#schongelaufen – Wie argumentieren Online-Prediger? Themen, Thesen und Formate auf Social Media (2. Auflage)

EINLEITUNG

Der enorme Einfluss, den extremistische Online-Akteur*innen auf Jugendliche haben, ist allgemein bekannt. Was Jugendliche an radikalen Narrativen und Akteur*innen online anziehend finden und weshalb sie sich ihnen anvertrauen, ist noch nicht weitreichend erforscht. Eine Rolle bei dem Konsum von extremistischen Inhalten spielen Algorithmen, die Social-Media-Nutzer*innen immer mehr in Filterblasen ebendieser Narrative hineinziehen. Andere Gründe wären Ansprachemechanismen, die islamistische Akteur*innen von z.B. Influencer*innen übernehmen, um popkulturell zu wirken und Anknüpfungspunkte für Jugendliche zu schaffen.

In diesem Workshop widmeten wir uns zunächst den Formaten, immer wieder aufkommende Themen, und Mechanismen, mit denen extremistische Online-„Prediger“ ihre Follower*innen auf Social Media überzeugen. Bei den Analysen für KN:IX plus stellen wir fest, dass selbst intimste oder auch scheinbar banalste Fragen an Online-Akteur*innen herangetragen werden. Andererseits sehen wir, wie auf komplexe theologische Fragen von Akteur*innen abstrahierte oder dichotomisierende Antworten gegeben werden. Dabei bestehen diese Akteur*innen darauf, als theologische Autorität angesehen zu werden und die Deutungshoheit bei sich zu behalten. Woher diese Akteur*innen allerdings ihr Wissen beziehen und mit welchen Quellen sie dieses belegen, ist meistens schwer nachzuvollziehen.

Zeil dieses Workshops war es, den Fachkräften Inhalte extremistischer Akteur*innen anhand konkreter Beispiele zu veranschaulichen und dabei Argumentationsstrukturen ebendieser aufzuzeigen. Anhand dieses Wissens sollte den Fachkräften eine vertieftere Kompetenz im Erkennen islamistischer Narrative online vermittelt werden.

Ablauf der Veranstaltung

Nach einer Begrüßung und Vorstellung der Referentinnen haben die Teilnehmenden eine Mentimeter-Umfrage ausgefüllt, die visualisieren sollte, aus welchen Fachbereichen diese kommen. Anschließend begann der Input mit aktuellen Zahlen zum TikTok-Konsum Jugendlicher und dem Anstieg des Konsums während der Pandemie. Den Teilnehmenden wurden die verschiedenen Formate von Content auf Social Media vorgestellt, die islamistische Akteur*innen nutzen (z.B. YouTube-Shorts, Instagram-Stories, TikTok-Videos). Dazu wurden Beispiele aus Social Media gezeigt, welche die unterschiedlichen Formate veranschaulichten. Nachdem die Funktion von Algorithmen erklärt wurde, wurden einzelne Aspekte des Online-Auftritts und der Narrative islamistischer Akteur*innen anhand von Videos und Beispielen erklärt. Dazu gehörten u.a. Beispiele zu Misogynie, Online-Offline-Synergien, Frauen online und Maskulinitätsbilder.

Nach dem Input wurde eine Diskussionsrunde eröffnet und Fragen angenommen. Einige Teilnehmer*innen brachten an dieser Stelle Fallbeispiele aus der praktischen Arbeit ein und diskutierten darüber. Anschließend wurden die Teilnehmer*innen in Kleingruppen eingeteilt und konnten die Diskussionen und Erkenntnisse dort vertiefen. Nach den Breakout-Sessions kamen die Teilnehmenden in das Plenum zurück und haben die Kernergebnisse ihrer Kleingruppen-Diskussionen widergegeben.

Diskussionspunkte

  • Welche positiven und „liberalen“ Vorbilder gäbe es, die man Jugendlichen als Alternativen vorstellen könne?
  • Wie kann man mit Jugendlichen medienpädagogisch arbeiten, sodass sie die Mechanismen extremistischer Narrative erkennen?
  • Wie kann man als Frau und Nicht-Muslima von männlichen Klient*innen im Beratungskontext arbeiten und ernstgenommen werden? Wie kann man sich Respekt erarbeiten?
  • Keine klare Trennung erkennbar von Online- und Offlineradikalisierung, auch bestätigt in der Forschung.
  • Gefahr der Stigmatisierung, wenn Jugendliche z.B. im Schulkontext anhand von Aussagen im Unterricht als islamistisch eingestuft werden – besser wäre es, in einen Beziehungskontext zu gehen und Gespräche auf Augenhöhe zu führen.
  • Hinter theologisch wirkenden Aussagen Jugendlicher stehen häufig andere Faktoren wie Identität; ein Fokus auf diese kann helfen, miteinander ins Gespräch zu kommen und auch abseits der vordergründig theologischen Fragestellungen zu diskutieren.
  • Wie kann die Zusammenarbeit mit Moscheen gelingen?
  • Was zieht Jugendliche zu extremistischen Prediger*innen und was fehlt in der Beratungs- und Jugendarbeit, um Jugendliche zu erreichen?

Schlüsselergebnisse

Teilnehmende wünschen sich:

  • Lösungen und Handlungsansätze, wie mit Jugendlichen gearbeitet werden kann, die radikale Inhalte konsumieren oder reproduzieren
  • Wen kann man ansprechen, wenn man in der Schule/ Jugendarbeit extremistische Aussagen von Jugendlichen mitbekommt?
  • Wie kann man mit Jugendlichen sprechen, um von ihnen auf Augenhöhe anerkannt zu werden?
  • Wie kann man mit der eigenen Unsicherheit in der Arbeit mit (radikalisierten) Jugendlichen umgehen?

AUSBLICK

Für die weitere Arbeit von KN:IX wird es zentral sein, sich noch mehr der strukturierten Analyse von Online-Beiträgen zu widmen. Durch das kontinuierliche Online-Monitoring im Rahmen von KN:IX plus werden große Mengen an Daten gesammelt, die jedoch auch der systematischen Interpretation bedürfen. Weiteres bleibt es zentral, den Fragen einer „Kategorisierung“ der Akteur*innen nachzugehen, bzw. den Nutzen/die Gefahr dieser – auch unter Einbeziehung von den Erfahrungen von Praktiker*innen – abzuwägen. Außerdem bedarf es auch in den Analysen von extremistischen Narrativen einen deutlichen Bezug auf die praktische Arbeit mit den jungen Konsument*innen dieser Narrative sowie die Schulung von Fachkräften, diese zu erkennen.

 

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