Podcast KN:IX talks

Folge #17 | Rassismus in der Psychotherapie besprechen – wie man Resilienz unter Kindern und Jugendlichen fördern kann

Psychotherapie muss für Kinder und Jugendliche ein geschützter Raum werden – das gilt besonders für die Thematisierung von Rassismus-und Diskriminierungserfahrungen. Ansätze interkultureller Psychotherapie können helfen, sie resilienter zu machen. Psychotherapeutin Rachida Rami erzählt von ihrer Arbeit.

Im Podcast zu Gast

Rachida Rami arbeitet als staatlich anerkannte (approbierte) Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin mit dem IVB Schwerpunkt: Verhaltenstherapie. Die Gemeinschaftspraxis befindet sich in Berlin.

Transkript zur Folge

(O-Ton, Musik im Hintergrund)

Rachida Rami: In der Therapie selbst können auch manchmal Rassismus Erfahrung stattfinden. Viele Therapeut*innen haben die Haltung, dass manchmal Herkunft, Sprache oder Kultur eine kleine Rolle bei psychischen Störungen spielen. Und Menschen seien gleich. Genau das ist es, was Patient*innen das Gefühl gibt, sie werden nicht als Gesamtes gesehen, sondern eher als Störung.

 

(Musik im Hintergrund)

Charlotte Leikert (Intro KN:IX talks): Herzlich willkommen zu KN:IX talks, dem Podcast zu aktuellen Themen Der Islamismusprävention. Bei KN:IX talks sprechen wir über das, was die Präventions- und Distanzierungsarbeit in Deutschland und international beschäftigt. Für alle, die in dem Feld arbeiten oder immer schon mehr dazu erfahren wollten: Islamismus, Prävention, Demokratieförderung und politische Bildung. Klingt interessant? Dann bleiben Sie jetzt dran und abonnieren Sie unseren Kanal. KN:IX talks – überall da, wo es Podcasts gibt.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Wer in Deutschland einen Therapieplatz bekommen hat, der*die darf sich glücklich schätzen. Denn die Erzählungen um monatelange Wartelisten kennen Sie bestimmt. Was aber, wenn man als Patient eine traumatische Fluchterfahrung durchgemacht hat oder Rassismus und Diskriminierung erlebt hat? Dann wird es für Hilfesuchende noch schwieriger, die passenden Angebote zu finden. Und der heutige Gast Rachida Rami arbeitet in Berlin als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Sie hat sich als Verhaltenstherapeutin auf interkulturelle Psychotherapieansätze spezialisiert. Welche Vorteile die Ansätze mit sich bringen können, erfahren Sie in dieser Folge. Ich bin Thy Le. Ich begrüße: Rachida. Ich heiße dich herzlich willkommen.

 

Rachida Rami: Vielen Dank.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): In Deutschland leben rund ein Viertel mit Migrationsgeschichte. Für sie sind die Barrieren, passende Therapieangebote zu finden, besonders hoch. Wieso eigentlich? Mit welchen Hürden müssen Hilfesuchende dabei rechnen?

 

Rachida Rami: Tatsächlich viele Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland haben Schwierigkeiten, Zugänge zu therapeutischen Angeboten oder Präventionsmaßnahmen zu finden, aufgrund von sprachlichen und kulturellen Differenzen und Verständigungsschwierigkeiten. Was oft dazu führt, dass entweder unpräzise bis fehlerhafte Anamnese und Diagnosen erstellt werden, dass auch Missverständnisse in der Therapie entstehen oder auch unnötige mehrfach Untersuchungen. Was eine Gefahr erhöht, dass Erkrankungen personifiziert werden und dass auch Menschen den Therapieprozess bzw. Therapie selbst als eine belastende Erfahrung erleben. Dass sie sich dort nicht gesehen werden, nicht verstanden werden und sie auch nicht ihre Leiden aufgrund der Sprachbarrieren nicht umfassend darstellen können. Viele Patient*innen mit Migrationshintergrund wünschen sich auch eine Therapie in der Muttersprache, was natürlich aufgrund der wenig vorhandenen Muttersprachler-Therapeut*innen kaum möglich ist. Nach dem Kassengesetz gibt es keinen Anspruch auf Therapie in der Muttersprache.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Du bietest auch Therapien auf Arabisch an.

 

Rachida Rami: Genau! Ja, ich habe die oft Rückmeldung von den Patient*innen bekommen, die davor auch Therapien gemacht haben. Sie waren auch in bestimmten „Unterstützungsmaßnahmen“, zu denen sie gesagt haben, das wäre so quälend gewesen. Dass sie in den Therapiestunden nicht alles hätten äußern können, wie Sie sich fühlen, was das für Erinnerungen wären…aufgrund der Sprache, die sie nicht so gut beherrschen, um alles ausdrücken zu können. Einige haben auch gesagt: „Nach der Therapiestunde war ich noch frustrierter und trauriger als davor.“

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Welche Auswirkungen haben denn Rassismus und Diskriminierungserfahrungen auf die psychische Gesundheit?

 

Rachida Rami: Rassismuserfahrungen und Diskriminierung können natürlich destabilisierend für Menschen wirken. Ob das in einer Schule oder mit Institutionen, in der Gesellschaft oder auch mit einzelnen Menschen passiert – das können auch sehr kränkende Erfahrung sein und sehr verletzende Erfahrung sein. Viele Menschen schaffen das schnell, die Erfahrungen einzuordnen und sich davon zu distanzieren. Andere Menschen nicht. Für sie haben sehr lange quälende Effekte, mit denen sie lange mit hadern und sehr lange diese kränkende Erfahrung mit sich schleppen.

 

(Musik)

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Die sogenannte ICD-10- Klassifikation ist für Menschen in Heilberufen ein internationales verschlüsseltes System für Erkrankungen. Das ist im Grunde ein Katalog, in dem verschiedene Erkrankungen erfasst und in Krankheitsgruppen geclustert werden. Jede Störung, darunter auch psychische, ist einem Code zugeschrieben. Mit dem ICD-Schlüssel bestimmen also Psychotherapeut*innen unter anderem die Diagnosen für die Krankenkasse. Der ICD-Schlüssel wurde von der WHO initiiert und die darin aufgeführten Krankheitsbilder werden in einem aufwendigen Verfahren stetig ergänzt, angepasst oder entfernt. Ein Beispiel: Lange galt Homosexualität als psychische Störung im ICD-Schlüssel. Das hat die WHO erst 1991 geändert.

(Musik)

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Trotzdem werden die Rassismuserfahrungen nicht im Rahmen von ICD separat anerkannt. Glaubst du, dass es problematisch für die Patient*innen ist?

 

Rachida Rami: Dass sie gar nicht anerkannt sind, würde ich relativieren. Natürlich würden sie auch in belastenden Situationen miterfasst. Da kann man auch Rassismuserfahrungen, Ausgrenzung oder Mobbing als belastende Erfahrungen auffassen. Rassismus allein als Erfahrung wird nicht als soziale, psychische Störung genannt. Aber in der Therapie selbst ist es wichtig, dass auch diese Erfahrungen viel Raum kriegen und auch dass der *diePatient*in auch sich damit auseinandersetzt, damit er*sie auch sozusagen lernt, Strategien damit umzugehen. Vor allem, wenn Patient*innen selbst wenig resilient sind, um für sich selber Strategien zu entwickeln und damit umgehen zu können.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Zu Resilienz können wir auf jeden Fall noch mal später kommen. Aber ich wollte noch irgendwie bei diesen Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen und Auswirkungen davon bleiben: Wenn Therapeut*innen sich dazu ausbilden möchten oder spezialisieren möchten, ist das kein klassischer Bestandteil der Therapieausbildung und das beruht auf Eigeninitiative. Jetzt aber sehr überspitzt: Und wenn da ein junger Patient aus armen Verhältnissen auf der Couch sitzt und ihm gegenüber einer Weißen bildungsbürgerlichen Therapeutin sitzt und er von den Rassismuserfahrungen in der Schule erzählt, kann da überhaupt eine gute Therapiebeziehung entstehen? Sie kann das doch wahrscheinlich gar nicht mitfühlen.

 

Rachida Rami: Das weiß ich nicht, ob sie da nicht mitfühlen kann. Ich denke schon, dass auch Therapeut*innen, die keine Rassismuserfahrung haben oder nicht aus demselben Milieu wie der*die Patient*in kommen, sich trotzdem hineinversetzen und auch mitfühlen können.

Aber natürlich ergibt eine konkrete Schulung Sinn. Es ergibt mehr Sinn, dass Therapeut*innen sich mit interkulturellen Ansätzen auseinandersetzen. Auch, dass sie sich mit ihrer eigenen Kultur auseinandersetzen, dass sie sich auch mit ihrer Sozialisation und Denkmustern und auch was sie alles mitbringen, gleichzeitig auch sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Was denken sie über andere Menschen, andere Hautfarben, über andere?

Das ist auch umfassend; sowohl in der Therapie, in der Diagnostik als auch in dem Therapieverlauf müssen sozusagen diese Merkmale, die die Patient*innen mitbringen, also mit Migrationshintergrund oder Rassismuserfahrungen, müssen die ganze Zeit mitberücksichtigt werden.
Und ja, das stimmt, im Rahmen der Ausbildung wird zu Interkultureller Psychotherapie wenig angeboten. Oder auch nicht: Wie bearbeitet man Rassismuserfahrungen in der Psychotherapie?
Die meisten, die das machen, machen das auf ihre eigene Initiative meistens eher nach der Ausbildung und beschäftigen sich so viel mit diesen Ansätzen. Aber die Tendenz ist steigend, dass sich viele Therapeut*innen da bewusster werden, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Fluchterfahrung, einen anderen Rahmen bräuchten, um in der Therapie besser aufgefangen zu werden.
Nur ein Beispiel: Therapeut*innen, die sich mit solchen Ansätzen beschäftigen, lassen sich mehr Zeit in der Diagnostik, damit sie sich umfassend auch mit der Herkunft der Patienten auseinandersetzen. Aus welcher Region sie kommen, welche Werte-und Normensysteme sie haben, welche Rollenvorstellungen sie mit sich bringen, wie religiös sie sind, wie praktizierend sie sind, wie warum sie emigriert sind, wie verlief die Flucht oder die Migration? Gab es einen Statusverlust durch die Migration? Welche Vorstellung haben Sie von der Migration? Ist die Vorstellung realistisch? D.h., dass die Therapeut*innen mehr Raum geben, um herauszufinden, welche Einflussfaktoren zusätzlich zu der Erkrankung auch eine Rolle spielt.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Das kann dann auch sein, dass der Patient oder die Patientin religiöse Erklärungsmuster für die Umstände heranzieht. Und vielleicht versteht ja dann der oder die Therapeutin gar nicht, wenn sie sich nicht mit dem auseinandergesetzt hat. Mit seinem Kontext oder Sozialisierung.

 

Rachida Rami: Ja, das auf jeden Fall! Wenn Therapeut*innen sich mit bestimmten Erklärungsmodellen beschäftigen, die die Patient*innen mitbringen, kann es zum ersten Mal Unklarheit hervorrufen. So würden diese Erklärungsmodelle fälschlicherweise eher als Teil der Erkrankung gesehen werden. Wobei eigentlich diese Erklärungsmuster für die Patienten Halt geben. Damit versuchen sie, ihre Erkrankung zu verstehen. Im Rahmen dieser interkulturellen Psychotherapie oder dieser Ansätze muss man tatsächlich diesen Erklärungsmodellen der Patient*innen, auch Raum geben, stehen lassen und dann im Rahmen der Therapie immer darauf eingehen und versuchen, das zu korrigieren.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Müssen sie dann Expert*innen für ihre jeweiligen Kulturen werden?

 

Rachida Rami: Nein, Expert*innen sind meistens eher die Patienten. Die Therapeut*innen sind eher Expert*innen in der Behandlungstechnik und auch Erkennung von Symptomatik und ihrer Zuordnung, sozusagen nach diesen erwähnten Klassifikationssystemen. Aber die Patient*innen oder die Therapeut*innen müssen auch diese Offenheit haben, sozusagen neugierig sein, was der*die Patient*in mitmitbringt. Aber die Patient*innen selbst sind die Expert*innen, was ihre Sozialisation und ihre Geschichte betrifft. Hingegen ist der*die Therapeut*in der *die Begleitende in dem Selbstreflexionsprozess.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Der Therapeut oder die Therapeutin muss zwar neugierig und aufgeschlossen sein, aber nicht vornherein denken „Ich weiß doch schon irgendwie über alles Bescheid und deswegen kann ich Annahmen treffen über die Gender-Rollen in der und der Kultur, weil blablabla und deswegen bist du so“. Das kann dann auch Gefahr laufen, dass die Patient*innen Rassismus erfahren, oder? Wenn das nicht sensibel aufgegriffen wird?

 

Rachida Rami: Ja, tatsächlich ist das ein Thema, was sehr tabuisiert wird. In der Therapie selbst können auch manchmal Rassismuserfahrungen stattfinden. Viele Therapeut*innen haben die Haltung, dass manchmal Herkunft, Sprache oder Kultur eine kleine Rolle bei psychischen Störungen spielen. Und Menschen seien gleich. Genau das ist es, was Patient*innen das Gefühl gibt, sie werden nicht als Gesamtes gesehen, sondern eher als Störung.

In der Therapie kann das starke Betonen des Anderssein der Patient*innen genauso diskriminierend sein, wie wenn gar nicht drauf eingegangen wird – genauso auch ein Gefühl von nicht gesehen werden, ausgeschlossen, nicht dazugehörig zu sein. Beides!

Das passiert. Da müssen auch Therapeut*innen im Rahmen dieser Auseinandersetzung oder der Schulung lernen, dass sie vorsichtig und behutsam solche Merkmaler der „Kultur“ der*der Patient*in ansprechen und darauf eingehen.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Du hast schon Interkulturelle Psychotherapieansätze erwähnt. Was bedeutet das in einfacher Sprache?

 

Rachida Rami: Interkulturelle Psychotherapie bezeichnet die Behandlung psychisch-erkrankter Kinder, Jugendlicher oder auch Erwachsener mit Migrationshintergrund unter Berücksichtigung kultureller Aspekte wie Sprache, Herkunftsgeschichte oder Prägung von Gesundheit bzw. auch Vorstellung von Gesundheits- und Krankheitsbildern sowie verschiedene Erwartungen an Behandlungsmethoden.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Wie können Jugendliche oder Kinder gestärkt werden? Wie kann man sie die krisenfester machen?

 

Rachida Rami: „Krisenfester machen.“ Das ist ein spannendes Thema, weil dann sprechen wir hier über Resilienz. Wie können Menschen mit Stressoren flexibel umgehen? Oder diese Fähigkeit, flexibel mit Stressoren umzugehen.
In der Psychologie redet man von dieser Widerstandsfähigkeit. Es gibt tatsächlich Menschen, die sind resilienter als andere.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Weil es angeboren ist?

 

Rachida Rami: Resilienz ist nur zum Teil angeboren. Einen weiteren Resilienzteil machen aber Erfahrungen aus, die im Leben man macht. Die können auch Resilienz reduzieren. Oder man kann auch Resilienz auch weiter aufbauen und antrainieren. Es ist nicht etwas Konstantes, Festes, was nicht veränderbar ist. Sondern das ist ein Prozess.

Was sind die Säulen der Resilienz? Was ist Resilienz überhaupt? Wodurch zeichnet sich Resilienz aus? Oder was machen resiliente Menschen aus? Was zeichnet Optimismus aus? Was zeichnet Optimist*innen aus? Sie haben so eine zuversichtliche Art, Sachen zu betrachten und sie glauben, dass Sachen gut ausgehen werden. Es gibt einen Neurowissenschaftler, Raphael Kalisch, der sagt, dass auch als resilient bezeichnete Menschen vom Guten ausgehen würden. Und dass sie daran mitwirken könnten.

Damit sind hier zwei Eigenschaften genannt: einerseits die Selbstwirksamkeit und andererseits diese Zuversichtlichkeit. Ein weiterer Schutzfaktor ist Akzeptanz. D.h. einerseits die Umstände zu akzeptieren, die man gerade nicht verändern kann und sich nicht verändern lassen. Andererseits auch sich selbst zu akzeptieren und nicht mit sich ständig zu hadern.

Eine Bindung stellt auch einen sehr hohen Schutz Faktor bei Resilienz dar. Wie sicher man zu Bezugspersonen gebunden ist. Oder hat man ein stabiles Sozialnetzwerk an Freund*innen, an Menschen, worauf man sich verlassen kann?
Auch lösungsorientiertes Denken stellt auch einen Schutzfaktor dar: Denken Menschen in Lösungen oder in Problemen? Das spielt auch eine Rolle: Wie gehe ich mit damit um, in dem ich alles als Problem sehe oder mehr in Lösungen denke?

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Selbstwahrnehmung. Damit ist gemeint, die Signale des Körpers wahrnehmen zu können, die eigenen Grenzen wahrzunehmen. Zu schauen: Wo erreiche ich hier meine Grenzen? Und auch da darauf zu reagieren.
Die Selbstreflexion ebenso. Damit ist gemeint, sich von außen zu betrachten und seine eigene Denke und Einstellungen zu hinterfragen. Die eigenen Anteile, was man habe, welche Probleme man gerade habe, auch zu erkennen und nicht alles zu externalisieren und zu sagen, die anderen seien blöd oder schuld. Mit mir stimme alles.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Da möchte man hin. Das ist die ideale Resilienz. Wie kommt man denn dahin?

 

Rachida Rami: Genau!

 

Rachida Rami: Tatsächlich kann man das trainieren. Die Frage ist, wie kann man das trainieren? Wie kann man Resilienz trainieren? Man kann das trainieren, indem man erstmal mit sich auseinandersetzt und die eigenen Ressourcen erst mal entdeckt. Diese Ressourcen muss man auch aufbauen, auch nicht vorhandene Ressourcen auch aufbauen. Ich rede hier von sowohl inneren Ressourcen als auch externen Ressourcen. D.h. ein guter Freundeskreis, eine körperliche Gesundheit durch Sport, auch eine Art Selbstfürsorge, dass ich mir was Gutes tue. Nicht so ab und zu, sondern als kontinuierliches System. Auch die inneren Ressourcen, dass man auch diese Selbstwahrnehmung, Selbstreflexion, übt. Ich sage jetzt nicht „positives Denken“, aber dieses zuversichtliche Denken auch zu üben, auch anzutrainieren. Wir reden in der Psychotherapie von kognitiver Umstrukturierung, wenn man negative Denkmuster umstellt und andere Gedanken antrainiert.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Wenn ein Patient oder eine junge Patientin zu dir käme, dann geht es erst mal darum, die Lebensumstände erst mal zu optimieren oder so angenehmer zu gestalten?

 

Rachida Rami: Erst mal wäre in der Therapie der erste Schritt, eine Beziehung aufzubauen. Überhaupt um Vieles erfassen zu können, damit der*die Patient*in eine gewisse Offenheit entwickelt, auch alles sagen oder seine*ihre Gedanken, Befürchtungen, Sorgen, seine Ängste äußern zu können – ohne die Angst, bewertet zu werden. Die Beziehung ist der entscheidende Faktor in der Therapie.
Wenn diese Beziehung aufgebaut ist: Wie kann ich den*die Patient*in in den unterschiedlichen Bereich unterstützen? Durch Selbstveränderung. Ich selbst verändere nicht, sondern so, dass der*die Patient selbst an sich arbeiten und die eigene Lebenssituation verändern kann.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Ziemlich schwere Themen auch teilweise, wenn es um Trauma geht oder Folgen der Ausgrenzung… Kann das eigentlich auch sogar schlimmstenfalls zu Radikalisierung führen?

 

Rachida Rami: Das ist sehr komplex und es ist schwer auch so da einer eine Aussage zu treffen, was generalisierend ist. Es könnten, aufgrund von Folgen von Ausgrenzung, dass Menschen, das Gefühl bekommen, ausgegrenzt sein, sich nicht dazugehörig fühlen. Vor allem bei Jugendlichen ist diese Gefahr sehr hoch, dass sie radikale Tendenzen entwickeln oder sich von radikalen Gruppierungen rekrutieren lassen.

Aber es könnte sein, muss aber nicht. Psychische Instabilität könnte auch eine Rolle spielen, muss es wiederum auch nicht. Es könnte sein, dass natürlich Menschen, die sich zu radikalen Gruppen hingezogen fühlen und da einsteigen, eine gewisse psychische Instabilität vorweisen. Es muss aber auch nicht sein. In der Vergangenheit existieren auch Berichte, die besagen, dass Menschen aus solchen Gruppierungen keine psychische Instabilität mindestens nach außen gezeigt hätten.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Wie könnte man konstruktiver darüber sprechen?

 

Rachida Rami: Ich finde, wenn Jugendlichen die Gefühle von Ausgrenzung oder diese Erfahrung anerkannt bekommen, erhalten sie Wertschätzung. Erst mal sich mal mit denen auseinandersetzen, ihnen Alternativen bieten, sodass Jugendliche nicht in eine Gruppe gehen, in denen sie das Gefühl hätten, sie würden dort aufgenommen werden. Sie würden dort die vermisste Wertschätzung oder das Gefühl kriegen, dazugehörig zu sein und Teil einer großen Mission sein.
Diese Gefahr wird etwas reduziert, indem man erstmal sowohl sehr früh Präventivmaßnahmen in den Schulen durch Workshops, auch Gruppenarbeit integriert, in denen auch solche Themen für die Jugendlichen aufgegriffen werden, sie dafür sensibilisiert werden. Aber auch indem in der Therapie oder mit den Eltern das Thema besprochen wird.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Kann dann auch kann interkulturelle Psychotherapie ansetzen, präventiven Beitrag leisten?

 

Rachida Rami: Präventiv weiß ich nicht. Psychotherapie hat eher eine Interventionsfunktion. Prävention würde ich eher im Bereich schulischer Aufklärung und Workshops verorten. Da können auch die Psychotherapeut*innen mitwirken.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Interkulturelle Psychotherapieansätze können vielleicht präventiv wirken, aber ist nicht in erster Linie Prävention?

 

Rachida Rami: Ja. Natürlich kann auch Psychotherapie als Teil präventiv wirken, um weitere Verschlimmerungen der Erkrankungen oder chronische Fixierung zu verhindern. Aber nicht jede Auseinandersetzung muss in der Psychotherapie stattfinden. Das kann auch im schulischen Bereich genauso passieren. Dort sind viele Maßnahmen auch sehr sinnvoll, die man dort integrieren kann, damit man Antirassismus-Workshops macht oder auch präventive Maßnahmen zur Radikalisierung.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Naja, zumindest dürfen wir vielleicht ein bisschen Hoffnung haben, dass auch immer mehr sich da in den Bereichen tut…

 

Rachida Rami: Auf jeden Fall, ja.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): …und einfach auch, dass mehr Forschung zu interkultureller Psychotherapie vielleicht auch gemacht wird. Oder auch den Zusammenhängen von Rassismus und Psychotherapie. Für diese Folge möchte ich mich bei dir bedanken. Das war die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Rachida Rami. Es war mir eine Freude.

 

Rachida Rami: Vielen Dank und bedanke ich mich auch für den Austausch! Es hat Spaß gemacht.

 

Thy Le (KN:IX/ufuq.de): Recherche und Moderation: Thy Le. Technische Umsetzung und Produktion: Malte Fröhlich.

 

(Musik)
Charlotte Leikert (Abspann KN:IX talks): Sie hörten eine Folge von KN:IX talks, dem Podcast zu aktuellen Themen der Islamismusprävention.

KN:IX talks ist eine Produktion von KN:IX, dem Kompetenznetzwerk „Islamistischer Extremismus“. KN:IX ist ein Projekt von Violence Prevention Network, ufuq.de und der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus, kurz BAG RelEx.

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KN:IX wird durch das Bundesprogramm Demokratie leben! des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Weitere Finanzierung erhalten wir von der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung in Sachsen-Anhalt, der Landeskommission Berlin gegen Gewalt und im Rahmen des Landesprogramms Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus.

Die Inhalte der Podcast Folge stellen keine Meinungsäußerung der Fördermittelgebenden dar. Für die inhaltliche Ausgestaltung der Folge trägt der entsprechende Träger des Kompetenznetzwerks „Islamistischer Extremismus“ die Verantwortung.

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