen, die wir alleine lassen. Und das kann auch bei einzelnen wenigen in Richtung Extremismus gehen. Und ich fürchte ehrlich gesagt an der Stelle, dass wir das Ergebnis erst in ein paar Jahren sehen werden.

Ulrike Hoole: Thomas, ich sehe dich nicken. Kannst du dem zustimmen?

Thomas Mücke: Ja, also wir haben ein geringeres Extremismuspotenzial bei Flüchtlingen deswegen gerade weil sie genau vor Terror geflüchtet sind. Aber bei den Anschlägen müssen wir feststellen, dass es diesen Kontext gibt. Und diese Personen sind sehr schwer herauszufinden. Sie waren nirgendwo vorher auf dem Bildschirm und das wird eine Herausforderung sein für die nächsten Jahre, wie man diesen Personenkreis eventuell auch besser erkennen kann. Aber es stellt sich die Frage, ob das überhaupt eine Herausforderung für die Präventionsarbeit ist, sondern eher doch hier für die Sicherheitsbehörden. Also man darf es nicht relativieren, aber trotzdem muss man auch festhalten: Die überwiegende Anzahl von Flüchtlingen lehnen so was in jeder Hinsicht ab.

Ulrike Hoole: Dann lasst uns die zwei weiteren Punkte aufgreifen, die Peter Neumann anspricht: Die Bedeutung von Onlineprävention und die Tatsache, dass die Menschen, die Anschläge planen, immer jünger werden. Decken sich denn die Punkte mit denen, die ihr als wichtig seht?

Thomas Mücke: Also mit den Attentätern, dass sie immer jünger werden, das trifft zu. Aber ich würde jetzt mal weggehen von nur den Attentätern oder den Anschlagsversuchen, sondern wenn wir uns mal anschauen, wenn Eltern Beratung in Anspruch nehmen, dann geht es wirklich weitgehend um sehr junge Menschen, die sich gerade radikalisieren. Das ist übrigens nicht nur aus dem Phänomenbereich Islamismus so, dass ist im Rechtsextremismus genauso. Das heißt, wir müssen aufpassen darauf, dass ein Teil von sehr jungen Menschen anfällig sind. Und wir müssen uns darauf konzentrieren, dass die nicht noch tiefer in diese extremistische Szene eingebunden werden und versuchen, möglichst frühzeitig intervenieren. Aber den Blick auf Kinder und Jugendlichen müssen wir stärker fokussieren.

Jamuna Oehlmann: Die letzten beiden Punkte, Radikalisierung im Netz und junge Personen, die sich radikalisieren, hängen ja ganz stark zusammen. Also weil sich Jugendliche online aufhalten und weil die Angebote einfach immens sind. Das heißt natürlich noch nicht, dass sie sich da auch beeinflussen und radikalisieren lassen. Aber umso jünger die Personen sind, umso einfacher ist es natürlich, sich beeinflussen zu lassen und eben auch auf Dichotomien, Schwarz-Weiß-Denken, einfache Antworten usw., die typischen Methoden von islamistischen Akteuren auch reinzufallen und sich da angesprochen zu fühlen. Das heißt, die zwei Themen werden wir auf jeden Fall auch als zukünftige Themen ja bearbeiten müssen und werden uns in den nächsten Jahren begleiten.

Jochen Müller: Um nochmal aus Sicht der universellen Prävention an den Anfang zu schauen. Menschen sind aus verschiedenen Gründen vulnerabel. Und junge Menschen haben zu tun mit Fachkräften, egal wo sie sind. Und Fachkräfte können in ihrer Arbeit mit Jugendlichen echt einen Unterschied machen. Und wir wollen sie genau darin unterstützen und fördern. Weil es macht einen Unterschied, ob ich als Fachkraft in der Geflüchteteneinrichtung, als Fußballtrainer in der Schule oder die Polizei auf der Streife oder wie auch immer, es macht einen Unterschied, ob ich mit schwierigen Situationen, die sich stellen, ob ich damit, ganz unspezifisch, einen guten Umgang habe. Dann kann ich Inklusion fördern, dann kann ich Solidarität fördern. Dann kann ich das Gefühl von Zugehörigkeit und Anerkennung fördern. Oder ich kann einen unangemessenen Umgang haben. Dann kann ich genau das Gegenteil auch bewirken als Fachkraft und kann Segregation, Ausschlusserfahrungen etc. Und dann wie gesagt, am Anfang von Radikalisierungsverläufen. Und da glaube ich, ist es extrem wichtig, dass Fachkräfte gut ausgebildet sind, gut geschult sind, und sensibel sind für die Erfahrung, für die Lebenswelten der Jugendlichen, mit denen sie arbeiten, weil sie an der Stelle genau einen Unterschied machen können.

Thomas Mücke: Das sehe ich auch so und ich glaube aber allerdings, dass wir die Fachkräfte auch diskursfähig machen müssen. Also die Radikalisierung im Netz mit den einfachen Narrativen, da kann man nichts entgegensetzen im Netz, das ist das Netz, ist nicht das Forum des Austauschs, sondern wir müssten wissen, mit welchen Erzählweisen junge Menschen konfrontiert werden. Und wir müssen versuchen, dann wieder in der Offlinewelt mit ihnen darüber zu diskutieren und reden zu können, auch schwierige Diskussionen und schwierige Fragestellungen auszuhalten. Und ich glaube, da brauchen wir Diskursfähigkeit, weil ich merke gerade so bei Erwachsenen, dass sie dann, wenn sie dann junge Menschen hören, was die sagen, der Nahostkonflikt ist nur ein Beispiel dafür, dann geht meistens die Klappe runter und man geht nicht mehr in die Diskussion rein. Und wir müssen ja weg, nicht nur Gegennarrative, sondern versuchen, junge Menschen wieder andere Sichtweisen zu ermöglichen, zu eröffnen und natürlich auch so, dass hier eigenständiges Denken gefördert wird.

Jochen Müller: Da sind wir bei diesem Stichwort Polarisierung und der erforderlichen, ich würde das Ambiguitätskompetenz nennen, die es braucht, um tatsächlich mit unterschiedlichen Positionen, Wahrnehmungen, Wahrheiten auch einen guten Umgang zu finden.

Thomas Mücke: Und ich habe grundsätzlich ein Problem bei den Plattformen und den digitalen Formaten, die es gibt, dass da wir zu sehr zulasten der Hassbotschaften, Gewalt und Antisemitismus da verbreitet wird. Und ich würde mir da eigentlich auch erst mal eine größere Reglementierung wünschen.

Jochen Müller: Das politisch, ja.

Jamuna Oehlmann: Ich habe herausgehört, Thomas, dass du dem skeptisch gegenüber stehst, das Präventionsarbeit auch im Onlineraum funktionieren kann. Und ich würde sagen, dass wir es auf jeden Fall versuchen müssen. Es gibt ja unglaublich viele unterschiedliche Ansätze und die braucht es auch weil Jugendliche und Menschen, die sich radikalisieren, sind unterschiedlich, nicht jeder Ansatz funktioniert bei jeder Person. Und das Gleiche gilt für die Präventionsarbeit im Netz. Nur weil wir behaupten, dass es schwierig ist, komplexe Themen in, keine Ahnung, man spricht immer von dreißigsekündigen TikToks, runterzubrechen. Nur weil es schwierig ist, würde ich behaupten, dass wir es nicht einfach ignorieren können und nicht versuchen können. Zivilgesellschaft muss lauter sein im Netz. Wir müssen in unseren Strukturen auch Zivilgesellschaft motivieren, Dinge auszuprobieren. Bei jeder Gelegenheit, die ich habe und mit Geldgebern spreche, sage ich auch: Vertraut den Leuten, dass sie das ausprobieren können. Modellprojekte sind genau für so was gemacht, dass man neue Ansätze testen kann. Der Digital Space ist groß genug für viele Onlineprojekte, viele Methoden, weil die islamistischen Akteure Jugendliche erreichen. Wenn wir es nicht versuchen, dann haben wir genau diesen Ort schon verloren. Und gleichzeitig stimme ich euch zu. Präventionsarbeit, so wie sie sich in den letzten Jahren entwickelt hat und wie wir auch mit Multiplikator*innen arbeiten, ist darauf ausgelegt, im Face-to-Face Kontakt mit Menschen zusammenzuarbeiten. Aber das heißt nicht, dass wir uns dann nicht auch noch besser aufstellen können. Und viele gute Ansätze gibt es ja bereits.

Jochen Müller: Und Face-to-face funktioniert, der Begriff hier vorhin schon mal, ich glaube von dir, Thomas, Emotionen sind die Bindungserfahrung, die Augenhöheerfahrung ist extrem wichtig und ich glaube, auch ohne dass ich da jetzt Experte wäre, ich würde zustimmen, dass ist mit Sicherheit noch nicht ausgereizt, dass das auch zum Beispiel genauso wie im Schulunterricht auch online Emotionen eine extrem große Rolle spielen und dieses Feld der Emotionen sozusagen den Anbietern von problematischen Angeboten zu überlassen, wäre ja fatal. Also ich glaube, dass wir auch guten Gewissens mit Emotionen arbeiten können. Jetzt nicht als Mittel zum Zweck. Ich würde dir zustimmen, da sind große Räume durchaus, die noch gar nicht von uns beschritten sind. Da lässt sich noch was bewegen.

(Musik)

Ulrike Hoole: Neben den Themen, die er künftig als bedeutend für die Präventionsarbeit sieht, geht Peter Neumann in seinem Impuls auch auf die Bedeutung von zivilgesellschaftlichen Netzwerken ein.

Peter Neumann: Ich durfte ja so ein paar Jahre, wenn auch vom Rande, Teil dieses Projektes KN:IX sein. Und ich habe gesehen, wie unglaublich wichtig das war, dass Präventionsanbieter in Deutschland miteinander vernetzt sind, dass eine gewisse Stabilität in diesen Bereich reinkommt und dass auch wenn bestimmte Themen mal ein paar Jahre lang nicht aktuell sind, dass es wichtig ist, dass man weiter Strukturen hat, so dass, wenn sie wieder aktuell werden, dass man nicht von vorne anfangen muss. Und genau das ist ja jetzt der Fall. In den letzten Jahren war das Thema Islamismus nicht so groß. Jetzt kommt es wieder zurück und deswegen ist es wichtig, dass man zurückgreifen kann auf die akkumulierte Expertise, die in Netzwerken wie KN:IX vorhanden ist.

Ulrike Hoole: Und auch Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, betont die Wirkung von zivilgesellschaftlichen Netzwerken wie dem KN:IX.

Lisa Paus: Das Kompetenznetzwerk Islamistischer Extremismus setzt sich seit nun fünf Jahren dafür ein, dass wir Kinder und Jugendliche nicht an islamistische Verführer verlieren. Sei es mit Qualifizierungen für Fachkräfte, etwa Train-The-Trainer Schulungen oder dem Informationsportal. Zusammen mit seinen Partnern, der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus, dem Violence Prevention Network und Ufuq ist hier ein zentrales Netzwerk entstanden. Und ich weiß, diese Expertise, sie wird bundesweit geschätzt. Ich danke Ihnen für die so wichtige Zusammenarbeit mit meinem Haus, Ihre Lisa Paus.

(Musik)

Ulrike Hoole: Sowohl Lisa Paus als auch Peter Neumann haben die Bedeutung von Netzwerken betont. Was hat denn Präventionsarbeit in euren Augen in den letzten Jahren schon erreicht und wie hat sie sich dann weiterentwickelt?

Jochen Müller: Na ja, ich meine, wenn man sich die Strukturen anschaut vor 10, 15 Jahren, da gab es noch nichts. So, und ich würde sagen, also wenn man sich das im Vergleich zu heute anguckt, es gibt eine große Landschaft von Trägern, von Institutionen, die sich in den letzten Jahren Kompetenzen erarbeitet haben. Es gibt eben die besagten Netzwerke. Ich kann an jedem Ort in Deutschland, wenn ich eine Frage, ein Thema, einen Konflikt habe, relativ schnell und relativ ortsnah auch mich an Expertinnen und Experten wenden. Also da hat sich die Landschaft wirklich, also quantitativ und qualitativ sehr viel weiterentwickelt. Und ich würde auch noch mal sagen, Stichwort qualitativ, auch was die Sensibilisierung für zum Beispiel Stigmatisierungserfahrungen, die mit Präventionsarbeit unweigerlich einhergehen und auch mit jeder Berichterstattung über Präventionsarbeit, deswegen möchte ich im Grunde die Arbeit, die wir machen, oft gar nicht so gerne Prävention nennen oder Prävention genannt haben wollen, obwohl sie so wirkt, weil es Stigmatisierungsgefahr mit sich bringt. Und ich glaube, da zum Beispiel ist die Sensibilität auch sehr viel größer geworden, und das halte ich für ein Qualitätsmerkmal.

Thomas Mücke: Also wenn ich mir anschaue, wie das vor zehn Jahren aussah und im Bereich der Beratungsarbeit, also in der Tertiärprävention, da hatten wir teilweise einen Berater für vier Bundesländer. Und in diesen zehn Jahren haben sich wirklich sehr professionell die Beratungsstrukturen entwickelt und weiterentwickelt mit multiprofessionellen Ansätzen und auch sehr innovativ. Das ist der Vorteil bei zivilgesellschaftlichen Trägern, dass sie auf aktuelle Entwicklungen sehr schnell reagieren können. Wenn wir uns mal dran denken die Kontaktbeschränkung zu Corona Zeiten. Wie schnell haben wir die Beratungsstellen umgestellt, auf digitale Beratung und Beratungsgespräche draußen spazierend gemacht. Also es ist viel gemacht worden und es werden ja viele Personen erreicht in diesem Phänomenbereich und wir haben es mit wenigen Rückfällen zu tun. Das heißt, wir können in den letzten zehn Jahren auf eine sehr erfolgreiche Arbeit zurückschauen, und wir haben eine sehr gute Vernetzung. Wir haben die Schnittstellen der Kommunikation und das funktioniert und wir lernen voneinander und es hat zu einer Qualitätsentwicklung beigetragen.

Jamuna Oehlmann: Danke für die Überleitung, Thomas. Da würde ich gerne ansetzen, weil wir natürlich im Rahmen von KN:IX und der BAG genau das gemacht haben. Das ist ja genau unser Auftrag, Zivilgesellschaft zusammenzubringen, über Methoden in den Austausch zu kommen, zu wissen, was funktioniert, bei wem. Voneinander zu lernen und insgesamt die Zivilgesellschaft voranzubringen.

Thomas Mücke: Ihr habt die nationale Strategie überflüssig gemacht.

Jamuna Oehlmann: Ja, vielen Dank. Das Kompliment nehme ich gerne an! Nein, aber alleine eine Dachorganisation zu haben, wo Zivilgesellschaft zusammenkommt und wir den Auftrag bekommen, diese Handlungsempfehlungen, die aus der Zivilgesellschaft erarbeitet werden, auch auf höchster Ebene in der Politik zu platzieren. Und Thomas und ich sind seit Anfang Oktober Teil der Taskforce Islamismusprävention und das ist ein Beratungsgremium von der Innenministerin Nancy Faeser einberufen und das soll sie jetzt die nächsten zwei Jahre begleiten und beraten. Mich freut auf jeden Fall, dass die zivilgesellschaftliche Präventionsarbeit auch so professionell vernetzt ist, dass wir da eine Stimme haben und eben auch den Positionen, die in lokalen Kontexten vor Ort geäußert werden, die da relevant sind, auch eben im Innenministerium platzieren können und hoffentlich ja zu einer Veränderung, Weiterentwicklung und noch weiterer Stabilisierung beitragen können.

Jochen Müller: Ich beneide euch ja manchmal in der Tertiärprävention, weil ihr sagen könnt und sehen könnt, da haben wir was bewirkt. Also das kann man für die universelle Prävention schlechterdings nicht sagen. Ich schwör, dass es wirkt, aber ich kann es nicht messen. Oder wenn wir ein Workshop organisieren mit Jugendlichen, die dann in der Klasse arbeiten, dann wissen wir in der Regel nicht, was da hinterher vor sich geht. Aber wenn die Klassenlehrerin sich irgendwann meldet und sagt hier, seitdem ihr da wart, hat sich das Klima in der Klasse total verändert, dann weiß ich, ich kann jetzt nicht sagen, da sind jetzt so und so viele, die möglicherweise sich in irgendeine Richtung, welche auch immer radikalisiert werden, haben es jetzt nicht getan. Das weiß ich nicht. Aber ich weiß in dem Moment, wo sich das Klima der Auseinandersetzung, in denen Gespräche geführt werden, verbessert, weiß ich, dass es wirkt, was wir tun.

Thomas Mücke: Also die Mitarbeiter, Mitarbeiterinnen in der Tertiärprävention, die merken natürlich täglich ihre Wirkung. Und das ist auch mal ganz interessant, weil es etwas anderes ist als die öffentliche Wahrnehmung. Thema Syrienrückkehrer zum Beispiel ist vor Jahren noch mal diskutiert worden, welche große Gefahr das für die Gesellschaft ist und eigentlich diese Zielgruppe gar nicht integrierbar ist. Die zivilgesellschaftlichen Träger haben sehr intensiv mit dieser Zielgruppe gearbeitet und haben es geschafft, sie tatsächlich wieder, eine Brücke zu bauen, dass sie wieder in der Gesellschaft einen Platz finden konnten und sich aus der extremistischen Szene distanziert haben. Das heißt, wir können hier merken, dass wir was bewirken, aber es ist nicht immer bekannt. Dass es tatsächlich diese Erfolge in der Arbeit gibt, zeigt uns aber, dass wir für die Zukunft genau darauf achten sollten, dass wir die Strukturen, die wir hier aufgebaut haben, dass wir die weiterhin stetig fortführen können.

Jamuna Oehlmann: Klar, und ihr habt das angesprochen. Es geht natürlich um das Thema Evaluation und das ist in unserem Arbeitsbereich generell nicht einfach, Wirkung nachzuweisen. Aber auch das Thema der Primärprävention da müssen wir, glaube ich, noch Methoden entwickeln, selbst klarer zu definieren, um uns eben auch Kritik, die Zivilgesellschaft hier und da bekommen bekommt, noch klarer entgegenstellen zu können.

Ulrike Hoole: Ich möchte einmal auf den Impuls von Lamya Kaddor noch mal zurückkommen. Und sie hat ja gesagt, dass wir beim Thema Islamismus nicht nur über Migration sprechen sollten, wie es ja häufig vor allem auch aktuell der Fall ist, sondern vor allem eben über Präventions-, Interventions- und Distanzierungsarbeit und wie diese vor allem im Digitalen eben finanziell gefördert werden muss. Und in Anknüpfung daran möchte ich von euch wissen: Was braucht denn Prävention, um überhaupt gut arbeiten zu können?

Jamuna Oehlmann: Na ja, politischen Rückhalt, so wie wir den von Lamya Kaddor als Beiratsmitglied erfahren. Aber den bräuchten wir noch viel breiter. Und ich sage das bei jeder Gelegenheit. Wir brauchen eine Kontinuität, wir brauchen eine verlässliche Finanzierung für die Zivilgesellschaft, für die Projekte, die lokal agieren, damit sich Leute, die Rat suchen, die Unterstützung brauchen, auch langfristig darauf verlassen können, dass es diese Angebote gibt. Also politischer Rückhalt und nachhaltige Finanzierung.

Jochen Müller: Ich würde sagen, noch mehr Zugang in die Regelstrukturen. Das ist, glaube ich, elementar. Ich habe vorhin schon erwähnt die Regelstrukturen: Polizei, Sportbund, Deutsche Sportjugend, wie auch immer. Also wie kann man zum Beispiel Trainer und Trainerinnen erreichen, die mit Jugendlichen arbeiten und sie sensibilisieren? Wie gesagt, gar nicht so sehr mit dem Ziel: Ich will, dass du präventiv wirkst, aber, indem wir sie stärken und unterstützen in dem, wie sie mit ihren Jugendlichen arbeiten, wirken wir präventiv. Und ich glaube, Regelstrukturen sind ein großes Feld. Da sind alle Jugendlichen, und zwar unterschiedlichste, in unterschiedlichsten Regelstrukturen. Und da wäre es super, wenn uns da die Möglichkeiten gegeben sind und aber auch den Regelstrukturen selbst. Beispiel Schule, wir wissen alle selbst, unter welchen schwierigen Bedingungen Schule arbeitet und vor allem auch materielle und personelle Bedingungen natürlich. Und da jetzt noch zusätzlich Angebote reinzuholen ist auch für Schule schwer.

Thomas Mücke: Ich glaube, wir haben eine gute Architektur von Präventionsarbeit aufgebaut, mit vielen Sichtweisen, die Zusammenarbeit zwischen Praxis und Wissenschaft, die vieles noch mal bereichert hat. Und ich glaube, dass zivilgesellschaftliche Träger auch sehr innovativ mit zukünftigen Entwicklungen umgehen können. Was mir Sorgen macht, ist der Punkt, ob wir das Fachpersonal immer halten können. Wir haben viele Ressourcen hineingetan, damit wir hier dieses spezifische Handlungswissen weitergeben können. Und wenn man dieses Fachpersonal, weil die Rückendeckung fehlt, verlieren sollten, dann fangen wir eventuell wieder bei Null an, wo wir vor zehn Jahren standen. Und das wäre schade, weil die ganze Aufbauarbeit dann verloren gehen würde. Also wirklich auf Kontinuität achten. Das ist Verstetigung, das ist ganz zentral. Und das sich Extremismuspräventionsarbeit auch als eine Berufsgruppe versteht, die man nicht einfach beliebig austauschen kann.

Jamuna Oehlmann: Noch ein Punkt, Ulrike. Weil in der Frage auch der Aspekt der Onlineprävention genannt wurde. Wenn es geht, eben auch die Vernetzung mit großen Techplattformen. Und in dem Fall spreche ich auch die Gesellschaft als Ganzes an, dass man sich auch da verantwortlich fühlt, wo man einen Beitrag leisten kann. Denn auch diejenigen müssen sich äußern, die Missstände beobachten, die Hass im Netz beobachten, sich da zu artikulieren, Beistand zu leisten, Zivilcourage zu zeigen. Das gehört alles in die größere Überschrift von Präventionsarbeit für mich.

Thomas Mücke: Da geschieht auch schon einiges, gerade was die Inpflichtnahme der Plattformen angeht. Da haben zivilgesellschaftliche Träger auch schon Diskussionen mit denen. Aber vielleicht noch mal ein Punkt. Man kann noch vieles weiterentwickeln. Wir haben durchaus auch noch mehr Möglichkeiten, mit Menschen aus der extremistischen Szene in Kontakt zu treten, bewusst, wir nehmen diese Möglichkeit nicht immer wahr, weil wir gar nicht das Personal haben, diese Beratungsarbeit zu machen. Ein Fall dauert 2 bis 3 Jahre. Dazu braucht man das Personal. Also, hat man die möglichen finanziellen Ausstattungen kann man durchaus noch mehr bewirken, als bis heute geschehen.

Ulrike Hoole: Dann, ja. Gibt es keine weiteren Fragen, außer einer, die wahrscheinlich einige beschäftigt: Wie geht es mit dem KN:IX nach 2024 weiter?

Jamuna Oehlmann: Wir haben als BAG RelEx die Ehre gehabt, das Kompetenznetzwerk Islamistischer Extremismus in den letzten fünf Jahren auch zu koordinieren und wirklich voranzubringen, die Arbeit zu professionalisieren. Die Fördermöglichkeiten sind leider so, dass das Projekt dieses Jahr zum Ende kommt. Und gleichzeitig haben wir die Möglichkeit bekommen, einen Antrag einzureichen für eine Weiterförderung in anderer Konstellation ab nächstem Jahr. Wir haben natürlich noch keine Zusage, wir haben noch keinen Bescheid, aber wir hoffen sehr, dass es auch im nächsten Jahr in ähnlicher Form weitergeht. Genau, also die Arbeit ist auf jeden Fall da, wir haben noch viel zu tun. Genau an der Stelle ist vielleicht auch schon zu sagen, weil wir es angedeutet haben, eine andere Konstellation. Ich könnte mir vorstellen, dass die Leute dann neugierig sind, weil wir jetzt auch wirklich ein rundes Konzept hatten in den letzten fünf Jahren, als drei Träger, wie viele von Ihnen, von euch wissen das, VPN steht quasi im Netzwerk für den Bereich der Tertiärprävention, ufuq für den Bereich der Primärprävention und wir als BAG haben quasi die Zivilgesellschaft zusammengebracht und viel Netzwerkarbeit betrieben. Und leider wird es so sein, dass VPN in der nächsten Förderperiode in einem anderen Netzwerk tätig ist. Aber genau, wir gehen da im Guten auseinander und wir werden mit beiden Netzwerken auch zukünftig sehr eng zusammenarbeiten.

Thomas Mücke: Also ich fand es ein ganz tolles Netzwerk und es war auch total spannend gewesen. Die Vielfalt der Trägerschaft und wie man voneinander lernen kann fand, war schon sehr angenehmer, sehr angenehmes, produktives Arbeiten gewesen mit tollen Ergebnissen. Ja.

Ulrike Hoole: Das finde ich, ist ein sehr schönes Schlusswort. Wir haben heute über einige wichtige Entwicklungen im Bereich Islamismus gesprochen. Vor allem haben wir viel gesprochen über die Entwicklungen nach dem 7.10. und die Einflüsse, die das auf Mobilisierung von Anhänger*innen im islamistischen Bereich hatte, aber auch vor allem über die Rekrutierung und neuen Strategien und Aktivitäten von Islamisten im digitalen Raum. Und ganz deutlich angesprochen wurde auch, wie wichtig eine nachhaltige Förderung der Präventionsarbeit ist, und zwar jenseits von einer Aufmerksamkeitskonjunktur für das Thema Islamismus. Vielen Dank an euch!

Jamuna Oehlmann: Vielen Dank!

 

Jochen Müller: Danke an dich!

(Musik)

Ulrike Hoole: Dieses Gespräch haben wir am 22. Oktober 2024 anlässlich der Abschlussveranstaltung „Islamismusprävention im Fokus. Rückblick, aktuelle Entwicklungen und Zukunftsperspektiven“ geführt. Wir bedanken uns bei allen Beteiligten für die gelungene Zusammenarbeit im Rahmen von KN:IX.

(Musik Outro KN:IX talks)

Charlotte Leikert (KN:IX Outro): Inhaltliche Vorbereitung, Moderation und technische Umsetzung: Charlotte Leikert und Ulrike Hoole.

Sie hörten eine Folge von KN:IX talks, dem Podcast zu aktuellen Themen der Islamismus-Prävention. KN:IX talks ist eine Produktion von KN:IX, dem Kompetenznetzwerk Islamistischer Extremismus. KN:IX ist ein Projekt von Violence Prevention Networkufuq.de und der Bundesarbeitsgemeinschaft Religiös begründeter Extremismus, kurz BAG RelEx.

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KN:IX wird durch das Bundesprogramm Demokratie leben! des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Weitere Finanzierung erhalten wir von dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung in Sachsen-Anhalt, der Landeskommission Berlin gegen Gewalt und im Rahmen des Landesprogramms Hessen. Aktiv für Demokratie und gegen Extremismus. 

Die Inhalte der Podcast-Folgen stellen keine Meinungsäußerungen der Fördermittelgeber dar. Für die inhaltliche Ausgestaltung der Folge trägt der entsprechende Träger des Kompetenznetzwerks Islamistischer Extremismus, die Verantwortung.

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