Podcast KN:IX talks

Folge #20 | Islamistische Influencer*innen? Wie soziale Medien zum Mainstreaming von Extremismus beitragen können

Wie nutzen islamistische Akteure soziale Medie und welche Gruppen oder Akteure sind aktuell auf TikTok, Instagram oder YouTube aktiv? Diesen Fragen widmen wir uns in Folge #20 von KN:IX talks.

Das Internet und soziale Medien gehört für die allermeisten von uns zum Alltag und das geht auch den meisten Jugendlichen so. Die Erkenntnisse der aktuellen JIM-Studie zeigen, dass fast die Hälfte der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren im Netz mit extremen politischen Positionen und Verschwörungsideologien in Berührung gekommen sind. Es ist also verdammt leicht, im digitalen Raum auf extremistische Inhalte zu stoßen.

In unserer Folge widmen wir uns den großen Playern unter den Social-Media-Plattformen und diskutieren, welche Bedeutung TikTok und Co für die islamistische Szene haben. Dazu sprechen wir mit Dr. Friedhelm Hartwig darüber, welche Akteure derzeit überhaupt aktiv sind, wieso es wichtig ist, sich mit ihnen zu beschäftigen und wie sie die Plattformen für ihre Zwecke nutzen. Neben Friedhelm kommen in der Folge heute auch Praktiker*innen der Mitgliedsorganisationen der BAG RelEx zu Wort und berichten, wie Präventionsarbeit auf TikTok und Instagram funktioniert.

Im Podcast zu Gast

Dr. Friedhelm Hartwig studierte Islamwissenschaften, Arabistik und evangelische Theologie in Bochum und promovierte am Graduiertenkolleg für gegenwartsbezogene Orientforschung in Bamberg. Anschließend arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Moderner Orient in Berlin. Von 2016 bis 2018 ist er in mehreren digitalen Präventionsprojekten für Violence Prevention Network gGmbH tätig gewesen. Seine Arbeitsschwerpunkte bei modus|zad liegen in der Forschung an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis, im Online Monitoring, dem beschleunigten Wissenstransfer sowie der Konzeption neuer Projekte. Sein besonderes wissenschaftliches Interesse gilt der Analyse von Brückennarrativen und internationalen Vernetzungen des Extremismus.

Transkript zur Folge

(Musik im Hintergrund)

Friedhelm Hartwig (modus | zad): Es ist ja ganz klar eine pauschale Ablehnung, man findet kaum Differenzierungen. Letztendlich ein ganz klares Schwarz-Weiß-Bild. Wir und die Anderen. Und man muss sich ganz klar entscheiden. Es geht immer ums Ganze. Paradies oder Hölle?

 

(Musik im Hintergrund)

Charlotte Leikert (Intro KN:IX talks): Herzlich willkommen zu KN:IX talks, dem Podcast zu aktuellen Themen der Islamismusprävention. Bei KN:IX talks sprechen wir über das, was die Präventions- und Distanzierungsarbeit in Deutschland und international beschäftigt. Für alle, die in dem Feld arbeiten oder immer schon mehr dazu erfahren wollten: Islamismus, Prävention, Demokratieförderung und politische Bildung. Klingt interessant? Dann bleiben Sie jetzt dran und abonnieren Sie unseren Kanal. KN:IX talks – überall da, wo es Podcasts gibt.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Hallo und herzlich willkommen zur 20. Folge von KN:IX talks. Mein Name ist Charlotte Leikert…

 

Ulrike Hoole (KN:IX): … und mein Name ist Ulrike Hoole. Gemeinsam hosten wir den Podcast KN:IX talks bei der BAG RelEx.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Wie oft haben Sie in der letzten Woche auf dem Weg zur Arbeit bei TikTok reingeguckt oder zwischendurch die Storys von Freund*innen kommentiert? Das Internet und soziale Medien gehört für die allermeisten von uns zum Alltag. Und es geht auch den meisten Jugendlichen so. Laut der letzten Onlinestudie von ARD und ZDF nutzten 2022 fast 90 % der 14- bis 29-jährigen wöchentlich oder häufiger soziale Medien. Dabei sind Instagram, Snapchat und TikTok die beliebtesten Plattformen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Und die Ergebnisse der aktuellen JIM-Studie, die einmal im Jahr Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren zu ihrer Mediennutzung befragt, zeigt, dass fast die Hälfte der Befragten im Netz mit extremen politischen Positionen und Verschwörungsideologien in Berührung gekommen sind. Es ist also verdammt leicht, im digitalen Raum auf extremistische Inhalte zu stoßen.

 

Ulrike Hoole (KN:IX): Und genau an der Stelle setzen wir mit der 7. Staffel von KN:IX talks an und widmen uns in drei Folgen dem Onlinebereich. Unsere Kolleginnen von Violence Prevention Network haben mit Folge 19 von KN:IX talksden Aufschlag gemacht und mit Jakob Guhl vom ISD unter anderem über geschlossene Foren gesprochen. In unserer Folge widmen wir uns den großen Playern unter den Social-Media-Plattformen und diskutieren, welche Bedeutung TikTok und Co für die islamistische Szene haben. Dazu sprechen wir mit Dr. Friedhelm Hartwig darüber, welche Akteure derzeit überhaupt aktiv sind, wieso es wichtig ist, sich mit ihnen zu beschäftigen und wie sie die Plattformen für ihre Zwecke nutzen.

Friedhelm ist promovierter Islamwissenschaftler und beschäftigt sich im Rahmen des Onlinemonitorings von modus | zad damit, welche islamistischen Akteure in den sozialen Netzwerken gerade aktiv sind und welche Themen sie umtreiben. Das Monitoring soll Praktiker*innen der Radikalisierungsprävention und politischen Bildung mit Wissen zu Themen, Trends und Akteuren in der Peripherie des religiös begründeten Extremismus unterstützen. Die Ergebnisse werden online veröffentlicht und in Webtalks vorgestellt. Das Projekt wird seit 2021 von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert. Neben Friedhelm kommen in der Folge heute auch Praktiker*innen der Mitgliedsorganisationen der BAG RelEx zu Wort und berichten, wie Präventionsarbeit auf TikTok und Instagram funktioniert.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Extremist*innen haben schon immer die Medien genutzt, die gerade aktuell waren. Tatsächlich spricht man auch davon, dass Extremist*innen sogenannte Early Adopters von neuen Kommunikationstechnologien sind, sie also schon recht früh einbinden und für ihre Zwecke nutzen. Es ist also kein Wunder, dass sie auch auf Social Media aktiv sind.

(Musik)

Wir wollen uns ja heute austauschen oder mit dir darüber sprechen, wie islamistische Akteure in den sozialen Medien unterwegs sind. Von daher, schön, dass du heute hier bist und mit uns über deine Arbeit sprichst. Wenn man an islamistische Akteure online denkt, dann war vor ein paar Jahren ja vor allen Dingen der sogenannte Islamische Staat das, was einem so als erstes in den Kopf gekommen ist, bei dem man mit ein paar Klicks relativ explizite Gewaltdarstellungen und Propaganda gefunden hat. Inzwischen hat sich die Szene ja geändert und auch ihr beschäftigt euch mit anderen Akteuren und Inhalten als klassische IS-Propaganda. In eurem Projekt nutzt ihr den Begriff Peripherie des religiös begründeten Extremismus. Ich habe den jetzt mal frei mit Grenz- und Graubereichen übersetzt. Würdest du mir bei der Übersetzung zustimmen? Und was sind das für Gruppen, mit denen ihr euch beschäftigt?

 

Friedhelm Hartwig (modus | zad): Ja, ich kann da noch den Begriff Randbereiche hinzufügen, den die bpb dann eingeführt hat. Den finde ich auch noch viel passender als Graubereich. Ich möchte gleich zur Einleitung schon einen Perspektivwechsel vornehmen, und zwar, Anlass für dieses Projekt war tatsächlich eine Veranstaltung vor einigen Jahren, wo im Zentrum der Dschihadismus war. Der Dschihadismus, vor allem auch im Internet. Der IS und die Al-Qaida-Propaganda waren da vor allem im Fokus. Und wir haben uns gefragt: Moment mal, das kann doch nicht alles sein. Dschihadismus, darum herum gibt es doch auch noch einen weiten Bereich, der Gewalt nicht befürwortet, aber durchaus auch extreme und radikale Botschaften entsendet. Wir schauen also einfach mal nach, was im Internet an Informationen zum Islam und besonders in den sozialen Medien zu finden ist. Und daraus ist letztendlich dieses Projekt entstanden. Und wenn man dann die Kanalhistorien beobachtet, dann sind viele dieser Akteure ja schon 2011 oder 2012 auf die Bühne getreten. Sobald also eine Plattform ein Angebot eröffnete, waren offenbar dann schon viele dieser Akteure, die jetzt schon lange Zeit da sind, wie Pierre Vogel oder Abul Baraa oder Marcel Krass in der Szene, im Netz, dann dort auch unterwegs.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Das heißt, es ist auch tatsächlich kein Phänomen der letzten Jahre, sondern schon eine gewisse Kontinuität.

 

Friedhelm Hartwig (modus | zad): Ja.

 

Charlotte Leikert: Du hast gerade schon ein paar Akteursnamen genannt. Gibt es da unterschiedliche Gruppen oder Strömungen, in die ihr die Akteure eingruppiert? Und kannst du vielleicht noch ein, zwei Sätze mehr zu den Gruppen selbst sagen, was sie so kennzeichnet?

 

Friedhelm Hartwig (modus | zad): Ja, wir selbst unterscheiden im Projekt, das hat sich meiner Meinung nach auch bewährt, ganz grob zwischen zwei Gruppen: der salafistischen Gruppe und der islamistischen Gruppe. Die islamistische Gruppe zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Akteure und ihre Kanäle mehr politische und gesellschaftliche Themen in den Vordergrund setzen. Die salafistische Gruppe und das ist die Gruppe, die auch in dem Konglomerat von Kanälen was wir beobachten und Plattformen die Dominierende ist, hat als Schwerpunkt mehr religiöse Themen. In ihrer Argumentationsweise unterscheiden sich diese Gruppen auch, nicht nur in der Thematik. Die islamistische Gruppe orientiert sich sehr stark an historischen Themen. Das beginnt mit der Frühzeit des Islams, den ersten Eroberungen, der goldenen Zeit des Islams, geht dann über die Kreuzzüge hinweg bis zum Kolonialismus. Man arbeitet sich dann auch an dem Begriff Neokolonialismus ab und reicht über historische Argumentationen bis hin zu geistesgeschichtlichen Perspektiven, wie Liberalismus, Pluralismus, die Entwicklung von Demokratie, was alles abgelehnt wird. Und man bietet auch da, wie in der geschichtlichen Interpretation eine stark selektive, einseitige, an die eigene Ideologie angepasste Sichtweise an. Während die religiös orientierte, salafistische Gruppe vor allem argumentiert entlang der islamischen Heilsgeschichte, aber dann auch sehr selektiv im Sinne einer salafistischen Orientierung, beginnend bei der Schöpfungsgeschichte, wo prinzipiell alle Menschen sich zum Islam schon bekannt haben während der Schöpfung. Und das zieht sich dann durch die Zeit der Propheten, immer wieder dem Abfall vom Glauben, dem Auftreten von Propheten bis hin zu Mohammed als letzter endgültiger Offenbarer der wahren Religion, Islam. Und die Jetztzeit bezieht man in der Betrachtung als Krisenzeit mit ein, dass es selbstverständlich ist, dass diejenigen, die den sogenannten wahren Islam hier in Deutschland auch vertreten, verfolgt werden. Letztes Beispiel war Abul Baraa, auch wieder etwas, worüber wir im dritten Quartalsbericht berichtet haben, und bezieht sich dann auf eine Endzeiterwartung und die Auseinandersetzung mit der Apokalypse.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Würdest du sagen, in dieser Gruppierung, dass das relativ statisch ist?

 

Friedhelm Hartwig (modus | zad): Inhaltlich sehe ich da wenig Dynamik. Das thematische Feld ist sehr redundant und auch die Argumentationsweise und die Muster sind sehr redundant, also wiederholen sich stark Jahr für Jahr.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Wie kann man sich das vorstellen? Also gibt es Unterschiede darin, wie die Akteure aus, also erstmal wie treten sie prinzipiell auf in den sozialen Medien? Was für Formate nutzen sie?

 

Friedhelm Hartwig (modus | zad): In der Präsentation gibt es also eine große Vielfalt wieder. Die Inhalte wiederholen sich, die Themen wiederholen sich, die Argumentationsweisen, aber die Präsentation, das zeigt eine große Vielfalt mit unterschiedlichen Präsentationsformen wie Interview, oder das berühmte Frage-Antwort-Format von Ibrahim Al-Azzazi. Das kennt wohl fast schon jeder, der in der Präventionsarbeit tätig ist, diesen Kurzvideos von einer Minute, wo in autoritärer Weise darin ganz kurze Antworten auf zum Teil sehr komplexe und schwierige Fragen auch gegeben werden. Ja dann, Pierre Vogel tritt häufig in Chats auf, wo offene Fragestunden dann auch angeboten werden und das hat ja schon fast einen sozialarbeiterischen Charakter. Ja, dann gibt es natürlich das Standardformat, Predigten, auch ganz trockene Vorträge und ja, Veranstaltungen im Seminarcharakter. Iman TV ist mit einem sehr konfrontativen Format hervorgetreten, das wir „Arena der Konfrontation“ genannt haben, wo also sehr provozierende Thesen dann geäußert werden, wie „Paulus lügt“ oder „Die Bibel ist verfälscht“ und aus einer rein eigenen Perspektive heraus dann Christentum oder auch andere Glaubensüberzeugungen interpretiert werden und man dann in diese, in dieses Livetalk-Format Gäste einlädt, Zuhörer und Zuhörerinnen einlädt, die dann versuchen sollen, diese Thesen zu widerlegen. Da haben wir häufig den Eindruck, dass also fundamentalistische, christliche Kreise und eher salafistische, fundamentalistische islamische Kreise dann aufeinandertreffen in den Chaträumen und sich auch zum Teil mit ganz üblen Sprüchen und mit Hassrede bekämpfen. Im Livetalk-Format selbst versucht man das zu vermeiden, die Moderatoren versuchen das zu vermeiden, aber dann, in den parallel laufenden Chaträumen, geht es manchmal ganz übel zur Sache. Mit Dialog hat das meiner Meinung nach nichts zu tun. Hier in diesen Formaten geht es häufig nur darum, zu gewinnen.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Du hast gerade auch durch dieses Frage – Antwort-Format von Ibrahim Al-Azzazi schon Bezug auf diese Formate genommen, weil das ja auch viel bei TikTok verwendet wird. Welche Formate werden da genutzt, die ganz spezifisch zu den sozialen Medien, ich sag mal, gehören? Und wieso funktioniert das bei Jugendlichen dann so gut?

 

Friedhelm Hartwig (modus | zad): Ja, offenbar TikTok, man spricht ja auch von TikTokisierung. Das ist also ein Format, das man ganz kurz, ganz gezielt bestimmte Parolen lancieren kann. Die sind einfach zu konsumieren. Klare Antworten sind das häufig, häufig in Bezug auch mit Aufregung, Aufregung erzeugt immer hohe Klickzahlen, Skandale erzeugen immer hohe Klickzahlen. Na, das ist also ein Format, das hat YouTube Shorts auch schnell übernommen. Und da erleben wir tatsächlich so was wie eine Dynamik. Sobald es neue Möglichkeiten gibt, sich zu präsentieren, sind die Akteure auch schnell dabei. Bei TikTok wurde die Plattform aus islamistischen wie auch aus salafistischen Kreisen zunächst erst mal auch abgelehnt, weil es eben eine chinesische Plattformen ist, und man da Bezüge herstellt zu der Verfolgung der muslimischen Uiguren. Letztendlich hat sich aber dann TikTok durchgesetzt, fast alle sind jetzt dort unterwegs. Und ähnlich gibt es ja auch ein Kurzvideo-Format auf Instagram und auf YouTube Shorts eben. Sehr erfolgreich, und man muss diese unterschiedlichen Formate in Kombination sehen. Also, wenn ich das Beispiel Muslim Interaktiv zum Beispiel anführe, auf YouTube sehr wenig aktiv in der Anfangszeit, jetzt ändert sich das ein wenig, aber auf Instagram und TikTok viel aktiver und viel, viel höhere Aufmerksamkeit, viel, viel höhere Klickzahlen. Nachdem Muslim Interaktiv jetzt vor einigen Wochen auf TikTok mehrfach gesperrt worden ist, haben sie die Kurzvideos als YouTube Shorts dann wieder hochgeladen. Man kann also dann schön ausweichen. Ähnlich zum Beispiel Botschaft des Islam, relativ zurückhaltend zurzeit, was den Gazakrieg angeht und den brutalen Terrorakt der Hamas am 7. Oktober, auf YouTube vorsichtig, aber auf Instagram unglaublich offensiv mit den Posts. Da wird also ganz klar Stellung bezogen.

 

(Musik)

Ulrike Hoole (KN:IX): Das Erfolgsrezept von extremistischen Akteuren besteht also darin, dass sie Jugendliche mit den Themen und Formaten erreichen, die sie auch wirklich ansprechen. Social-Media-Plattformen bieten den Akteuren die Möglichkeit, direkt mit ihrer Community in Kontakt zu treten. Außerdem ist spätestens durch die sozialen Medien die Grenze zwischen denjenigen, die Inhalte schaffen, und den Konsument*innen verschwommen. Das heißt, Leute können einfach neue Inhalte erstellen und so selbst aktiv sein. Über Abstimmungen, Frage-Funktionen, sogenannten Q&As oder Kommentare bekommen User*innen das Gefühl, dass ihre Meinung zählt und sie Teil von etwas Größerem sind. Dadurch erfahren sie Aufwertung und ein Gefühl der Selbstwirksamkeit. Unter anderem deswegen sind diese Plattformen auch so attraktiv.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Das heißt, die aktuelle islamistische Szene ist ohne soziale Medien kaum vorstellbar?

 

Friedhelm Hartwig (modus | zad): Ja, die meisten Akteure haben ja überhaupt kein Forum offline, werden in Moscheen nicht zugelassen, sondern nur in bestimmten Moscheen, viele verbieten ihnen ein Auftreten. Darüber reden auch einige öffentlich, Pierre Vogel zum Beispiel. Der ist auch häufig sehr vorsichtig und erwähnt das auch gegenüber seinem Publikum. Dass er bestimmte Begriffe oder auch bestimmte Themen nicht mehr behandeln möchte, weil er dann das Risiko eingeht, dass sein Kanal gesperrt wird und er das Publikum nicht verlieren möchte. Botschaft des Islam äußert sich da auch sehr direkt und andere auch mittlerweile. Also da gibt es schon ein sehr starkes Bewusstsein, was man auf bestimmten Plattformen unter den bestimmten Monitoring-Regeln der unterschiedlichen Anbieter halt sagen kann oder nicht. Die Sensibilität ist da, das Forum möchte man nicht verlieren. Und es ist ja auch ideale Propagandaplattform.

 

(Musik)

Charlotte Leikert (KN:IX): In den letzten Jahren sind sich Plattformen mehr und mehr ihrer Verantwortung bewusst geworden, beziehungsweise wurden sie durch gesetzliche Regelungen in die Verantwortung genommen, um Nutzer*innen online zu schützen. Wenn ein Account wiederholt gegen die Community-Richtlinien verstößt, haben Plattformen verschiedene Möglichkeiten zu reagieren. Beim Deplatforming werden Accounts von Nutzer*innen von der Plattform gelöscht und ihnen so die Aufmerksamkeit komplett genommen. Eine andere Möglichkeit, diese Accounts zu sanktionieren, ist ein Shadowban. Dadurch werden die Accounts nicht gelöscht, sondern die Posts den Followern nicht mehr angezeigt, was ihre Reichweite und Sichtbarkeit einschränkt. Wie Friedhelm schon gesagt hat, haben die meisten Akteure einen Umgang damit gefunden, zum Beispiel durch die Verwendung von Codes und Chiffren oder indem sie neue Accounts mit leicht angepassten Namen erstellen, wenn sie gelöscht wurden oder gänzlich ausweichen auf Plattformen, auf denen weit weniger reguliert wird.

(Musik)

Wir sprechen hier ja von Randbereichen, von Peripherie-/Graubereichen und trotzdem beschäftigt ihr euch im Projekt ja intensiv mit diesen Gruppen. Und auch in der Präventionsarbeit ist das immer wieder Thema. Ich würde dich bitten, auch noch mal für unsere Hörer*innen auszuführen, wieso es sinnvoll ist, sich mit diesen Gruppen zu beschäftigen, auch wenn sie sich in bestimmten Rand-/Graubereichen von Meinungs- und Glaubensfreiheit bewegen und eben auch nicht explizit zu Gewalt aufrufen, wie man das vom sogenannten IS kennt oder kannte.

 

Friedhelm Hartwig (modus | zad): Ja, da kommen wir in den inhaltlichen Bereich. Also wir analysieren die Inhalte und Diskurse, die verschiedenen Argumentationsstrukturen. Und was da sehr stark auffällt, das ist zum Beispiel die Distanzierung von der Gesellschaft. Das betrifft beide Gruppierungen. Die wird auf unterschiedliche Weisen propagiert, aber eine grundlegende Basis ist, ist eine Verschwörungserzählung, dass seit Jahrzehnten in Deutschland Medien und die Politik, und damit begreift man nicht nur rechtsgerichtete Medien, sondern auch die öffentlich-rechtlichen Medien und etablierte Parteien eine Hetze gegen den Islam führen, antimuslimischen Rassismus und Islamfeindlichkeit fördern und die Bevölkerung umerziehen. Und man würde das jetzt auch sehr deutlich sehen, dass das zu Erfolg geführt hat. Und ja, diese Verschwörungserzählung geht nun weiter dahin, dass man in der Jetztzeit Pogrome befürchten müsse, vergleichbar mit dem, was Juden erlebt haben in Deutschland und quasi die Muslime und Musliminnen in Deutschland die neuen Juden seien, das wird auch so formuliert in den Videos. Das ist also letztendlich eine Basis, also Distanzierung von dieser Gesellschaft. Und es geht dann weiter in verschiedene Detailbereiche, Misogynie zum Beispiel, Ablehnung von LGBTQ, Gleichstellung der Frau oder das Rollenverhältnis Mann – Frau, Familie, das sind also ganz feste Themen. Auch weiterhin, Antisemitismen sind zu finden in diesem Bereich. Eine klare Feindstellung gegenüber dem sogenannten Westen, wie auch Demokratie als unvereinbare Gesellschaftsform gegenüber einem Islam, wie Sie ihn interpretieren, ist ein weiteres, sehr großes Feld und dann eine säkulare Einstellung. Ein weiteres Feindbild, was entwickelt wird, das sind andersdenkende Muslime und Musliminnen, ob sie nun eher auf intellektueller Basis unterwegs sind oder sich in der Gesellschaft beteiligen. Dann gelten sie als Verräter gegenüber dem Islam oder als Handlanger auch dieser Verschwörungsgeschichte. Dann sind dort als Feindbilder natürlich auch noch andere Strömungen im Islam zu sehen.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Das heißt also, diese Schlussfolgerungen, die aus einer Gesellschaftskritik oder Medienkritik dann gezogen wird, ist dann schlussendlich auch das Entscheidende, wo so eine Art Grenze verläuft zwischen legitimer Kritik und eben antidemokratischen Positionen?

 

Friedhelm Hartwig (modus | zad): Ja, da kommt noch viel mehr dazu. Es ist ja ganz klar eine pauschale Ablehnung, man findet kaum Differenzierungen, letztendlich ein ganz klares Schwarz-Weiß-Bild. Wir und die Anderen. Und man muss sich ganz klar entscheiden. Es geht immer ums Ganze. Paradies oder Hölle? Und man findet sehr viele demagogische und populistische Muster, die also dann ganz und gar nicht einer komplexen Problematik gerecht werden, einer komplexen Fragestellung zu all diesen schwerwiegenden gesellschaftlichen Themen. Letztendlich fragt man, es läuft was falsch oder man inszeniert auch Krisen, übersteigert sie, dann fragt man „Wer ist schuld?“ Und letztendlich gibt es dann einen Handlungsaufruf, der nicht unbedingt eine Lösung ist, sondern zur totalen Konfrontation führt.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Wir haben vorhin schon gesagt, dass es eigentlich ohne soziale Medien gerade nicht funktioniert, die islamistische Szene. Würdest du sagen, das trägt auch zu einem Mainstreaming dieser Positionen bei? Weil die Zahlen von den Anhänger*innen aus dem, ich sag mal, Verfassungsschutzbericht, unterscheiden sich ja sehr stark zu den Zahlen, die von Teilnehmenden von Demonstrationen.

 

Friedhelm Hartwig (modus | zad): Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Wir gehen ja kombiniert vor, empirisch und qualitativ. Da sind wir auf der Akteursebene, auf der Akteursseite in einem relativ sicheren Bereich, so dass wir sagen können, dass also im deutschsprachigen Raum es eine Dominanz dieser Informationen aus dem salafistischen und islamistischen Bereich zum Islam gibt und letztendlich kaum alternative Angebote sichtbar sind, die weiter differenzieren oder andere Positionen vertreten. Also wer sich im Internet zum Islam im deutschen Sprachraum informieren möchte, der hat überwiegend salafistisch islamistische Antworten, die ihm präsentiert werden. Das kann jeder mit einer ganz einfachen Googlesuche ausprobieren oder mit einer Suche in den anderen sozialen Plattformen, die angeboten werden. Und diese Dominanz hat eine Basis, vor allem dann im salafistisch wahhabitischen Bereich. Wir haben dieses Jahr ein Monitoring für die bpb begonnen, im arabischsprachigen Raum, und welche Bezüge es im deutschsprachigen Raum gibt. Und zahlreiche Akteure aus dem deutschsprachigen Raum sind stark beeinflusst von Gelehrten, die in Saudi-Arabien hohe Ränge einnehmen. Also das ist das Informationsangebot. Was die Publikumsebene angeht, inwieweit das dieses Publikum das nun aufnimmt. Also da müsste man wirklich mal genauer nachsehen. Ob zum Beispiel ein Ibrahim Al-Azzazi mit seinem Frage-Antwort-Format tatsächlich Einfluss nimmt auf die Jugendlichen, die sich das anschauen, oder er nicht auch eine Witzfigur ist, was man in den Kommentaren ja auch lesen kann. Die einen finden das ganz toll, was er macht und andere machen sich darüber auch lustig oder regen sich auch auf. Denn er ist ja zum Beispiel auch jemand, der als Gelehrter auftritt wie viele andere, ohne dass er wirklich nachweisbar eine theologische Ausbildung abgeschlossen hat. Aber das Informationsangebot, klar, das ist also nahezu zu 100 % salafistisch wahhabitische Dominanz.

 

Ulrike Hoole (KN:IX): Das heißt, man trifft sehr leicht im Netz auf extremistische Inhalte, einfach weil diese so präsent sind. Außerdem führen die Algorithmen und Funktionen dazu, dass man in den sozialen Medien oft gar nicht gezielt nach islamistischen Inhalten suchen muss, um mit ihnen in Kontakt zu geraten. So kann es zum Beispiel sein, dass unter einem Hashtag sowohl unverfängliche Kochrezepte als auch extremistische Inhalte zu finden sind. Das bezeichnet man als zufällige Rezeption. Was das für die Prävention heißt und wie er die Relevanz der großen Social-Media-Plattformen für die praktische Arbeit einschätzt, haben wir Ahmet vom Projekt Local Streetwork On/Off des Vereins AVP e. V. gefragt.

 

Ahmet (Local Streetwork On/Off): Instagram ist aus unserer Sicht als Plattform wertvoll und äußerst relevant. Menschen, die als online Streetworker zugegen sind, für die ist diese Plattform, dieses Medium nicht wegzudenken, da die eigene Zielgruppe höchstwahrscheinlich sich dort auch aufhalten wird. Die Community ist äußerst heterogen, eine große Bandbreite an Interessen wird abgedeckt. Dementsprechend also, Kochtutorials finden wir, es finden sich Mode-Influencer, aber auch meinungsbildende Seiten, wie man sich vorstellen kann, darunter auch salafistischer Content. Und algorithmisch wird das, was Instagram an Interesse bei mir feststellt, natürlich immer wieder im Feed hochgeladen. Und da entsteht dann die weit bekannte Filterblase, sodass Informationen jenseits dieser eigenen Interessen isoliert werden und wir dort keine Zugänge haben. Dementsprechend ist es wieder sehr wertvoll und wichtig, dass online Streetworkende auf diesen Plattformen zugegen sind. Weil, wenn nur eine einseitige, ich nenne es einmal Berichterstattung die Folge ist, dann ist es wichtig, dass Menschen, die sich dessen bewusst sind und geschult sind, pädagogisch gutes Werkzeug in der Hand haben, dort auch zugegen sind. Dementsprechend haben wir zwei Varianten der Strategie. Die erste Variante wäre, mit unseren Streetworkenden moderierend auf den jeweiligen salafistischen Seiten zu sein. Das heißt also, Content wird gepostet, der muss auch nicht zwangsläufig negativ konnotiert sein oder auch extremistisch sein im schlimmsten Falle, sondern es geht darum, was macht die Community daraus? Und wir begeben uns dann in die Kommentarspalte und unterhalten uns dort mit der Community, mit den Userinnen und Usern und versuchen die Meinungen konstruktiv, gesellschaftsbejahend zu leiten, zu kanalisieren. Die zweite Variante wäre, eigenen Content herzustellen, also eine eigene Seite zu haben. Da gibt es natürlich die Möglichkeit, entweder eine Spaßseite zu machen oder Informationsseite zu sein. Wir haben uns für beides entschieden. Beides zugleich zu haben, hat irgendwie so einen realitätsnäheren Bezug, weil man über ernste Themen sprechen kann, aber auch nicht so versteift ist, dass Spaß keinen Platz hätte. Das machen wir, das ist sehr wertvoll und wir sehen, dass die Arbeit auch fruchtet. Manchmal werden wir, wir sind ja Local Streetwork offline/online, auch offline auf der Straße Düsseldorfs erkannt mit dem Satz „Wir kennen euch aus Instagram“. Digitale Präventionsarbeit läuft also dahingehend, dass wir viel Monitoring machen, direkt ins Gespräch gehen, aber auch das Gespräch mit uns gesucht wird, wir uns die Sorgen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen anhören, systemisch beraten, online wie auch offline.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Einen ähnlichen Ansatz verfolgen auch Hannah und ihre Kolleg*innen vom Modellprojekt Digital Streetwork Stuttgart der Stuttgarter Jugendhaus Gesellschaft.

 

Hannah (Digital Streetwork Stuttgart): Onlineräume, wie sie dann auf Instagram oder eben auch auf TikTok entstehen, sind schlicht jugendliche Sozialräume. Das heißt, das sind Orte, an denen dann Interaktion, an denen Kommunikation und an denen vor allen Dingen auch jugendliche Identitätsbildung stattfindet. Wir verstehen online Räume also als Erweiterungen von jugendlicher Lebenswelt, und uns ist das ganz, ganz wichtig, in unserer Präventionsarbeit die online Räume eben nicht nur wahrzunehmen, aber vor allen Dingen auch ernst zu nehmen. Einfach auch, weil wir glauben, dass wir nur so den gewachsenen, medialisierten Lebensrealitäten von Jugendlichen überhaupt noch entsprechen können und auch nur so dann tatsächlich auch pädagogisch langfristig handlungsfähig bleiben. Und dazu kommt, dass extremistische Akteure eben ganz genau um die Bedeutung von Social Media für Jugendliche wissen. Das bedeutet, dass Sehgewohnheiten, Nutzungsgewohnheiten, aber auch Plattformlogiken als solche, einfach für die eigenen Zwecke missbraucht werden und man auch generell sagen kann, dass Jugendliche eben online super einfach mit Ideologiefragmenten in Berührung kommen. Häufig passiert das auch einfach quasi nebenbei. Und die sind gar nicht unbedingt als solche zu erkennen, weil sich über Alltagsfragen angenähert wird. Das bedeutet für uns als Präventionsangebot, dass wir schon allein deswegen online aktiv und präsent sein müssen, weil wir die online Räume eben nicht den extremistischen Akteuren überlassen können. Grundsätzlich gesprochen ist Radikalisierung ja ein Prozess, der also im Kleinen beginnt. Und wenn man sich anschaut, welche Faktoren Radikalisierung begünstigen, dann geht es dabei ganz oft um so klassische jugendliche Orientierungslosigkeit oder Fragen nach dem großen Sinn. Und unsere Strategie von Digital Streetwork Stuttgart setzt eben genau dort an und bietet Jugendlichen bei diesen niederschwelligen Themen Unterstützung. Das bedeutet, grob zusammengefasst besteht unsere Onlinearbeit vor allen Dingen darin, Jugendliche mitsamt ihrer Problemartikulationen erst mal grundsätzlich wahrzunehmen, ihnen Gehör zu schenken und ihnen dann auch einfach auf Augenhöhe einen Gesprächsangebot zu machen. Wir erleben, dass dabei gerade diese Anonymität oder die zumindest gefühlte Anonymität, die in den sozialen Medien gegeben ist, eine große Chance sein kann, weil dadurch Hürden zur Kontaktaufnahme abgebaut werden. Und gleichzeitig erleben wir das online sein auch insofern als wahnsinnig produktiv, weil dadurch Menschen und auch ganze Menschengruppen angesprochen werden können, die wir mit regulären, mit analogen Angeboten ja überhaupt gar nicht erreicht hätten.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Du hattest es schon angesprochen mit den Thema Suche nach Inhalten zu Religion. Wenn wir uns der Nachfrageseite widmen, was würdest du sagen, sind Bedürfnisse von Jugendlichen, die eben durch diese Gruppen auch aufgegriffen werden?

 

Friedhelm Hartwig (modus | zad): Ja, das sieht man sehr deutlich, gerade auch in diesem Jahr an den steigenden Aufrufzahlen. Wir sprechen quasi von einer Zäsur, und zwar in der Weise, dass wir die Werte für eine mittlere Aufmerksamkeit und eine überdurchschnittliche Aufmerksamkeit pro Video sehr stark erhöht haben. Also überdurchschnittliche Aufmerksamkeit jetzt so etwa bei 70.000 Views pro Videos und vorher war das die Grenze, so bei 30 bis 50.000. Und die Zahl der Videos, die überdurchschnittliche Aufrufzahlen erreichen, hat sich auch verdoppelt. Und ich führe das zurück auf das hohe Interesse nach Sinnsuche, nach Informationen zum Islam oder zur Religion überhaupt, auch auf eine Auseinandersetzung zwischen Glauben und einer primär säkularen oder auch noch in Teilen christlich geprägten Gesellschaft. Und da gibt es offenbar Jugendliche, aber auch junge Erwachsene, das will ich jetzt gar nicht ausschließen, denn die Zielgruppe vieler Angebote sind auch junge Familien oder im Beruf Stehende. Da gibt es offenbar ein hohes Interesse. Und die Akteur, die reagieren auch darauf. Marcel Krass zum Beispiel, in diesem Jahr sehr erfolgreich durch ein sehr formales und institutionelles Auftreten mit seinen beiden Kanälen Deen Akademie und Föderale Islamische Union. Das kommt sehr, sehr gut an, und es gibt ja von sehr vielen Kanälen Akademiegründungen, wo man Kurse zu Lebenshilfe anbietet, aber auch religiös orientierte Kurse, wie rezitiere ich den Koran richtig, also die Kunst des Tajweed, aber auch eher Ehekurse       oder Life Coaching und dann immer gekoppelt daran, wenn ihr den wahren Islam annehmt, dann werdet ihr da erfolgreich sein und euer Leben optimieren. Also da gibt es ein sehr, sehr großes Interesse, offenbar. Und man erlebt das dann in den Kommentaren auch, die vielen Fragen und Nachfragen.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Um noch einen Blick in die Zukunft zu werfen, würde ich dich fragen wollen, was es deiner Meinung nach braucht, um zukünftig auch gutes Monitoring in dem Bereich gestalten zu können?

 

Friedhelm Hartwig (modus | zad): Ja, Konstanz in der Planung natürlich. Also wir sind ja auch nur ein kleines Team, das sich jetzt mit Jahresverträgen finanziert. Wir haben jetzt seit 2019 ein Know-how aufgebaut, das wir sukzessive in kleinen Schritten, in viel zu kleinen Schritten und viel zu langsam, so finde ich, Jahr für Jahr modifizieren und ausbauen konnten. Und es muss ein konsequenter Ausbau da stattfinden und eine Kontinuität begründet werden, wo wir quasi das Social-Media-Orchester systematisch weiter erschließen. Denn die Kanäle gehen in Kombination mit einer gezielten Kommunikationsstrategie vor; was können sie sich wo erlauben und bauen sukzessive das auf unterschiedliche Plattformen aus. Also wir haben jetzt zurzeit YouTube, Instagram und TikTok im Fokus. Telegram müsste dazukommen und auch Facebook, das ist ein Resultat unseres Arabisch-Monitorings mit Einflüssen auf den deutschsprachigen Bereich. Und dann kommen wir zu einem dritten Punkt. Man ist ja nicht auf den deutschsprachigen Raum fixiert, sondern der englischsprachige Raum, der arabischsprachige Raum, mit seinen Einflüssen, müssten unbedingt hinzukommen. Und ein dringender Wunsch bei mir ist auch, die Datenanalyse auszubauen, also die technischen Möglichkeiten, die jetzt schon gegeben sind und diese Instrumente dann auch weiter verschärfen. Und ein vierter Faktor, da kommen wir zu den allgemeinen Mustern, also Demagogie, Populismus oder auch die Techniken von Propaganda. Da haben wir dann auch starke Schnittpunkte mit phänomenenübergreifenden Bereichen im Rechtspopulismus, Rechtsextremismus.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Danke dir noch mal für die Zusammenfassung von dem, was gutes Monitoring auch in Zukunft braucht. Denn, ja von unsen Mitgliedsorganisationen hören wir auch immer wieder, dass der Bedarf wirklich da ist an Monitoring, an Aufbereitung dieser Themen. Vielen Dank, dass Du heute mit uns dazu gesprochen hast.

 

Friedhelm Hartwig (modus | zad): Vielen Dank für die Einladung.

 

Charlotte Leikert (KN:IX): Was Friedhelm gerade über die Bedingungen für ein gutes Monitoring gesagt hat, gilt ebenso für die Präventionsarbeit. Welche Rahmenbedingungen es für gute Onlineprävention braucht, haben wir Jamuna Oehlmann, die Co-Geschäftsführerin der BAG RelEx, gefragt.

 

Jamuna Oehlmann (BAG RelEx): Präventionsarbeit muss da stattfinden, wo sich Jugendliche aufhalten. Und das wissen die Mitgliedsorganisationen der BAG RelEx, die schon seit Jahren in der Präventionsarbeit Erfahrung haben. Und deswegen gibt es eben auch unterschiedliche Präventionsprojekte, die sich im digitalen Raum bewegen. Die digitale Präventionsarbeit soll in keinem Fall die Offlinearbeit ersetzen, sondern als Ergänzung verstanden werden bzw einfach andere Zielgruppen erreichen. Und es braucht eben unterschiedliche Methoden und Ansätze für die Projekte, weil auch nicht jede Person sich von dem gleichen Projekt angesprochen fühlen mag. Und, genau, in der BAG RelEx haben wir regelmäßige Austauschrunden, wo die Mitgliedsorganisationen über die Methoden diskutieren. Das ist wirklich wichtig für die Weiterentwicklung im Arbeitsbereich insgesamt. Und in diesen Runden wurde klar: auch Onlinepräventionsarbeit braucht Rahmenbedingungen und Standards. Und die wollen auch formuliert und publiziert werden. Also haben wir das getan und haben uns regelmäßig zum Austausch getroffen und wirklich auch hinterfragt; wie funktionieren die Methoden, wie erreicht man die Zielgruppen? Und da wurde deutlich, dass die Projekte vor einige Herausforderungen gestellt sind. Zum Beispiel die Arbeitszeiten, nachts zu arbeiten, wenn Jugendliche online sind oder eben die hohen Anforderungen an die Mitarbeitenden. Denn es geht neben den Inhalten natürlich auch darum, Reels zu produzieren, für Instagram zum Beispiel. Also muss man Videoschnitt können, digitale Kommunikation, neben den Fähigkeiten der Beratung. Und für die erfolgreiche Umsetzung der Onlineprojekte ist neben dem Know-how der Mitarbeitenden auch der gute Kontakt zu Fördermittelgebern wichtig und auch idealerweise zu Tech-Unternehmen, Plattformbetreibern. Zu den Geldgebern, weil sich die Bedingungen schnell ändern können, weil Themen und Trends sehr schnelllebig sind und hierauf reagiert werden muss. Gleichzeitig ist es so, dass die Förderlaufzeiten möglichst lange sein sollten, denn es ist nicht leicht, die Zielgruppen zu erreichen. Und hier muss man einfach an Bord bleiben und eben auch die Rückendeckung der Geldgeber haben. Und der gute Kontakt zu den Tech-Unternehmen, weil die Plattformen die Verantwortung tragen für die Inhalte, die dort verbreitet werden. Und wenn nicht bekannt ist, welche Inhalte potenziell gefährdend sind für Jugendliche, dann kann das auch nicht verhindert werden. Das heißt, hier ist der gute Austausch mit den Plattformbetreibern wirklich essenziell, um auch langfristig gegen Radikalisierung und Hass im Netz vorgehen zu können.

 

(Musik)

Ulrike Hoole (KN:IX): In der heutigen Folge von KN:IX talks haben wir uns genauer angesehen, welche Akteure aus dem islamistischen Spektrum in den sozialen Medien aktiv sind. Dazu haben wir mit Friedhelm Hartwig gesprochen, der die Szene seit Jahren beobachtet. Dabei ging es unter anderem darum, wie präsent islamistische Akteure und Inhalte online sind und wie geschickt sie neue Plattformen oder Formate nutzen. Gerade die Kombination von Themen und Formaten ist es, was vor allem bei Jugendlichen so gut ankommt und sie in ihrer Lebensrealität abholt. Das ist die Stelle, an der Präventionsprojekte ansetzen und mit Jugendlichen niedrigschwellig in Kontakt treten können. Onlinepräventionsarbeit ist in der heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken. Welche Ansätze und Standards es in dem Bereich gibt, haben wir mit der Mitgliedschaft der BAG RelEx erarbeitet. Den Link zur Publikation finden Sie in den Shownotes. Oft haben Fachkräfte in der Präventionsarbeit gar nicht die Zeit, aufwendig zu recherchieren, welche Trends oder Akteure gerade eine Rolle spielen. Dafür gibt es zum Beispiel das Monitoring von modus | zad oder das Angebot KN:IX plus, das Informationen zusammenfasst und einordnet. Praktiker*innen der Islamismusprävention können es nach der Registrierung auf der Webseite nutzen, die wir für Sie in den Shownotes verlinkt haben.

 

Charlotte Leikert Es bleibt zu sagen: Soziale Medien sind per se nichts Schlechtes. Selbstbestimmt Inhalte zu erstellen, sich mit anderen auszutauschen, eine größere Menge an Menschen zu erreichen, all das sind ja auch Dinge, die wir gerne nutzen und die viele Chancen mitbringen. Das zeigt, dass es nicht darum geht, soziale Medien zu verbieten oder zu verteufeln. Vielmehr ist es wichtig, dass wir, ob Jugendliche oder Erwachsene, das Thema Medienbildung und Medienkompetenz ernst nehmen und lernen, mit den Technologien umgehen zu können. Wie wichtig es ist, sich auch mit dem Thema Hatespeech im Internet zu beschäftigen, darüber spricht in Folge 21 unsere Kollegin von ufuq.de mit Holger Marks.

Vielen Dank fürs Zuhören. Wir freuen uns, wenn Sie auch beim nächsten Mal wieder dabei sind. Ihnen hat der Podcast gefallen. Dann empfehlen Sie uns gerne weiter!

(Hintergrundmusik)

Inhaltliche Vorbereitung, Moderation und technische Umsetzung: Charlotte Leikert und Ulrike Hoole. Postproduktion: Malte Fröhlich. Darüber hinaus möchten wir uns bei unseren Kolleg*innen von Digital Streetwork Stuttgart und Local Streetwork Online/Offline sowie bei Jamuna Oehlmann von der BAG RelEx bedanken.

 

(Musik)

Charlotte Leikert (Outro KN:IX talks):  Sie hörten eine Folge von KN:IX talks, dem Podcast zu aktuellen Themen der Islamismusprävention.

KN:IX talks ist eine Produktion von KN:IX, dem Kompetenznetzwerk „Islamistischer Extremismus“. KN:IX ist ein Projekt von Violence Prevention Network, ufuq.de und der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus, kurz BAG RelEx.

Ihnen hat der Podcast gefallen? Dann abonnieren Sie uns und bewerten KN:IX talks auf der Plattform Ihres Vertrauens! Wenn Sie mehr zu KN:IX erfahren wollen, schauen Sie doch auf unserer Website www.kn-ix.de vorbei. Und wenn Sie sich direkt bei uns melden wollen, dann können Sie das natürlich auch machen, mit einer E-Mail an info [at] kn-ix.de. Wir freuen uns über Ihre Anmerkungen und Gedanken.

KN:IX wird durch das Bundesprogramm Demokratie leben! des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Weitere Finanzierung erhalten wir von der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung in Sachsen-Anhalt, der Landeskommission Berlin gegen Gewalt und im Rahmen des Landesprogramms Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus.

Die Inhalte der Podcast-Folge stellen keine Meinungsäußerung der Fördermittelgebenden dar. Für die inhaltliche Ausgestaltung der Folge trägt der entsprechende Träger des Kompetenznetzwerks „Islamistischer Extremismus“ die Verantwortung.

Weiterführende Links

modus|zad – Basismonitoring
https://modus-zad.de/schwerpunkte/monitorings-trendanalysen/basis-monitoring-2022-23/

Zukunftswelten (Suttgarter Jugendhaus gGmbH)
http://zukunftswelten.net

Local Streetwork Online/Offline (AVP e. V.)
https://www.localstreetwork-onoff.de

BAG RelEx
http://bag-relex.de

JIM-Studie 2023
https://www.mpfs.de/studien/jim-studie/2023/

ARD/ZDF-Onlinestudie 2022
https://www.ard-zdf-onlinestudie.de

Den Podcast hören auf