Dieser Begriff [legalistischer Islamismus] vermittle aus einer defizitären Perspektive heraus eine Botschaft des Verdachts an und über politisch aktive Muslim*innen, indem er deren politische Bestrebungen generell als potenzielles Sicherheitsrisiko darstelle.
Im Rahmen der vergangenen Beiratssitzung von KN:IX wurden aktuelle Debatte rund um das Thema Islamistischer Extremismus aufgegriffen. Dabei wurden folgende Artikel des KNIX Report 2021 (PDF) durch Mitglieder des Beirats kommentiert:
- „Legalistischer Islamismus“ und „Politischer Islam“ – Herausforderungen für die Präventionspraxis – verfasst von Jamuna Oehlmann (BAG RelEx) und kommentiert von Ramses Michael Oueslati (Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg)
- Recht behalten ist auch keine Lösung – Ambiguitätstoleranz in der Islamismusprävention – verfasst von Dr. Jochen Müller (ufuq.de) und kommentiert von Michaela Glaser (Berghof Foundation Berlin, Frankfurt University of Applied Sciences)
- Zum Umgang mit Hochrisikoklientel in der selektiven und indizierten Prävention – verfasst von Thomas Mücke und Julia Handle (Violence Prevention Network) und kommentiert von Prof. Peter Neumann (King’s College London)
Kommentar von Ramses Michael Oueslati
In seinem Kommentar unterstreicht Ramses Michael Oueslati (Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg) insbesondere die Problematik des Begriffs „politischer Islam“ wie dies auch im Text von Jamuna Oehlmann thematisiert wurde. Dieser Begriff vermittle aus einer defizitären Perspektive heraus eine Botschaft des Verdachts an und über politisch aktive Muslim*innen, indem er deren politische Bestrebungen generell als potenzielles Sicherheitsrisiko darstelle. Eine solche Perspektive betone vermeintliche Defizite und stehe jahrzehntelangen Bemühungen der politischen Bildung um die Förderung der Teilhabe sozioökonomisch unterprivilegierter Muslim*innen entgegen.
Für Oueslati bietet der Begriff „legalistischer Islamismus“ demgegenüber zwei Vorteile: Zum einen verdeutliche das Adjektiv „legalistisch“, dass es sich bei dem Phänomen eben nicht um legale und legitime politische Aktivitäten von Muslim*innen handle, sondern richte den Blick auf die dabei latent vorhandene Strategie, legale demokratische Räume für antidemokratische Ziele zu missbrauchen. Zum anderen grenze die Bezeichnung „Islamismus“ das Phänomen klar vom Islam als Religion ab und verdeutliche stattdessen die radikale und undemokratische Ausrichtung des Islamismus. Diese klare begriffliche Abgrenzung fehle beim Begriff „politischer Islam“. Insgesamt sieht Oueslati allerdings die Notwendigkeit, beide derzeit genutzten Begriffe zu überdenken und anzupassen.
Auch andere Beiratsmitglieder betonten, dass beide aktuell verwendeten Begriffe, „legalistischer Islamismus“ und „politischer Islam“, unzureichend für die Beschreibung des Phänomens seien. Entweder seien sie zu vage und/oder sie hätten problematische Konnotationen. Zudem herrsche auch bei Sicherheitsbehörden oft kein Konsens über Definitionen und Zuordnung von Gruppen zu den Kategorien.
Ein wichtiger Aspekt bei der Zuordnung sei die Unterscheidung zwischen gewaltablehnenden und gewaltbefürwortenden Organisationen. Allerdings ergab sich in der Diskussion kein Konsens darüber, ob diese Zuordnung nach Ideologie oder Verhalten erfolgen solle. Zudem stelle sich in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Umgang mit Organisationen, die ausschließlich außerhalb Deutschlands gewaltvoll agieren. Sicherheitsbehörden stuften derzeit Organisationen, welche ideologisch im Ausland gewaltbefürwortend sind, auch in Deutschland als gewaltbefürwortend ein.
Mit Blick auf die Herausforderungen, die der legalistische Islamismus für die Praxis der Präventionsarbeit darstelle, so wirft Oueslati die Frage auf, ob hier nicht Schule sowie Kinder- und Jugendarbeit eine besondere Rolle spielen könnten, weil andere Zugänge zu eventuell radikalisierten oder gefährdeten Personen dadurch erschwert wären, dass deren näheres Umfeld oft ihre Weltsicht teile. Hier existiere oftmals guter Kontakt und Bindungen zu betroffenen Jugendlichen. Gleichzeitig fehle es im Schulkontext oft an Kenntnis legalistisch-islamistischer Hintergründe, so dass hier eine enge Zusammenarbeit mit Beratungsstellen der indizierten Prävention, welche über entsprechendes Fachwissen verfügten, sinnvoll und notwendig erscheine.
In der Diskussionsrunde wurde ergänzt, dass insbesondere im Hinblick auf den legalistischen Islamismus eine Differenzierung der Präventionsarbeit notwendig sei: Während bei der Ausstiegsarbeit nur eine Komm-Struktur sinnvoll sei, sei es in der universellen Prävention insbesondere hinsichtlich missionarisch und/oder legalistisch aktiver Organisationen wichtig, deren Umfeld bereits aufsuchend und präventiv zu adressieren.
Insgesamt zeigte sich: Besonders hinsichtlich aktuell genutzter Begrifflichkeiten zur Beschreibung der Phänomene im Themenfeld „legalistischer Islamismus“ und „politischer Islam“ ist eine weitere Debatte notwendig. Dazu könnte es zudem lohnend sein, den Blick zu erweitern und ähnliche Debatten im Ausland einzubeziehen.
Die Kommentare von Michaela Glaser (Berghof Foundation Berlin, Frankfurt University of Applied Sciences) und Prof. Peter Neumann (King’s College London) finden Sie ebenfalls hier in unserem News-Blog.