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Folge #30 | Hizb ut-Tahrir in Großbritannien – Zum Für und Wider von Verbotsverfahren islamistischer Organisationen

Anfang dieses Jahres wurde die islamistische Organisation Hizb ut-Tahrir (HT) in Großbritannien verboten. Was sind die Vor- und Nachteile des Verbots dieser Gruppe für die Prävention von Islamismus in Großbritannien? Welche Schlüsse können wir daraus für Entwicklungen in Deutschland ziehen? In Folge #30 von KN:IX talks sprechen wir über diese Fragen mit Dr. Hans Jakob Schindler, Leiter des Counter Extremism Projects (CEP).

Verbote von islamistischen Gruppen werden in Debatten um Prävention und Demokratieförderung oft kontrovers diskutiert. Welche Auswirkungen solche Verbotsverfahren haben, kann man unterschiedlich sehen. Auch gehen europäische Staaten sehr unterschiedlich mit islamistischen Organisationen um. Wir schauen uns die Hintergründe und Entwicklungen um das Verbotsverfahren der Hizb ut-Tahrir in Großbritannien daher genauer an.

 

Im Podcast zu Gast

Dr. Hans-Jakob Schindler arbeitet als Senior Director beim Counter Extremism Project (CEP) und sitzt in den Aufsichtsräten verschiedener internationaler Organisationen mit Schwerpunkt Terrorismusbekämpfung und Abwehr von Terrorismus- und Extremismusfinanzierung. Zuvor war er im akademischen Bereich, bei der Bundesregierung, im Privatsektor und als Berater für Terrorismussanktionen des UN-Sicherheitsrates tätig. Er studierte in Tübingen, Georgetown, St Andrews und Tel Aviv und schrieb seine PhD Arbeit (St Andrews) zu internationalem Terrorismus.

Transkript zur Folge

(Musik im Hintergrund)

Hans-Jakob Schindler: Verbote sind keine Silver Bullet, wie es im Englischen heißt. Nur weil ein Verein verboten wird, ein Betätigungsverbot oder eine Proscription gemacht wird in Großbritannien, ist damit natürlich ideologisch, was die innere Sicherheit angeht, die Gefahr nicht gebannt. Aber, man braucht solche Verbotsverfahren, ich sage immer, um die guard wealth der Demokratie zu definieren. Was ist akzeptabel, ungefährlich und einfach nur eine seltsame Meinung? Und die kann sehr seltsam sein und die kann auch extrem schädlich langfristig sein. Und was ist gefährlich? Also es geht hier nicht um die Begrenzung der Meinungsfreiheit, sondern um den Schutz der Demokratie.

(Musik Intro KN:IX talks)

 

Charlotte Leikert (KN:IX Intro): Herzlich willkommen zu KN:IX talks, dem Podcast zu aktuellen Themen der Islamismusprävention. Bei KN:IX talks sprechen wir über das, was die Präventions- und Distanzierungsarbeit in Deutschland und international beschäftigt. Für alle, die in dem Feld arbeiten oder immer schon mehr dazu erfahren wollten. Islamismusprävention, Demokratieförderung und politische Bildung. Klingt interessant? Dann bleiben Sie jetzt dran und abonnieren Sie unseren Kanal. KN:IX talks, überall da, wo es Podcasts gibt.

(Musik Intro KN:IX talks)

 

Judith De Santis (KN:IX): Einen schönen guten Morgen wünsche ich. Ich begrüße Sie zur 30. Folge von KN:IX talks. Mein Name ist Judith De Santis, ich verantworte die Folgen für ufuq.de. Schön, dass Sie zuhören. In dieser Staffel unseres Podcasts schauen wir auf globale und transnationale Entwicklung im Phänomenbereich Islamistischer Extremismus. Und ich hoffe, Sie haben schon in die vorangegangenen Folgen reingehört. In diesen hat sich die BAG RelEx mit islamistischen Akteuren und Machtkämpfen in Afghanistan auseinander gesetzt und die Kolleginnen von Violence Prevention Network mit türkischem Ultranationalismus. In dieser Folge geht es um das Für und Wider von Verbotsverfahren islamistischer Organisationen. Und das besprechen wir anhand einer ganz bestimmten Gruppierung: In Deutschland ist sie seit 2003 verboten – ganze 21 Jahre sind das mittlerweile -, in Großbritannien gilt jetzt seit Anfang dieses Jahres ein Betätigungsverbot. Die Rede ist von der Hizb ut-Tahrir, auch abgekürzt als HT, eine globale islamistische Bewegung mit Ablegern in mehr als 40 Ländern. Es ist eine Organisation, die sich selbst als gewaltfreie politische Partei bezeichnet, deren Ziel es sei, Muslim*innen auf friedlichem Weg unter einem weltumspannenden Kalifat zu vereinen. Verbote von islamistischen Gruppen werden in Debatten um Prävention und Demokratieförderung oft kontrovers diskutiert. Welche Auswirkungen solche Verbotsverfahren haben, kann man unterschiedlich sehen. Auch gehen europäische Staaten sehr unterschiedlich mit islamistischen Organisationen um.

Umso interessanter ist es, sich einmal die Hintergründe und Entwicklungen um das Verbotsverfahren der Hizb ut-Tahrir in Großbritannien anzuschauen. Was sind die Vor- und Nachteile des Verbots hinsichtlich der Prävention von Islamismus? Und welche Schlüsse können wir daraus für Entwicklungen in Deutschland ziehen? Darüber spreche ich heute mit Hans-Jakob Schindler. Er leitet das Counter Extremism Project, das CEP, eine gemeinnützige, überparteiliche und internationale Organisation, die das Ziel verfolgt, extremistischen Ideologien entgegenzuwirken und pluralistisch-demokratische Kräfte zu stärken. Seine Arbeitszeit im CEP teilt sich Herr Schindler zwischen Berlin und New York auf. Für KN:IX talks hat er die Zeit gefunden, heute zu mir ins Studio in Berlin zu kommen, das freut mich sehr. Hallo Herr Schindler, schön, dass Sie hier sind.

 

Hans-Jakob Schindler: Hallo. Vielen Dank, dass ich da sein darf.

 

Judith De Santis (KN:IX): Was genau ist denn die Hizb ut-Tahrir und wie relevant ist sie als Bewegung, speziell in Großbritannien?

 

Hans-Jakob Schindler: Die Hizb ut-Tahrir ist schon eine sehr interessante Bewegung. 1953 gegründet durch einen Palästinenser in Jordanien, aber mit panislamischem Ansatz. Das heißt, das Palästinenserthema spielt zwar auch eine Rolle in der Ideologie der Organisation, aber das Ziel ist, interessanterweise, ähnlich wie beim Islamischen Staat (IS), die Errichtung eines weltweiten Kalifats. Im Unterschied zu dem IS, der 100 % auf Gewalt setzt, was die Errichtung des Kalifats angeht, hat die Hizb ut-Tahrir, die auch starke Beziehungen zu den Muslimbrüdern hatte, diese grundlegende Strategie der Muslimbrüder, eine Islamisierung von unten nach oben – der Einzelne, die Familie, der Clan, das Land, die Region und dann die gesamte Welt – gesetzt. Das heißt, eher nicht gewaltaffin, aber durchaus auch in der Lage, Gewalt zu befürworten.

 

Judith De Santis (KN:IX): Und was sind die Themen der Hizb ut-Tahrir?

 

Hans-Jakob Schindler: Die Hizb ut-Tahrir ist Teil einer Ideengeschichte, die im späten 19. Jahrhundert losgeht. Die erste große Frage, die da aufgekommen ist, ist eigentlich eine relativ logische Frage. Da wurde darüber nachgedacht: Wie kann es eigentlich sein, dass im 6., 7., 8., 9. Jahrhundert die islamische Welt dominierend war in der Wissenschaft, in der Politik, aber auch militärisch. Und jetzt findet sich die gesamte islamische Welt in einer Situation, wo sie kolonisiert ist durch die Europäer. Und was ist jetzt eigentlich schief gelaufen in der Zwischenzeit? Und die Antwort – jetzt mal ganz vereinfacht, ist natürlich sehr viel komplexer und sehr viel detaillierter ausgearbeitet worden – aber die Antwort war: nicht genug Islam. Wir haben uns von den Grundwerten der Religion entfernt und wir müssen wieder zurückfinden. Also die Rückkehr zum reinen Islam, aber auch die Kritik an den Versuchen der islamischen politischen Führer, hier die besseren, oder so ähnlich wie Europäer zu sein. Dass es eben nicht funktioniert. Das heißt, diese Grundfrage zieht sich durch alle islamistischen Bewegungen jeglicher Ausprägung, Muslimbrüder, von unten nach oben. Dann die Innovation, zum Beispiel durch den ägyptischen Islamischen Dschihad: Revolutionärer Islam, wir entfernen das Staatsoberhaupt und die Regierungsspitze. Dazu kommt es zu einer Revolution und deswegen wird dann auch der Staat islamisiert. Und so machen wir es in vielen Staaten und irgendwann setzt sich da eine Dynamik in Gange. Und dann die Ideen von Osama bin Laden, der sagt, diese Islamisierung, unten nach oben, geht nicht. Ihr lebt in Diktaturen, ihr seid verhaftet, bevor überhaupt irgendwas islamisiert wird. Und die revolutionäre Idee, ihr habt Assad umgebracht und es hat sich genau gar nichts geändert, weil er unterschätzt die Unterstützung der westlichen Staaten für diese Regime in unserer Region, in der islamischen Welt. Deshalb müssen wir die westlichen Staaten durch dauerhafte terroristische Anschläge strategisch, langfristig, ökonomisch und politisch schwächen. Dann ziehen sie sich aus der Region zurück und dann brechen die Systeme von alleine zusammen. Also insofern, in diesem grundsätzlichen Narrativ findet sich auch die Hizb ut-Tahrir wieder, aber eher auf der Seite Muslimbrüder, individuelle und dann erst kollektive Islamisierung.

 

Judith De Santis (KN:IX): Was ist die Anziehungskraft für Menschen heutzutage, sich der Hizb ut-Tahrir anzuschließen? Auch für Jugendliche?

 

Hans-Jakob Schindler: Da muss man unterscheiden. Wir reden ja heute hauptsächlich über Großbritannien. Da sieht es mittlerweile, was die Jugend angeht, etwas anders aus. In Großbritannien, in den 90er Jahren, hat die Hizb ut-Tahrir Stadien gefüllt; insbesondere auch junge Leute angesprochen, die sich von dieser Idee des reinen Islam, einer neuen Interpretation, angezogen gefühlt haben. Mittlerweile aber sind pakistanische Strömungen, insbesondere PRA levy, also eine Diskussion um die Liebe zum Propheten, Blasphemie – das sind die Netzwerke, die eigentlich die Jugend anziehen. Die Hizb ut-Tahrir, auch durch meine Kolleg*innen vom Counter Extremismus Project, die für uns in London und in Großbritannien arbeiten, klar beschrieben als eher die Alte-Herren-Riege mittlerweile. Also nicht mehr die Jugendbewegung, die die noch vor ein paar Jahren war. Da sind jetzt mittlerweile klar dominierend pakistanische Strömungen, die nicht mit der Hizb ut-Tahrir zusammenhängen. In Deutschland, interessanterweise, hat natürlich auch das Verbot dazu geführt, dass es tatsächlich Erneuerungen gegeben hat, mit Realität Islam, Generation Islam, die dezidiert Jugendliche ansprechen. Wo noch zu beweisen ist, dass es eine direkte Nachfolgeorganisation der Hizb ut-Tahrir in Deutschland ist – also, gerichtsfest nachzuweisen ist. Weil die zwei Organisationen nicht verboten sind. Aber klar ist, es ist ein ähnliches Gedankengut. Es geht um die Errichtung eines Kalifats und es ist eine sehr agile Onlinebewegung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, insbesondere Jugendliche anzusprechen. Also hier ist es eine umgedrehte Situation als in Großbritannien – wo die Hizb ut-Tahrir eben bis vor Kurzem noch nicht verboten war, aber die Organisation älter und auch in dem gesamten islamistischen Milieu schwächer geworden ist – ist es so, dass das Verbotsverfahren, was viel früher war in Deutschland, dazu geführt hat, dass man sich verjüngt, modernisiert hat.

 

Judith De Santis (KN:IX): Die Bewegung war oder ist in Großbritannien besonders stark vertreten. Wie ist das passiert, dass es so einen Fokus auf Großbritannien gab?

 

Hans-Jakob Schindler: Es ist schon klar, dass es natürlich in einigen Staaten in Europa auch Aktionen der Regierung gegen die Hizb ut-Tahrir gab, in Großbritannien nicht. In Großbritannien blieb eben über Jahre noch die Organisation unbehelligt und konnte deswegen besser agieren. Großbritannien hat eine große muslimische Community. Großbritannien ist wichtig, auch was Gelder im islamistischen Milieu über über Großbritannien hinaus angeht. Wir haben hier in Deutschland auch von islamistischen Organisationen finanzierte Moscheen, inklusive hier in Berlin, und da kommt immer wieder auch Geld aus Großbritannien. Also das ist so ein Umschlagplatz des islamistischen Milieus auch für Europa. Insofern ist es jetzt nicht ungewöhnlich, dass, wenn es auf der einen Seite hier, auf der Kontinent Seite von Europa, Druck erfährt, dass Großbritannien dann natürlich in seiner Wichtigkeit zunimmt.

 

Judith De Santis (KN:IX): In Deutschland unterliegt die Hizb ut-Tahrir ja schon seit 2003 einem Betätigungsverbot. Warum wurde die HT in Großbritannien jetzt verboten? Und warum gehen europäische Staaten so unterschiedlich mit solchen transnationalen Organisationen um?

 

Hans-Jakob Schindler: Da sind mehrere Punkte zu beachten. Das erste ist, dass es nicht der erste Versuch war, in Großbritannien die Hizb ut-Tahrir zu verbieten. Auch schon unter Tony Blair und Premierminister Brown wurden Versuche gestartet, aber dann wieder beendet. Argument damals war, wenn man Schreckbild eines Verbotsverfahrens aufrechterhält, dass dann möglicherweise moderatere Kräfte die Organisation insgesamt moderater gestalten. Das hat sich bei der Hizb ut-Tahrir leider nicht bewahrheitet. Jetzt konkret gab es das Verbotsverfahren, weil die Hizb ut-Tahrir globale Website regelmäßig, seit Oktober 2023, Hamas-Anschläge, Morde – das, was, was am 7. Oktober als pogromartiger Anschlag in Israel passiert ist – gefeiert und befürwortet hat. Und aus wirklich schwer nachvollziehbaren Gründen, hat sich die Hizb ut-Tahrir UK nicht von den Aussagen auf der Hizb ut-Tahrir globalen Webseite distanziert hat. Ihr sagt, ihr seid Teil der globalen Bewegung Hizb ut-Tahrir, es ist eine transislamische Bewegung. Also, sie ist gar nicht wirklich auf Palästinenser*innen konzentriert. Also das transnationale Element ist inhärent. Das ist hier ein Ableger, eine Außenstelle der weltweiten Organisation der Hizb ut-Tahrir. Und ihr distanziert euch nicht. Das heißt, der britische Staat sagt, wenn ihr euch nicht distanziert, dann sind das auch eure Aussagen. Und damit habt ihr Gewalt verherrlicht und zu Gewalt aufgerufen. Und damit haben wir jetzt die Grundlage, ein Verbotsverfahren umzusetzen. Da ist der große Unterschied zwischen einem deutschen. Betätigungs- und Vereinsverbot und einer Proscription in Großbritannien. Weil es in Deutschland eine administrative Definition von Extremismus gibt, auch im Bundesverfassungsschutzgesetz ist es im Artikel 3 verankert. Es geht hier im Kern darum, die freiheitlich-demokratische Grundordnung systematisch, nachhaltig und in organisierter Art und Weise zu unterminieren. Menschenwürde, freie Wahlen, Gleichheitsgebot usw. Also die Kernelemente des Grundgesetzes. Es muss für ein Vereins- und Betätigungsverbots nicht der Fall sein, dass das gewalttätig geschieht, weil wir gelernt haben, aus sehr schlechter Erfahrung, dass natürlich die Nationalsozialisten auch Gewalt angewendet haben, aber eigentlich demokratische Mittel genutzt haben, um die Demokratie in der Weimarer Republik zu stürzen. Insofern ist das Verständnis in Deutschland klar, dass man nicht einen gewalttätigen, revolutionären Umsturz braucht, um eine Demokratie zu beenden. In fast allen anderen Staaten, in der Welt, auch in der westlichen Welt, gibt es diese Kategorie des Extremismus de facto nicht. Also man ist Bürger, Krimineller oder Terrorist. Diese drei Kategorien gibt es. Dazwischen ist es sehr schwer, rechtlich was zu machen. Deshalb ist eine Proscription in Großbritannien sehr viel näher und notwendigerweise mit Terrorismus und Gewalt verbunden, wie es in Deutschland ist. Das heißt, sie müssen praktisch Terrorismus befürworten, organisieren, unterstützen, um in Großbritannien überhaupt in die Nähe eines Verbotsverfahrens zu kommen. Und das war bei der Hizb ut-Tahrir eben über lange Zeit nicht in so einer direkten Art und Weise der Fall, wie es eben seit dem 7. Oktober der Fall war.

 

Judith De Santis (KN:IX): Also es hat letztendlich mit den Strukturen zu tun, die in Großbritannien ganz anders sind als in Deutschland?

 

Hans-Jakob Schindler: Das hat auch damit zu tun, dass sich die Briten schwertun würden, die Grundsätze einer Verfassung zu definieren, die sie nicht haben. Großbritannien hat keine niedergeschriebene Verfassung, die haben viele Rechtsakte, beginnend mit der Magna Charta, aber kein Verfassungsdokument. Es gibt jetzt unter Michael Gove, das war so ziemlich das Letzte, was die konservative Regierung gemacht hat, tatsächlich auch eine Definition of Extremism der britischen Regierung, die auch durch die neue Regierung noch nicht wieder zurückgenommen worden ist. Aber es ist eben anders, als eine sehr tief verankerte, auch aus historischen Gründen, verankerte Extremismus-Definition im deutschen Recht, auf deren Grundlage dann auch Vereins- und Betätigungsverbote ausgesprochen werden können.

 

Judith De Santis (KN:IX): Halten Sie das Verbot für sinnvoll, für richtig?

 

Hans-Jakob Schindler: Also man muss einmal grundsätzlich sagen: Verbote sind keine Silver Bullet, wie es im Englischen heißt. Nur weil ein Verein verboten wird oder ein Betätigungsverbot oder eine Proscription gemacht wird in Großbritannien, ist damit natürlich ideologisch, was die innere Sicherheit angeht, die Gefahr nicht gebannt. Aber, es ist auch klar, ohne Verbotsverfahren oder Proscriptions, da wir in einem Rechtsstaat leben, ist der repressive Apparat des Staates, den man eben auch zur Bekämpfung von Extremismus braucht, machtlos. Also Sie brauchen eine Rechtsgrundlage. Sie können nicht irgendwie anfangen, irgendwelche Dinge zu durchsuchen oder zu erforschen oder Daten abzuspeichern, wenn es dazu keine Rechtsgrundlage gibt. Und in Deutschland, wenn ein Verein nicht verboten ist, ist er erlaubt, und das Vereinsgesetz und die Versammlungsfreiheit geschützt, und zwar verfassungsmäßig zum Teil geschützt. Insofern, ohne Vereinsverbot oder Betätigungsverbot können Sie gar nichts machen. Also nehmen wir mal an, die Hisbollah wäre eben nicht als Terrororganisation definiert worden. Dann könnte die Polizei nebendran stehen, während in einem Laden ganz offen Gelder für die Hisbollah gesammelt werden. In der Schweiz ist die Hamas keine Terrororganisation. Das heißt, die Hamas kann heute noch in Zürich Gelder sammeln. Wenn es nicht verboten ist in einer Demokratie, ist es expressis verbis erlaubt, und da Organisationen, auch Vereine, Teil der zivilgesellschaftlichen Säule jeder freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind, sind die auch besonders geschützt. Also das ist nicht so wie der Einzelne, sondern da müssen dann auch noch mal etwas höhere rechtliche Hürden überhaupt genommen werden, um irgendwas zu machen.

Deshalb, man braucht solche Verbotsverfahren, ich sage immer, um die guard wealth der Demokratie zu definieren. Was ist akzeptabel, ungefährlich und einfach nur eine seltsame Meinung? – Und die kann sehr seltsam sein und die kann auch extrem schädlich langfristig sein – Und was ist gefährlich? Also es geht hier nicht um die Begrenzung der Meinungsfreiheit, sondern um den Schutz der Demokratie. Vor welchen Strukturen muss sich eine Demokratie schützen? Weil von allen Ländern Europas haben wir jetzt die meiste Erfahrung, was das Beenden von demokratischen Strukturen angeht, durch zwei auch noch komplett gegensätzliche Ideologien. Insofern, wir sollten gelernt haben, dass es schlicht und ergreifend auch friedliche, nett aussehende, vielleicht sogar ansprechende Strukturen mit wilden Ideen gibt, die ganz gefährlich sein können.

 

Judith De Santis (KN:IX): Hier in Deutschland beobachtet der Verfassungsschutz Generation Islam und Realität Islam. Wie ist das in Großbritannien?

 

Hans-Jakob Schindler: In sehr viel geringerer Art und Weise, als es in Deutschland ist. In Deutschland eben durch diesen Paragraph 3, der definiert, wer Extremist ist und nicht. Gibt dem Bundesverfassungsschutz die Möglichkeit, hier Daten zu sammeln, mit dem Hinblick darauf zu prüfen, ob es sich hier um eine gesichert extremistische Bewegung oder Partei handelt, die dann im Idealfall auch verboten gehört oder nicht. Also es kann in beide Richtungen gehen. Aber da das BfV und das LfV auch nicht unendlich viele Ressourcen haben, ist es auch schon rein strukturell unmöglich, dass das BfV und LfV hier ständig übergriffig werden und Dinge beobachten, die es nicht beobachten sollen. In Großbritannien ist es eben das Problem, dass dann die Rechtsgrundlage sehr schwach ist. Sie müssen dann generell als Einzelner etwas tun, um gewalttätig zu sein, kriminell zu sein, Gelder zu waschen, Steuerhinterziehung zu realisieren. Also man muss sich mit anderen Instrumenten helfen, um eine Beobachtung hinzubekommen. Aber eine strukturelle, nachhaltige Beobachtung ist so in Großbritannien denn möglich, weil sie sind entweder Bürger, Kriminelle oder Terrorist.

 

Judith De Santis (KN:IX): Können Sie Channel und Prevent kurz umreißen? Die Strukturen in Großbritannien sind auf das Individuum ausgerichtet, anstatt auf Gruppierungen oder Organisationen?

 

Hans-Jakob Schindler: Ja, also eigentlich gar kein dummer Gedanke. Channel und Prevent sind eingeführt worden natürlich als Reaktion nach 9/11, aber dann wirklich nach den Attentaten in London 2005. Die Idee ist: Wir müssen früh, am besten relativ am Anfang erkennen, wenn sich Individuen individuell radikalisieren. Und deswegen – prevent – setzen wir die lokalen Communities in die Verantwortung, hier Informationen einzuholen, zu sammeln, als Anlaufstelle zu dienen, um Individuen, die sich in einem Radikalisierungsprozess befinden, zu erkennen. Und zwar Radikalisierung im Hinblick auf was, ist dann die Grundfrage. Deshalb mein Argument, dass es mit dem Verbot natürlich dann schwierig wird. Also in welche Richtung? Zu welcher Organisation? Weil die muss terroristisch sein. Also hier geht es auch nicht um Meinungsfreiheit, sondern um Terrorismusabwehr, aber in sehr frühen Stadien. Prevent ist dann der Verweis der Individuen in Deradikalisierungsprogramme, soziale Hilfe, psychologische Betreuung, um den Prozess umzudrehen. Channel ist dann schon die harte Version. Das heißt, das sind Individuen, wo absehbar ist, dass sie sich schon radikalisiert haben und jetzt die Gefahr besteht, dass sie möglicherweise terroristisch aktiv werden. Also eher in Richtung unserer Gefährder-Definition in Deutschland. Und deswegen, Channel heißt Sicherheitsdienste. MI5, Scotland Yard, regionale Polizei, die sich dann intensiv mit dieser Person beschäftigen. Aber die Kommune ist die Grundlage. Und da nutzt man in sehr geschickter Weise bestehende administrative Strukturen, ohne dass man etwas Neues aufbauen musste. Was notwendig war, war natürlich diese ganzen Kommunen, und da ist CEP zum Teil beteiligt, zu trainieren. Weil da geht es ja nicht nur um islamistischen Extremismus. Da geht es auch, mittlerweile, werden fast mehr Leute, die sich Richtung gewaltorientierten Rechtsextremismus in Großbritannien radikalisieren, im Prevent und Channel Programm behandelt, als es islamistische Terroristen und Extremisten sind.

 

Judith De Santis (KN:IX): Wenn Kommunen nicht die große Erfahrung haben oder nicht genug sensibilisiert sind, entsteht dadurch nicht vielleicht immer ein großer Aufschrei bei unterschiedlichsten Fällen, wo eigentlich überhaupt kein Extremismus oder eine Radikalisierung dahinter steckt? Sondern ein Jugendlicher, der sich nicht gesehen fühlt, der Probleme zu Hause hat?

 

Hans-Jakob Schindler: Ja, das ist große Argument. Also ich sage immer, zeigen Sie mir einen Terroristen, der keine Probleme hat. Also ein “well adjusted human being is unlikely to become a terrorist.” Alle haben die Probleme. Und dann ist die Entscheidung, ist die Lösung, das Abgleiten in Extremismus und Terrorismus. Oder schlicht und ergreifend, man hat die Probleme und bekommt es irgendwie anders hin. Insofern, es gibt keine Unterscheidung zwischen „well adjusted terrorists“ und „problematic terrorists“, „they are all problematic“. Erster Punkt. Zweiter Punkt: Klar, das ist die große Kritik auch an Prevent immer schon gewesen. Funktioniert es denn in der Darstellung? Natürlich wurde extrem viel Geld in die Ausbildung dieser lokalen Anlaufstellen investiert. Und jetzt würde ich sagen, sind kommunalangestellte Personen nicht weniger lernfähig als Civil Society angestellte Personen. Also die Lernkurve ist exakt gleich. Es kommt halt darauf an, wo sie ihr Geld herbekommen. Insofern sehe ich da jetzt keinen großen Unterschied. Wir reden jetzt nicht über das Innenministerium von Großbritannien. Wir reden über eine kommunale Stelle innerhalb einer Stadt. Und ob die jetzt staatlich finanziert wird, als Teil der Kommunalverwaltung oder Civil Society organisiert wird, aber auch von staatlichen Zuschüssen abhängig ist, ist dann eine Frage der Administration und nicht unbedingt der besseren Expertise.

(Musik KN:IX talks)

 

Judith De Santis (KN:IX): Welche Vor- und Nachteile sehen Sie bei solchen Verboten für die universelle Prävention von Islamismus?

 

Hans-Jakob Schindler: Die Probleme sind nicht nur beim Islamismus gleich. Das ist halt ein strukturelles Problem. Ein Verbotsverfahren ist eine repressive Maßnahme. Ob das jetzt eine Proscription in Großbritannien ist oder ein Vereinsverbot, was im Grunde genommen die legale Auflösung des Vereins ist. Oder ein Betätigungsverbot, das absolute Verbot von ausländischen Organisationen, in Deutschland tätig zu werden. Es ist klar, dass damit zunächst einmal die an der Oberfläche befindlichen, beobachtbaren Aktivitäten weg sind. Weil jetzt ist es illegal. Es ist auch klar, dass sich dann neue Strukturen über die Zeitschiene formieren werden. Deshalb gibt es sowohl in Großbritannien, als auch in Deutschland ein strafrechtliches Verbot, sich zu reorganisieren unter anderem Namen. Also wenn Sie verboten sind und dann am nächsten Tag das Gleiche machen, und sich irgendwie Gänseblümchen-Verein Südköln nennen, dann sind sie erstens trotzdem verboten und zweitens die Leute, die dafür verantwortlich sind, haben gerade einen Straftatbestand begangen. Also, administratives Recht schlägt dann über ins Strafgesetzbuch. Und da gibt es zwei Jahre. In Großbritannien sogar etwas mehr. Insofern, das ist schon ein hartes, administratives Element, das gewisse Visibilität wegnimmt. Aber nochmal: Es ist auch wichtig zu definieren, wo ist der verrückte, aber gefahrlose Bereich innerhalb der Demokratie? Und wo ist der verrückte und gefährliche Bereich einer Demokratie? Klar ist natürlich, keiner, der Mitglied eines verbotenen Vereins ist, ist dann zunächst super überzeugt, dass er sich als nächstes sofort deradikalisieren muss. Natürlich findet die gewisse Art Radikalisierung auch dadurch statt, dass er jetzt in die Illegalität gedrängt ist. Bei einigen besteht dadurch die Chance, dass man sagt, naja, okay, vielleicht habe ich es doch übertrieben und sind dann eher ansprechbar. Aber ganz sicher, bei all den anderen heißt es dann, jetzt erst recht. Also das heißt, man leistet da möglicherweise in einigen Fällen eben auch Vorschub einer weiteren Radikalisierung. Aber nochmal: Weder eine Silver Bullet, noch darf eine Demokratie jemals vor seinen Feinden überhaupt keine Instrumente haben, um sich zu wehren.

 

Judith De Santis (KN:IX): Worüber wir noch nicht geredet haben bei Nachteilen: So eine repressive Maßnahme könnte auch das islamistische Opfernarrativ verstärken. Sehen Sie das auch so?

 

Hans-Jakob Schindler: Das große Narrativ ist ja eh von allen Organisationen gleich: Man kann in Europa nicht als Muslim leben. Das haben die vorher gesagt, das werden die nachher sagen. Klar kann man immer sagen, man sollte das Opfernarrativ nicht befüttern. Aber nur weil man Organisationen nicht verbietet oder Vereine mit einem Vereinsverbot belegt, wird das Opfernarrativ nicht aufhören. Also netti netti sein mit Extremisten hat noch nie funktioniert.

 

Judith De Santis (KN:IX): Ein Verbot könnte muslimische Communitys vielleicht auch stigmatisieren.

 

Hans-Jakob Schindler: Also, gerade wenn wir uns das britische Beispiel angucken. Das war das Narrativ, warum Blair und Brown die zwei Versuche nicht weitergeführt haben. Und trotzdem sind wir 2024 in der Lage, wo die britische Regierung es doch durchsetzen muss. Also es ist ja nicht so, gerade im Fall Hizb ut-Tahrir, dass die nicht eine Dekade Chancen hatten, es anders zu machen und trotzdem das nicht passiert ist. Also insofern, zu sagen, jetzt warten wir mal. Genau das hat die britische Regierung gemacht. Genau das hat die britische Regierung gemacht. Und es gar keine Moderierung der Organisation passiert. Also die ersten Versuche waren unter Tony Blair, der ist schon etwas länger nicht mehr Premierminister. Und dann noch mal unter Brown. Und in beiden Fällen wurde intern der Prozess gestoppt mit dem Argument, wir wollen sie nicht isolieren, können wir vielleicht die ganze Organisation moderieren. Die wissen jetzt, dass sie auf der Liste stehen. Das muss doch Eindruck machen. Wir müssen einfach mit denen reden. Genau. Und 2024 sind wir dort, wo wir eigentlich schon damals waren.

Das heißt nicht, dass es immer ein Verbotsverfahren geben muss. Das heißt nicht, dass es nicht möglich ist, Organisationen zu einem moderateren Verhalten zu animieren. Aber wenn es hier um weltweite Netzwerke geht, wo das Programm als Ziel ein Kalifat hat. Dann ist echt schwer, zu sagen, okay, wie moderieren wir denn das? Schwierig. Gerade bei religiösen Ideologien ist es besonders schwierig. Weil wir hier über absolute Wahrheiten, die Transzendenz begründet sind, reden. Das heißt also, wenn ich wirklich überzeugt bin, dass das Gottes Wille ist, muss ich erst mal überzeugt werden, dass entweder ich oder Gott ein Fehler gemacht haben. Psychologisch ist es schwer zuzugeben, dass ich einen Fehler gemacht habe. Religiös ist es unmöglich zuzugeben, dass Gott einen Fehler gemacht hat. Gerade bei religiösen Ideologien ist dieses Argument, wenn Sie schon mal den Rubikon überschritten haben und in die Gefährlichkeit abgerutscht sind, schwierig, schwierig zu sagen, es moderiert sich dann doch irgendwie.

 

Judith De Santis (KN:IX): Wie könnte sich das Vereinsverbot in Großbritannien auswirken? In Deutschland gibt es Realität Islam, Generation Islam, über die man sagt, dass sie der HT nahestehen, ideologisch. Gibt es in Großbritannien auch solche Gruppen, die jetzt sichtbarer werden könnten oder sich jetzt gründen könnten?

 

Hans-Jakob Schindler: Ein Verbot heißt nicht, dass die Leute weg sind und dass die Ideologie weg ist. Es ist einfach nur eine strukturelle Maßnahme, um das Organisieren etwas schwieriger zu machen für diesen Bereich. Klar wird es Nachfolgeorganisationen geben. Im Moment ist es noch nicht wirklich obvious. Es hat aber auch damit zu tun, dass diese Zeit, wo die Hizb ut-Tahrir die treibende Kraft der jugendlichen Islamisten in London und Großbritannien war, eigentlich eher vorbei ist. Also insofern ist die Frage, wird sich jetzt Hizb ut-Tahrir, ähnlich wie in Deutschland, anders organisieren, modernisieren und Jugendliche wieder ansprechen? Tatsächlich hat der Kollege in London formuliert, es ist es ein „Old Boys Club at the moment.“ Es hätte einen riesigen Einschlag gegeben, eben in den 90er Jahren, als sie wirklich ein Massenbewegung waren. Aber die Jugendlichen von damals sind jetzt älter. Und es gab wohl nicht genug neue Jugendliche, um das Netzwerk zu füttern. Also insofern ist es eher die Rentnerriege, die jetzt einem Verbotsverfahren entgegensteht. Und es gibt für Jugendliche, die was machen wollen im islamistischen Milieu in Großbritannien, eben schon andere Angebote.

 

Judith De Santis (KN:IX): Blicken wir nach Deutschland: Jetzt ist die Hizb ut-Tahrir in Deutschland schon lange verboten. Aber es gibt Organisationen wie Muslim Interaktiv, Realität Islam, Generation Islam, die der Hizb ut-Tahrir nahestehen, ideologisch, und weiter aktiv sind. Also nicht verboten sind. Was hat das Verbot dann eigentlich gebracht? Und was können wir den Narrativen von der HT und vergleichbaren Gruppierungen im Rahmen der universellen Präventionsarbeit entgegensetzen?

 

Hans-Jakob Schindler: Hier kommt die traurige Nachricht: Ein Verbotsverfahren ist immer der Anfang eines neuen Verbotsverfahrens. Das ist ein Prozess, den Sie immer wieder wiederholen müssen, wenn Sie nachhaltige Wirkungen in diesem Bereich der gefährlichen Extremismen erreichen wollen. Demokratie hat nie gewonnen, sie muss sie ständig verteidigen. Weil auch die Extremisten die Demokratie abschaffen wollen, auch ständig das versuchen werden, auch in Zukunft versuchen werden. Nochmal, keine Silver Bullet. Nur weil man einen Verein verboten hat, ist das Problem nicht gelöst. Die Leute sind da, die Ideologie ist da. Insofern war der Effekt das, was auch intendiert wird: eine operative Belastung dieser Strukturen. Die müssen sich neu organisieren, die dürfen nicht mehr genau die gleichen Strukturen haben, weil sonst gibt es strafrechtliche Konsequenzen. Das Signal ist gesendet. Aber das muss natürlich auch ständig gesendet werden. Realität Islam und Generation Islam sind schon seit längerer Zeit unter Beobachtung und noch nicht verboten. Was auch zeigt, wie sparsam und sehr vorsichtig, sowohl Bundes- als auch Landesbehörden, mit diesem Verbotsverfahren umgehen. Weil natürlich auch klar ist – jetzt kurz wieder auf das Beispiel Großbritannien – ein Verbotsverfahren heißt, alles andere hat nicht funktioniert. Also es gäbe auch in Großbritannien andere Mittel, die Organisationen zu stören. Es gibt eine UK Charity Commission im Unterschied zu Deutschland, die eine Lizenz erteilt, auch der Hizb ut-Tahrir, wenn es um Spendensammeln geht. Und diese Lizenz kann entzogen werden, was fast nie passiert. Das heißt moderierende Bemühungen, Bemühungen das Geld zu stören. All das hat nicht funktioniert und deswegen ist jetzt eine Proscription notwendig geworden. Und das gleiche kann man natürlich in Deutschland sagen. Ein Vereinsverbot wird nur dann gemacht, wenn alles andere nicht funktioniert, weil in der Demokratie Meinungsfreiheit ein absolut zentrales Verfassungsgut ist. Also niemand wird hier einfach, weil es einfacher ist und besser ist, als allererstes an ein Vereinsverbot denken.

 

Judith De Santis (KN:IX): Sollte es mehr präventiv-pädagogische Maßnahmen und Gegenangebote geben, damit solche Verbotsverfahren gar nicht erst entstehen müssen? In Deutschland, aber vielleicht auch in Großbritannien?

 

Hans-Jakob Schindler: Vielleicht nicht mehr, aber effektiver. Es ist schon klar, dass wir viel Geld für Prävention ausgegeben haben, mit steigendem Maße, und erreicht haben, dass wir eine steigende Anzahl von Extremisten haben. Also irgendwas ist nicht so richtig funktionabel. Und das ist auch die Erfahrung in Großbritannien und anderen Ländern. Es kann natürlich sein – observation bias – weil wir jetzt mehr Leute haben, die sich mit dem Thema auskennen, erkennen wir natürlich auch mehr Extremisten. Wir haben mehr Organisationen, die sich in der Zivilgesellschaft natürlich an staatlicher Unterstützung bewerben, um Deradikalisierung zu betreiben. Aber ganz offensichtlich ist, dass sehr viel mehr Geld ausgegeben wird als noch vor 10 oder 20 Jahren, die Anzahl der Extremisten aber höher ist als früher. Also insofern, irgendwo denklogisch, scheint da etwas nicht richtig zu funktionieren. Also mehr, kann man sich drüber unterhalten. Effektiver? Absolut.

 

Judith De Santis (KN:IX): Wissen Sie von muslimischen Stimmen oder Akteuren in Großbritannien, die sich kritisch geäußert haben, nach dem Verbot der Hizb ut-Tahrir?

 

Hans-Jakob Schindler: Kein Vereinsverbot, Betätigungsverbot oder Proscription in Großbritannien oder ähnliche Maßnahmen bei anderen Staaten, trifft auf absolut universalen Beifall. Natürlich gab es kritische Stimmen, die gesagt haben, ja, aber die Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit. Wieso jetzt? Seit Jahren aktiv, eigentlich gar nicht mehr so wichtig, wieso jetzt? Also insofern ist es klar, natürlich, dass es nie universell positiv gesehen wird. In Deutschland wird es auch immer sehr kritisch angesehen, wenn es jetzt nicht gerade Rechtsextreme sind, wo es irgendwie doch auf größere Akzeptanz stößt, wenn die gleichen Verfahren durchgeführt werden. Es scheint hier in der Wahrnehmung der Gesellschaft eben Unterschiede zu geben, was akzeptiert wird und was nicht akzeptiert wird. Das hat auch damit zu tun, dass das islamistische, extremistische Milieu sehr gut mit dem Vorwurf von Islamophobie hantiert, mittlerweile auch sehr gute Anwälte hat, und insofern sich besser wehren kann, wie andere Phänomene, die das Gleiche erfahren. Bei islamistischen Organisationen werden sehr viele Fragen gestellt, bei anderen weniger. Ich weise nur darauf hin, dass es so ist. Das ist keine Wertung. Das hat auch nichts damit zu tun, wie gefährlich oder weniger gefährlich die eine oder die andere Art des Extremismus ist. Ich würde argumentieren, für die Demokratie ist jeglicher Extremismus, der sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richtet, egal aus welchem Grund, gleich gefährlich. Und würde daher auch mit den gleichen Maßnahmen bedacht werden müssen.

 

Judith De Santis (KN:IX): Vielen Dank, dass Sie hier waren, Herr Schindler. Vielen Dank für das Gespräch.

 

Hans-Jakob Schindler: Vielen Dank, dass ich da sein durfte.

(Musik)

 

Judith De Santis (KN:IX): Das war Hans-Jakob Schindler, Leiter des Counter Extremism Projects. Ich danke Ihnen für’s Zuhören und sage tschüss.

(Musik Outro KN:IX talks)

 

Charlotte Leikert (KN:IX Outro): Sie hörten eine Folge von KN:IX talks, dem Podcast zu aktuellen Themen der Islamismus-Prävention. KN:IX talks ist eine Produktion von KN:IX, dem Kompetenznetzwerk Islamistischer Extremismus. KN:IX ist ein Projekt von Violence Prevention Networkufuq.de und der Bundesarbeitsgemeinschaft Religiös begründeter Extremismus, kurz BAG RelEx.

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KN:IX wird durch das Bundesprogramm Demokratie leben! des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Weitere Finanzierung erhalten wir von dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung in Sachsen-Anhalt, der Landeskommission Berlin gegen Gewalt und im Rahmen des Landesprogramms Hessen. Aktiv für Demokratie und gegen Extremismus. 

Die Inhalte der Podcast-Folgen stellen keine Meinungsäußerungen der Fördermittelgeber dar. Für die inhaltliche Ausgestaltung der Folge trägt der entsprechende Träger des Kompetenznetzwerks Islamistischer Extremismus, die Verantwortung.

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