Podcast KN:IX talks
Folge #07 | „Es gibt keine schwer zu erreichenden Eltern, nur schwer zu erreichende Institutionen.“
Elternarbeit und Demokratieförderung
Startschuss für die dritte KN:IX talks Podcast-Staffel zum Thema „Familie, Elternschaft und Kindeswohl“: In dieser Folge interviewt Thy Le (KN:IX/ufuq.de) David Adler vom Projekt DeGeWa zu Elternarbeit und Demokratieförderung. Wie können pädagogische Fachkräfte Eltern erreichen? Wie sollte die Berücksichtigung der elterlichen Lebensrealitäten in die eigene Arbeit einfließen? David Adler verweist dabei unter anderem auf eine spielerische Art und Weise, Barrieren für Eltern mitzudenken.
Im Podcast zu Gast
David Adler ist Bildungsreferent im Projekt Demokratisch. Gemeinsam. Wachsen. Eltern als Partner*innen der Demokratieförderung bei der IFAK e. V. in Bochum. Er studierte Soziologie, Philosophie und Politikwissenschaft in Mainz und promoviert an der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg. 2015 erschien sein Buch „Doppelte Hegemonie“ zum Antiterror-Diskurs im Anschluss an die Tötung Osama bin Ladens. Er arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter für Sozialisationstheorien und für qualitative Forschungsmethoden an der Ruhr-Universität Bochum und der Universität Duisburg-Essen. Aktuell arbeitet er mit seinen Projekt-Kolleg*innen an einem Buch zur Demokratieförderung in der Elternarbeit.
Transkript zur Folge
(O-Ton, Musik im Hintergrund)
David Adler (DeGeWa): Und für uns ist es da sehr wichtig, auch nochmal die Diversitätssensibilität in der Einrichtung selbst zu reflektieren und das hat Carmen Feuchtner in einem Interview mit uns schön formuliert. Sie weist das zurück und sagt, es gibt keine schwer zu erreichenden Eltern, es gibt nur schwer zu erreichende Institutionen und Einrichtungen.
(Musik im Hintergrund)
Charlotte Leikert (Intro KN:IX talks): Herzlich willkommen zu dem Podcast zu aktuellen Themen der Islamismusprävention. Bei KN:IX talks sprechen wir über das, was die Präventions- und Distanzierungsarbeit in Deutschland und international beschäftigt. Für alle, die in dem Feld arbeiten oder immer schon mehr dazu erfahren wollten. Islamismusprävention, Demokratieförderung und politische Bildung. Klingt interessant? Dann bleiben Sie jetzt dran und abonnieren Sie unseren Kanal KN:IX talks. Überall da, wo es Podcasts gibt.
(Musik im Hintergrund)
Thy Le (KN:IX): Schön, dass Sie den KN:IX talks-Podcast wieder oder sogar zum ersten Mal hören. Ich bin Thy Le und arbeite bei einem der drei Träger von KN:IX, nämlich ufuq.de. Und in jeder Staffel bespielt jeweils ein KN:IX-Träger abwechselnd eine Folge. ufuq.de bildet mit dieser Folge den Auftakt für die Staffel zum Thema Familie, Elternschaft und Kindeswohl. Und zu diesem Thema habe ich auch einen Gast eingeladen: Vor mir sitzt der Soziologe David Adler. Er ist Teil des fünfköpfigen Teams des interdisziplinär angelegten Projekts DeGeWa. das Akronym steht für „Demokratisch Gemeinsam wachsen“. Schulungen zur demokratiefördernden Elternarbeit gehören zu dem Arbeitsfeld, außerdem die Bereitstellung eines wissenschaftlichen Rahmenkonzepts zur Unterstützung von Referent*innen und Multiplikator*innen, der Beitrag zur Vernetzung relevanter Akteur*innen und die Entwicklung pädagogischer Begleitmaterialien, die Fachkräfte bei der Elternarbeit unterstützt. DeGeWa hat seinen Sitz in Bochum und genau hier sitzen wir gerade in den Räumlichkeiten des IFAK e.V., Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe, Migrationsarbeit. Unter diesem besagten Träger ist auch DeGeWas Arbeit angesiedelt. Hi David, ich heiße dich herzlich willkommen zu unserer siebten Podcast-Folge. Ihr fördert ja mit eurer Arbeit Demokratie bei Multiplikator*innen und Eltern. Aber was bedeutet Demokratie denn für euch im Projekt?
David Adler: Das ist natürlich schon gleich zu Anfang eine sehr komplizierte Frage. Natürlich gibt es so ein paar Grundlagen, von denen man sagen kann, dass sie zur Demokratie dazugehören. Das sind natürlich einerseits individuelle Rechte und dann eine gemeinsame Entscheidungsfindung, wo es auch die Möglichkeit gibt, abweichende Meinungen zu haben. Und daneben ist es aber sicherlich so, dass das, was Demokratie genau ist, selbst auch immer in Demokratien ausgehandelt wird. Und das ist für uns auch ein wichtiger Punkt, weil wir auch ein bisschen davon weg wollen zu sagen: „Wir wissen genau, was Demokratie im Detail ist und bringen das jetzt Eltern bei, die dann die Empfänger*innen von unserem richtigen Demokratiewissen werden“.
Thy Le (KN:IX): Das heißt, dass ihr auch zusammen mit den Eltern in Aushandlungsprozesse darüber kommt, was Demokratie letzten Endes sein kann?
David Adler: Wir selbst arbeiten bisher ja gar nicht direkt mit Eltern, sondern wir unterstützen pädagogische Fachkräfte und Multiplikator*innen in verschiedenen Kontexten, ihre Elternarbeit demokratiefördernd zu gestalten. Aber dabei ist es immer ein wichtiges Anliegen, auch mit den Teilnehmer*innen von unseren Angeboten und Schulungen zu reflektieren, mit welcher Haltung man eigentlich auf Eltern zugeht. Und da ist eben schon eine Gefahr, dass man mit so einer Haltung auf Eltern zugeht: „Wir haben die demokratischen Werte, ihr habt da ein Defizit und wir erklären euch jetzt mal, wie ihr eure Kinder demokratisch zu erziehen habt“, weil auf der Grundlage dann natürlich schon sehr viel Vertrauen verspielt wird, um wirklich in einen Dialog zu kommen. Und weil das auch ein sehr partikularer Blick auf Demokratie ist. Das heißt, demokratische Ressourcen werden in ihrer Vielfalt eigentlich schon gar nicht mehr wahrgenommen, wenn man davon ausgeht.
Thy Le (KN:IX): Also ist die Regel so, dass Fachkräfte sich an euch wenden, weil es zum Beispiel bereits Konflikte mit den Eltern gibt oder Konflikte zumindest als solche wahrgenommen werden?
David Adler: Bei uns ist es tatsächlich so, dass wir als ein universalpräventives Projekt angelegt sind. Das heißt, auf uns kommen Fachkräfte nicht zu, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist oder wenn schon massive Konflikte bestehen. Sondern bei uns geht es wirklich darum: Wie können wir, ausgehend von dem Stand, auf dem wir sind, eigentlich demokratische Prozesse stärken? Häufig ist es ja so, dass es in den letzten zehn, 15 Jahren schon deutliche Bestrebungen in Einrichtungen gab, Kinder partizipativ einzubinden und Demokratisierungsprozesse auch in den Einrichtungen anzustoßen. Aber die Erfahrungen, die Kinder wiederum aus der Familie mitbringen, sind dann sehr unterschiedlich und sehr vielfältig und da kann es eben auch zu Konflikten kommen. Und deshalb ist es wichtig, Eltern von Anfang an auch mit ins Boot zu holen. Das ist eigentlich so das Anliegen, was wir eben haben, da Fachkräften, also Erzieher in Kindergärten, Sozialarbeiter*innen oder ehrenamtlich engagierte Menschen, die mit Kindern und Eltern zusammenarbeiten, zu unterstützen, da entsprechende Demokratisierungsprozesse auch mitzubegleiten und zu stärken.
Thy Le (KN:IX): Ja, so ein solcher Demokratisierungsprozess bei Kleinen, das würde mich mal interessieren. Ich denke da an die „Wer, wie, was und mit welchem Ziel?“-KN:IX-Publikation, in der DeGeWa auch vorgestellt wird und in der es um unterschiedliche Ansätze und Methoden der universellen Islamismusprävention in Kommune, Schule, Kinder- und Jugendhilfe, außerschulischer Bildung, Elternarbeit, Psychotherapie und Sport geht. Ihr werdet darin auch vorgestellt. Und liebe Zuhörer*innen, die Publikation können Sie auf der KN:IX-Seite auch herunterladen. Den Link dazu finden Sie in den Shownotes. Jedenfalls heißt es auf Seite 58, dass für die Herausbildung expliziter politischer Einstellungen die späte Kindheit und Jugend besonders relevant ist, aber für die Ausbildung allgemeiner demokratierelevanter Grundhaltungen bereits die Erfahrungen der frühen Kindheit eine entscheidende Rolle spielen. Neben der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten ist ja insbesondere auch die emotionale Qualität der Lebens- und Erziehungsverhältnisse der Kinder wichtig. Was sind denn sozusagen die notwendigen Zutaten, um eine gelungene Entwicklung für das Kind als teilhabendes Mitglied einer Demokratie bewerkstelligen zu können?
David Adler: Ja, wir versuchen da eine weite Spanne aufzumachen zwischen verschiedenen Bausteinen für so eine demokratische Erziehung. Und das geht eben los im Bereich von Bindungsqualitäten. Das ist ein Klassiker, dass die stabile und verlässliche Bindung zu direkten Bezugspersonen sehr wichtig ist, um eine Sicherheit auszubilden, um dann auch wieder mit herausfordernden Situationen umgehen zu können. Also das ist auf einer ganz basalen Ebene und dann kann man weitergehen zur Ausbildung eher spezifischer Fähigkeiten, wie zum Beispiel mit Konflikten umzugehen, Konflikte auszuhalten, die eigene Meinung auch zu vertreten und zum Ausdruck zu bringen, eigene Erfahrungen zum Ausdruck zu bringen, bis hin zu ganz spezifischen Punkten, die vielleicht dann bei demokratischer Erziehung oft als Erstes in den Blick kommen, zum Beispiel eine Beteiligung an Entscheidungen in der Familie. Also das ist die breite Spanne und ich glaube, es ist wichtig, dass solche Aspekte, die oft als „Soziales Lernen“ bezeichnet werden, zum Teil auch zu einer demokratiefördernden Erziehung mit dazugehören. Dass aber immer auch reflektiert werden muss: Wo geht das eigentlich hinaus über das, was sowieso immer schon gesagt wird? Denn wenn man jetzt zum Beispiel von Bindungsqualität redet, dann ist das spezifisch wichtig für unseren Zusammenhang. Aber das kann natürlich schnell auch etwas sein, was in vielen Erziehungs-Settings total selbstverständlich sowieso schon gemacht wird. Und da muss dann immer nochmal spezifisch reingebracht werden, wie das auch für Demokratie relevant ist. Und ein Beispiel wäre, dass diese Fähigkeit, sich auch auf Neues und Herausforderndes einzulassen, die eben auf Bindungsqualität und Sicherheit beruht, ganz wichtig ist, um sich später in einer heterogenen Gesellschaft, die ja dadurch gekennzeichnet ist, dass es unterschiedliche Meinungen gibt, die zum Teil auch unversöhnlich nebeneinander stehen gelassen werden müssen, zurechtzufinden.
(Musik)
Thy Le (KN:IX): Hast du denn ein Beispiel aus der Praxis? Was wäre eine Methode, die ihr anwendet?
David Adler: Das können natürlich praktische Beispiele auf unterschiedlichen Ebenen sein. Das kann einmal die Ebene sein, die sich direkt an die Eltern wendet, also welche Ratschläge man gibt. Das kann natürlich aber auch die Ebene für die Arbeit mit Eltern sein, also praktische Erfahrungen, die in Einrichtungen mit Eltern gemacht werden. Hast du da eine Präferenz, was du hören willst oder willst du beides hören?
Thy Le (KN:IX): Ich glaube, ein sehr gängiges Beispiel, was ich auch vom Hörensagen kenne, ist der Satz „Ich erreiche die Eltern gar nicht“ oder dass Lehrkräfte sagen „Ach, ich würd ja so gerne mit den Eltern reden, aber ich komm nicht an die dran“. Was ist da zu tun?
David Adler: Das ist auch eine Frage, die tatsächlich sehr stark am Anfang unseres Projektes mit gestanden hat. Also diese Erfahrung „Wir haben gewisse Inhalte, mit denen wir an die Eltern herantreten wollen, aber irgendwie erreichen wir die nicht“. Wobei die dann meistens auch übersetzt wird als „Wir erreichen die nicht, auf die es eigentlich ankäme.“ Also es gibt einen Teil der Elternschaft, die sich eh schon im Elternrat und so weiter engagiert. Bei denen gehen wir davon aus, dass sie das eigentlich von selbst draufhaben. Und die anderen erreichen wir nicht so gut in Einrichtungen. Und für uns ist es da sehr wichtig, auch nochmal die Diversitätssensibilität in der Einrichtung selbst zu reflektieren und das hat Carmen Feuchtner in einem Interview mit uns schön formuliert. Sie weist das zurück und sagt, es gibt keine schwer zu erreichenden Eltern, es gibt nur schwer zu erreichende Institutionen und Einrichtungen. Uns ist es wichtig, immer zu reflektieren, was in diesen Einrichtungen immer schon vorausgesetzt wird, welche Hürden eigentlich bestehen für verschiedene Arten von Eltern, um sich zu beteiligen. Das kann reichen von: Ich soll abends kommen ohne mein Kind und bin alleinerziehend und kann mir auch eine Kinderbetreuung nicht leisten, zu: Ich habe schlechte Erfahrungen in Bildungseinrichtungen gemacht, habe in der Schule selbst Stress gehabt, komme jetzt in diese Einrichtung und traue mich gar nicht, da was zu sagen, weil ich das als unsicheres, fremdes Territorium erlebe. Und dafür haben wir ganz konkret ein Spiel entwickelt, das man auch über unsere Seite einfach online nutzen kann, sowohl für den frühkindlichen Bereich, aber auch für die mittlere und späte Kindheit, wo es darum geht, nicht erst zu warten, dass einem Barrieren explizit von Eltern bewusst gemacht werden, sondern sich bei einem Ort, einem Ereignis, einer Gelegenheit, oder einer Veranstaltung zu einem bestimmten Elternteil-Typ zu überlegen: „Welche Barrieren könnte es in diesem Kontext geben und wie können wir die proaktiv angehen?“ Und das wäre zum Beispiel ein Schritt, wie man diese Probleme angehen kann.
Thy Le (KN:IX): Dann redest du schon von den Lebensrealitäten der Eltern oder Elternteile – die können sehr unterschiedlich sein, auch unterschiedlich privilegiert. Ich denke da an Familien oder Elternteile, die aus verschiedenen Gründen benachteiligt sind, die vielleicht super viel Lohnarbeit verrichten müssen, in prekären Verhältnissen beschäftigt sind und dadurch wenig Zeit für sich und ihr Kind einrichten können. Und vielleicht auch, wenn ein Elternteil chronisch krank ist. Wenn du sagst, dass ihr diese Barrieren sichtbar machen wollt: Wie genau sieht das aus, wenn ihr die Fachkräfte darauf hinweist? Kommt es dann auch oft vor, dass eine Zurückweisung wie „Also wir sehen bei uns keine Hürden“ passiert? Wie brecht ihr letzten Endes diese Barrieren? Das würde mich interessieren.
David Adler: Also mein Eindruck ist, dass es prinzipiell schon eine Bereitschaft und ein Interesse daran gibt, darüber zu reflektieren. Ich glaube eher, dass die Hürden für die Fachkräfte in den Bereichen eigentlich darin bestehen, dass man dafür auch eine entsprechende Zeit lang da sein muss, also dass da auch wieder viele externe Faktoren reinkommen. Und dann gibt es natürlich auch so etwas wie eingespielte Routinen, an denen man emotional hängt und weswegen man über bestimmte Dinge vielleicht auch nicht nachdenken will. Das gibt es sicherlich auch. Bei uns ist es natürlich auch so, dass wir vor allen Dingen eine freiwillige Schulung entwickelt haben, zusätzlich zu den Materialien, die wir frei zur Verfügung stellen, wie dieses Barriere-Spiel. Und da hat man natürlich eine gewisse Selbstreflexion. Also in diese Schulungen kommen Menschen, die das Thema relevant finden und da was machen wollen. Dementsprechend ist das natürlich nicht unbedingt ein repräsentativer Blick. Aber wichtig ist es uns, dass wir diesen Menschen Ressourcen an die Hände geben, um in ihren Einrichtungen wirksam zu werden. Und für uns ist es auch wichtig, das wirklich praxisnah zu machen. Das heißt, dass wir versuchen, kleine Schritte in der Einrichtung anzustoßen, um stärker auf Eltern einzugehen und diese Inhalte mit Eltern auf Augenhöhe diskutieren und aushandeln zu können.
Thy Le (KN:IX): Du hast ja jetzt schon mehrmals Hürden angesprochen. Welchen Hürden begegnet ihr bei der Arbeit: Struktureller, administrativer, emotionaler oder auch ‚kultureller‘ Art? Und wie wirkt sich das aus?
David Adler: Wir haben dann natürlich auch das Feedback nochmal von den Teilnehmer*innen aus unseren Schulungen. Was wir auch gemacht haben: Bevor wir überhaupt die Schulungen angeboten haben, haben wir eine kleine Erhebung gemacht, um zu gucken, welche Bedarfe bestehen. Und ein Punkt, der immer sehr häufig genannt wird, ist eben gerade so ein kultureller Aspekt. Also es wird anderen Kulturen, in denen keine Demokratieerfahrungen gemacht wurden, zugeschrieben, dass da Defizite und Probleme bestehen. Und das ist eine Erfahrung aus der Praxis, mit der man auch irgendwie umgehen muss, bei der es, glaube ich, wichtig ist, sie kritisch zu reflektieren. Und wir versuchen das zu machen, indem wir nochmal stärker auf die individuellen Erfahrungen eingehen und auch auf Erwartungen und Hoffnungen an Demokratie, die eben sehr vielfältig aussehen können, um so eine einseitige Zuschreibung auf Kultur aufzubrechen. Das ist uns wichtig bei dieser Perspektive, also eine Diversität und Sensibilität. Was ebenfalls viel genannt wird, sind sprachliche Barrieren, also dass gerade in der Kommunikation mit Eltern Informationen oft nicht ankommen, auch wenn man sich um eine leichtere Sprache bemüht. Da gibt es natürlich Möglichkeiten, noch stärker mit bildlichen Mitteln zu arbeiten und gar nicht so sehr in dem Sinne, dass Bilder dann Text ersetzen. Aber sie geben schon sehr viel Kontext, um Texte zu interpretieren. Das heißt, wenn man Schwierigkeiten hat, Texte zu verstehen, kann es schon helfen, wenn man einen gewissen Kontext über Bilder, oder auch ergänzende Bilder hat. Und ein Aspekt, den wir auch stärker thematisieren, ist die Frage, wie digitale Medien in der Elternarbeit eingebunden werden können, wo es natürlich dann die Möglichkeit gibt, auch mit Übersetzungen leichter zu arbeiten oder sich Texte zum Beispiel vorlesen zu lassen. Das wäre ja auch eine andere Hürde. Wenn man jetzt blinde und sehbehinderte Eltern hat und nur über Aushänge kommuniziert, ist das natürlich auch eine große Hürde. Also das wären Beispiele für Hürden, die aus der Praxis berichtet werden. Ich finde ergänzend auch immer noch das Wissen über die Institutionen und darüber, wie diese Institutionen funktionieren, wichtig. Denn so etwas wie kulturelle Barrieren oder auch Sprachhürden, die werden sehr schnell sehr stark wahrgenommen. Aber es gibt auch Forschung, zum Beispiel zur Beteiligung in Elterngesprächen, bei der rauskam, dass das Wissen, wie diese Institution funktioniert, häufig sogar wichtiger ist als unmittelbare Deutschkenntnisse. Also man kann sich dann noch mit Händen und Füßen verständigen, wenn so ein Grundverständnis dafür da ist, wie diese Institutionen funktionieren und was diese Funktionen als Aufgaben übernehmen, aber auch Eltern wiederum als Aufgaben zuschreiben. Und ich glaube, solche Dinge sind auch wichtig als Korrektiv gegen die Dinge, die dann sehr auf der Hand liegen.
Thy Le (KN:IX): Ihr müsst als Projekt auch die Wirkung eurer Arbeit nachweisen. Wie lassen sich denn positive Effekte messen?
David Adler: Was wir machen, ist, dass wir großen Wert darauf legen, dass reflektiert wird, wie diese Dinge in einigen Einrichtungen umgesetzt werden können. Dass es nicht darum geht, den einmaligen großen Workshop zu machen, sondern zum Beispiel auch bestimmte kleinere Formate zu etablieren. Und da berichten die Teilnehmer*innen eben auch, dass sie zum Beispiel eine Übung mit Eltern durchgeführt haben oder konkret eine Elternecke in einer Kindertagesstätte eingerichtet wurde, mit Sesseln, wo dann auch Informationen ausliegen, wo Eltern dann auch einen Aufenthaltsort jenseits vom Tür-und-Angel-Gespräch haben. Und wir begleiten unsere Angebote mit Evaluation und auch Nachevaluation nach einer gewissen Zeit, wo wir dementsprechend schauen: Was wurde in der Praxis umgesetzt? Was hat gut funktioniert? Wo gab es auch Schwierigkeiten? Um das dann wieder in unseren Angeboten aufzugreifen. Natürlich ist es immer eine Schwierigkeit, wenn man mehrere Ebenen hat, also mit Multiplikator*innen arbeitet, die mit Eltern arbeiten, die sich ihren Kindern gegenüber wiederum auf eine bestimmte Art und Weise verhalten sollen. Es ist natürlich schwer zu erheben, was dann am Ende bei den Kindern ankommt, wenn man nicht so ein großes Langzeitprojekt hat und ich glaube, dieses Problem wird man da auch immer haben.
Thy Le (KN:IX): Ich habe noch eine etwas unangenehme, kneifende Frage: Inwiefern versteht ihr euch denn als universalpräventiv? Inwiefern ist da die Verbindung zwischen Demokratieförderung und Präventionsarbeit zu sehen?
David Adler: Am Ende des Tages ist es eben auch ein großes Ziel, diesen antidemokratischen Bestrebungen etwas entgegenzusetzen. Und das ist ja durchaus eine Erfahrung, die in verschiedenen Kontexten von Präventionsarbeit gemacht wird, dass man eigentlich immer noch ein bisschen früher ansetzen müsste. Und das kann man letztlich, glaube ich, auf zwei Arten und Weisen tun. Man kann sagen: Wir identifizieren Gruppen, die besonders gefährdet sind, schauen auf deren Defizite und unterstützen sie dabei. Das hat in einigen Bereichen sicherlich eine Berechtigung, birgt natürlich aber auch immer die Gefahr einer Zuschreibung an spezifische Gruppen, die oft nicht nur evidenzbasiert läuft, sondern auch politisch motiviert ist oder auch von einer Alltagswahrnehmung, die selbst Stereotypen unterliegt, geprägt ist. Unser Ansatz ist eben, dass wir versuchen, da den Spieß umzudrehen und Demokratie zu stärken. Das verhindert natürlich nicht, dass sich einzelne Menschen immer noch gegen die Demokratie wenden. Aber eine Sicherheit im Umgang mit demokratischen Institutionen und das Gefühl und die Erfahrung, dass eigene Anliegen in diesen Institutionen eingebracht werden können und ernst genommen werden, nimmt natürlich viel Kraft aus den Angeboten von extremistischen Gruppen, die ja immer auch das Narrativ haben: „Ihr werdet nicht gehört, eure Interessen spielen keine Rolle“. Dabei ist es dann auf der nächsten Ebene natürlich auch wichtig, an den konkreten Erfahrungen der Eltern anzusetzen. Und da kommt dann so was wie Kultur oder Migration vielleicht wieder rein, zum Beispiel durch direkte Migrationserfahrung, aber auch über diverse andere Erfahrungen, die im Leben gemacht werden. Aber gleichzeitig hat man immer die Perspektive, dass es da eben auch Demokratieressourcen gibt, dass es einen Wunsch gibt, in einer bestimmten demokratischen Gesellschaft zu leben, an den man anschließen kann, wenn man offen genug dafür ist, dass sozusagen nicht alle Vorstellungen identisch sind mit den Vorstellungen von einem biodeutschen Bildungsbürgertum, um es polemisch zu sagen. Also das ist die Perspektive, die wir versuchen da stark zu machen und weshalb es uns auch so wichtig ist, dass die Demokratieförderung in der Elternarbeit nicht nur darin besteht, Eltern demokratische Werte zu vermitteln, die sie dann an ihre Kinder weitergeben, sondern dass das immer auch eine demokratische Beteiligung von Eltern in diesen Institutionen einschließt.
Thy Le (KN:IX): Es klingt für mich ja schon ein bisschen so, als könnte man davon ausgehen, wenn die Eltern gestärkt und befähigt sind, ist auch die Chance und Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Kinder es auch werden.
David Adler: Wenn eben auch konkret daran gearbeitet wird, wie auch in der Familie natürlich das Zusammenleben gestaltet wird. Aber die Alternative ist ja immer zu sagen: „Wir haben vorgefertigte Inhalte, die wir den Eltern geben, die sie dann den Kindern weitergeben“. Das erklärt die inhaltliche Übermittlung. Und man kann dann immer auch fragen: „Welche Erfahrungsmöglichkeiten bieten wir Eltern konkret?“ Und da spielt eben die Beteiligung in Einrichtungen eine große Rolle, die dann wiederum in die Familien zusätzlich hineinwirkt. Und auch wenn man diese Augenhöhe etabliert, die Möglichkeit bietet, über sensible Themen anders zu sprechen, als wenn ich in eine Einrichtung komme, wo mir eine Lehrperson oder vielleicht auch ein Sozialpädagoge, eine Sozialpädagogin gegenübersitzen, die eigentlich an so eine Beratung immer auch schon eine Bewertung koppeln. Also das sind Rahmenbedingungen, die es viel schwieriger machen, solche Themen dann auch anzusprechen und annehmbar zu machen.
Thy Le (KN:IX): Ja, ich nehme auf jeden Fall von deinen Antworten mit, dass das eine sehr vielseitige und auch fallspezifische Arbeit ist, die auf jeden Fall super spannend ist! Ich danke dir schon mal, David, dass du heute da warst. Und die siebte Folge neigt sich jetzt auch schon dem Ende zu… Ich würde dir noch so viele Fragen stellen, aber ich glaube, bis dahin können wir erstmal in eure Materialien reinschauen. Ich werde sie auch nochmal unten in den Shownotes verlinken. Und wer mehr über die Arbeit von DeGeWa erfahren möchte, kann das auch nochmal über die Shownotes tun. Vielen Dank, dass ich mit dir die Folge aufnehmen durfte.
David Adler: Danke auch. Mir hat das viel Spaß gemacht.
Thy Le (KN:IX): Das ist schön und ich bedanke mich auch herzlich bei den Kolleg*innen von ExPO – Extremismusprävention Online, die die Technik und den Raum für diese Aufnahme bereitgestellt haben und auch Ihnen zu Hause, im Büro oder wo auch immer Sie die Folge gerade hören. Vielen Dank für‘s Zuhören! Unterstützen können Sie uns, wenn Sie unseren Podcast bei einem der verbreiteten Streamingdienste abonnieren. Und falls Sie Fragen, oder auch Anregungen zur heutigen Folge haben: Ich freue mich, wenn Sie mir eine E-Mail an info@kn-ix.de schreiben. Wir hören uns wieder, wenn Sie mögen. Und bis dahin wird es in der nächsten Folge dieser Staffel um die Einbeziehung von Familie in die Distanzierungsarbeit bzw. die Beratung von Angehörigen in diesem Kontext gehen. Dabei kommen auch Ansätze aus der systemischen Beratung vor. Also bleiben sie dran! Bis zum nächsten Mal.
Diese Folge wurde von ufuq.de im Rahmen von KN:IX umgesetzt.
(Abspann Musik)
Moderation Thy Le,
Technische Umsetzung Markus Lüke,
Inhaltliche Vorbereitung Dr. Götz Nordbruch, Jenny Omar, Thy Le.
Schnitt und Postproduktion Thy Le.
(Abspann Musik)
Charlotte Leikert (Abspann KN:IX talks): Sie hörten eine Folge von KN:IX talks, dem Podcast zu aktuellen Themen der Islamismusprävention. KN:IX talks ist eine Produktion von KN:IX, dem Kompetenznetzwerk Islamistischer Extremismus. KN:IX ist ein Projekt von Violence Prevention Network, ufuq.de und der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus, kurz BAG RelEx. Ihnen hat der Podcast gefallen? Dann abonnieren Sie unseren Kanal und schauen Sie auf www.kn-ix.de vorbei. Sie wollen sich direkt bei uns melden? Dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an info@kn-ix.de. KN:IX wird durch das Bundesprogramm Demokratie Leben! des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Weitere Finanzierung erhalten wir von der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Bayrischen Landeskriminalamt, dem Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration in Sachsen-Anhalt, der Landeskommission Berlin gegen Gewalt und im Rahmen des Landesprogramms „Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“.
(Abspann Musik)
Weiterführende Links
DeGeWa
https://degewa.ifak-bochum.de/
IFAK e.V. – Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe. Migrationsarbeit
ufuq.de
Barrierespiel – Diversität von Eltern demokratisch begegnen
https://degewa.ifak-bochum.de/barrierespiel/
Demokratieförderlich kommunizieren mit Eltern
https://degewa.ifak-bochum.de/demokratisch-kommunizieren/
Mit Konflikten demokratisch umgehen
https://degewa.ifak-bochum.de/erziehungstipps/
Grundkonzepte für eine demokratiefördernde Elternarbeit
https://degewa.ifak-bochum.de/okumente/2022/Grundkonzepte_v3_22-02-08b.pdf (PDF)
Thesenbox
https://degewa.ifak-bochum.de/dokumente/2022/DeGeWa_Thesenbox.pdf (PDF)
KN:IX-Publikation „Wer, wie, was – und mit welchem Ziel? Ansätze und Methoden der universellen Islamismusprävention in Kommune, Schule, Kinder- und Jugendhilfe, außerschulischer Bildung, Elternarbeit, Psychotherapie und Sport“ (2021)