Framing the Enemy

Framing the Enemy

Wie die Identitäre Bewegung und Generation Islam ihre Gegner*innen beschreiben und was wir daraus über sie erfahren

Der Artikel von Charlotte Leikert (BAG RelEx) erschien erstmals im Rahmen des KN:IX Report 20223.

Für extremistische Gruppen spielt die Konstruktion von Eigen- und Fremdgruppe eine zentrale Rolle – unter anderem, weil sie versuchen, Polarisierungen in der Gesellschaft voranzutreiben. Nicht zuletzt dient der Bezug auf Fremdgruppen auch der Rekrutierung neuer und der Bindung bereits bestehender Sympathisant*innen. Im Folgenden wird untersucht, wie sich die rechtsextreme Identitäre Bewegung (IB) und die islamistische Generation Islam (GI) auf Fremdgruppen beziehen und wie sie diese in ihren Posts über Twitter framen. Abschließend werden daraus Folgerungen für die Präventionsarbeit abgeleitet.

Ein zentrales Anliegen extremistischer Akteur*innen unterschiedlicher Couleur ist es, gesellschaftliche Polarisierungstendenzen voranzutreiben und auf diese Weise nahezulegen, dass sich Menschen entscheiden müssen, auf welcher „Seite“ sie stehen. Extremistische Akteur*innen agieren dabei nicht im luftleeren Raum, sondern orientieren sich an anderen sozialen Akteur*innen und gesellschaftlichen Gegebenheiten (Berger 2018: 53; Fielitz et al. 2018: 12, 53). In ihrer Kommunikation spielt die Konstruktion von Eigen- und Fremdgruppen eine wichtige Rolle, um die eigene Gruppenidentität zu schaffen und zu stärken und sich gegenüber anderen Gruppen abzugrenzen. [1]

Im Rahmen der Betrachtung extremistischer Gruppen ist es zunehmend wichtig, deren Präsenz in den sozialen Medien einzubeziehen, da es auch extremistischen Akteur*innen über soziale Medien möglich ist, ihre Zielgruppen direkt zu erreichen, ohne auf traditionelle Massenmedien als Gatekeeper angewiesen zu sein. Der Konsum und die Wirkung digitaler Medien ist bei der Untersuchung von Radikalisierungsverläufen kaum mehr wegzudenken (Weimann/Jost 2015; Hofman/Ipsen 2018). Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden aus einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive unter Berücksichtigung sozialpsychologischer Konzepte die Fragen im Mittelpunkt stehen, wie die Gruppen Identitäre Bewegung und Generation Islam in ihrer Twitter-Kommunikation ihre jeweiligen Gegner*innen (Fremdgruppen) framen, wie sie diese konstruieren und sich auf sie beziehen.

Sowohl die Identitäre Bewegung (Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) 2022: 73) als auch Generation Islam (BfV 2022: 211) werden im extremistischen Spektrum verortet. [2] Dabei stehen Islamismus und die extreme Rechte in einem ambivalenten Verhältnis zueinander, welches zwischen Faszination und Abwertung changiert. Die wechselseitige Bezugnahme auf die Existenz oder Themen der anderen erfüllt für beide Seiten eine Schlüsselfunktion in der Mobilisierung, sodass auch von einer Dynamik der Co-Radikalisierung gesprochen wird (Schneider et al. 2020), in deren Zuge das Zusammenspiel beider Phänomene eine Polarisierung der Gesellschaft befördern kann (Faessler 2014; Fielitz et al. 2018; Häusler 2016).

Generation Islam gründete sich 2014 und weist eine ideologische Nähe zu der seit 2003 in Deutschland verbotenen Gruppe Hizb ut-Tahrir (HuT) auf. Die HuT ist eine panislamistische Bewegung mit dem Ziel der Errichtung eines Kalifats, in dem sie die weltweite Gemeinschaft der Muslim*innen vereinigen möchte (Baron 2021; Dantschke 2009: 441ff.). Trotz des Verbotes sind die ideologischen Positionen durch HuT-nahe Gruppierungen, wie etwa Generation Islam, Realität Islam oder Muslim Interaktiv, weiterhin präsent (Baron 2021; BfV 2022: 221). Die HuT misst einer „homogenen, kulturell-religiös definierten Gruppenidentität“ (Dantschke 2009: 442) einen besonderen Stellenwert bei. Obgleich das BfV (2022: 221) den Kreis der HuT-Anhänger*innen für 2021 auf lediglich 700 beziffert, zeugen etwa die Social-Media-Accounts der HuT-nahen GI von einem gesteigerten Interesse an der Gruppe beziehungsweise ihren Positionen. [3] Ebenso verdeutlicht eine Anfang 2020 von GI initiierte Demonstration, bei der laut des Hamburger Verfassungsschutzes etwa 2.800 Menschen anwesend waren, ihr Mobilisierungspotenzial (LfV HH 2022: 41). [4]

Die Identitäre Bewegung trat in Deutschland erstmals im Jahr 2012 in Form einer Facebook-Gruppe in Erscheinung. Sie lässt sich „am ehesten als kulturorientierte und identitätsorientierte ‚Bewegung‘ charakterisieren“ (Hentges et al. 2014: 4) und bildet(e) „in vielerlei Hinsicht das europäische Pendant zur amerikanischen Alt-Right“ (Ebner 2019: 56). Die IB strebt, vor dem Hintergrund ihrer ethnopluralistischen Ausrichtung, einen „ethnisch und kulturell homogenen Staat“ (BfV 2022: 73) an, was den Vorstellungen einer erstrebenswerten Gruppenidentität seitens der HuT und ihr naher Gruppierungen ähnelt. Die Zahl der Anhänger*innen der IB ist rückläufig (BfV 2022), was unter anderem mit der Sperrung ihrer Accounts auf relevanten sozialen Medien 2020 und der dadurch gesunkenen Sichtbarkeit zusammenhängen kann. Nichtsdestotrotz sind Akteur*innen weiterhin aktiv, ihre Positionen finden in unterschiedlichen Formen, Aktionen und Untergruppen weiterhin Ausdruck (BfV 2022: 73ff.; Lauer/Kracher 2022). [5] So weist etwa der Telegram-Kanal der IB Deutschland 7.500 Follower aus und seit Mai 2023 ist die Gruppe mit einem neuen Account wieder bei Twitter vertreten. [6]

Beide Gruppen richten sich an Jugendliche und junge Erwachsene, sind sehr medienaffin und knüpfen geschickt an die Bedürfnisse ihrer Zielgruppen an. Sie schaffen, etwa durch zielgruppenspezifische digitale Formate in den gewohnten Kontexten der Jugendlichen, ein niedrigschwelliges Angebot (Fielitz et al. 2018: 23ff.; Hentges et al. 2014: 9; Hofman/Ipsen 2018). Die extremistische Ideologie tritt dabei oft hinter vermeintlich rein gesellschaftskritischen Positionen zurück, womit vor allem Jugendliche deutlich einfacher erreicht werden. Zudem werden extremistischen Positionen vermeintlich apolitische Themen vorgelagert (etwa zur Lebensführung, zu Freizeitaktivitäten oder Vorstellungen von Männlichkeit), weshalb die Ideologie auf den ersten Blick nicht unbedingt ersichtlich ist (Baron 2021; Fielitz et al. 2018: 23f.). Darüber hinaus eignen sich die beiden hier ausgewählten Gruppen auch deshalb für eine vergleichende Perspektive, weil Generation Islam ein Beispiel ist, „wie sich islamistische Akteure bei der Identitären Bewegung im Branding inspirieren ließen, aber auch in der Form der jugendgerechten Aufarbeitung radikaler Inhalte“ (Fielitz et al. 2018: 31).

Framing in der Strategischen Kommunikation von GI und IB

Beim Framing geht es um die Rahmung von Informationen: „To frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more salient“ (Entman 1993: 52). [7] Durch Framing findet also eine Komplexitätsreduktion und eine Hervorhebung ausgewählter Aspekte statt, durch die eine bestimmte Perspektive auf das jeweilige Ereignis nahegelegt wird. Da sich durch erfolgreiches Framing eine bestimmte Perspektive auf Dinge oder Geschehnisse etablieren kann, kommt ihm eine zentrale Bedeutung in der (strategischen) Kommunikation zu (Entman 1993: 55). Durch Frames werden die Perspektive und die (impliziten) Werte der Gruppe kommuniziert und beschrieben, wer dazugehört und wer nicht. Damit ist Framing essenzieller Teil der Kommunikation und Internalisierung von kollektiver Identität (Benford/Snow 2000; Hentges et al. 2014: 14).

Frames existieren auf unterschiedlichen Ebenen und um wirkungsvoll zu sein, müssen sie auf verschiedenen Ebenen miteinander kompatibel sein. Es kommt also darauf an, ob sich die von den Gruppen kommunizierten Frames mit denen der Zielgruppen decken. Dies ist vor allem hinsichtlich der Rekrutierung ein zentrales Kriterium, spielt jedoch auch in der Bindung bereits gewonnener Sympathisant*innen eine Rolle. Ein weiterer Faktor für die Wirkmächtigkeit von Frames ist ihre Glaubwürdigkeit (Benford/Snow 2000: 619ff.). Durch sogenannte Collective Action Frames verhandeln und kommunizieren soziale Bewegungen „a shared understanding of some problematic condition or situation they define as in need of change, make attributions regarding who or what is to blame, articulate an alternative set of arrangements, and urge others to act in concert to affect change“ (Benford/Snow 2000: 615). Nach dieser Definition bestehen Frames aus vier Elementen: Problemdefinition, Ursachenzuschreibung, Lösungsvorschlag und Handlungsaufforderung.

Mit Blick auf islamistische und rechtsextreme Gruppen lässt sich eine Reihe von Frames ausmachen, die von beiden genutzt werden: Zu nennen sind etwa Opfer-, Bedrohungs- oder Verteidigungsframes, aber auch solche, die sich auf Verschwörungserzählungen beziehen (Ebner 2019: 103; Faessler 2014; Fielitz et al. 2018: 20f.). Die entsprechende Ausgestaltung dieser Metaframes ist in den meisten Fällen ideologiespezifisch.

Definition und Abgrenzung von Eigen- und Fremdgruppen stehen im Mittepunkt der Ausbildung einer kollektiven Identität (Tajfel/Turner 1979). Dabei haben die Bezugnahme auf und das Framing von Fremdgruppen in der Kommunikation (hier bei extremistischen Gruppen) verschiedene Funktionen inne. Diese Bezugnahme kann als Einstiegs- oder „Türöffner-Them[a]“ (Fielitz et al. 2018: 23) fungieren, um an potenzielle Sympathisant*innen heranzutreten (Faessler 2014: 93). Der Verweis auf Gegner*innen bietet überdies die Möglichkeit, die gruppeneigenen Positionen zu legitimieren und Unterstützer*innen zu mobilisieren (Berger 2018: 42; Faessler 2014: 93; Fielitz et al. 2018: 23). [8]

Exkurs zur Methode

Ausgangspunkt der Untersuchung zum vorliegenden Beitrag waren die Texte sämtlicher Twitter-Posts der IB und von GI aus dem Jahr 2019. Bilder, Video o. ä. wurden nicht berücksichtigt. Von den Text-Posts wurden diejenigen in die Analyse einbezogen, die einen Bezug zu Fremdgruppen vorweisen. Die Fremdgruppen wurden aus bisheriger Forschung zu den Phänomenbereichen abgeleitet. Diese Posts wurden anhand des manuell-dimensionsreduzierenden Verfahrens (Matthes/Kohring 2004) analysiert. [9] Bei diesem zweistufigen Verfahren werden in einem ersten Schritt die Frameelemente durch eine quantitative Inhaltsanalyse erfasst. Dies geschieht mithilfe eines Codebuches und entsprechend erstellter Kategorien. Mithilfe einer hierarchischen Clusteranalyse werden in einem zweiten Schritt Muster in der Zusammensetzung dieser Elemente identifiziert. Das heißt, es werden nicht Frames als Ganzes, sondern die einzelnen Frameelemente erhoben (Matthes/Kohring: 61ff.). Die vier Frameelemente (Problemdefinition, Ursachenzuschreibung, Lösungsvorschlag und Handlungsaufforderung) wurden mithilfe verschiedener Kategorien operationalisiert, die im Codebuch festgehalten sind. Die identifizierten Muster in den Ausprägungen der Frameelemente bilden die im weiteren Verlauf ausgeführten Frames.

Geteilte und gruppenspezifische Feindbilder

Auch mit Blick auf islamistische und rechtsextreme Akteur*innen (hier IB und GI) lässt die Untersuchung (siehe Kasten) spezifische, von ihnen als Fremdgruppen geframte Akteur*innen erkennen, denen vorgeworfen wird, gesellschaftliche Miseren zu verursachen. Von beiden Gruppen genannt werden dabei: deutsche Politik, ausländische Politik und (traditionelle) Medien. Darüber hinaus nannte Generation Islam: (Mehrheits)Gesellschaft, rechte Akteur*innen sowie Einzelpersonen. Die Identitäre Bewegung nannte außerdem: nichtstaatliche politische Akteur*innen, Migrant*innen,Verfassungsschutz sowie linke Akteur*innen.

Die drei Feindbilder, die von GI und der IB geteilt werden, bestätigen eine Anti-Eliten-Einstellung, die in beiden Gruppen ganz klassisch in Bezug auf Politik und Medien zum Ausdruck kommt. Dieser Befund bestätigt zunächst Ergebnisse bisheriger Untersuchungen (Ebner 2019: 30; Fielitz et al. 2018). Bei genauerer Betrachtung wird jedoch auch deutlich, dass sich die IB und GI bezüglich der konkret gemeinten politischen Akteur*innen unterscheiden: Während etwa als ausländische Politik von der IB die Europäische Union sowie die Regierungen Österreichs oder Frankreichs genannt werden, bezieht sich GI unter anderem auf (die Regierungen von) Israel, China, USA oder Indien. Dies erklärt sich aus der Spezifik der Gruppen sowie den für sie relevanten Themen und geografischen Bezügen, in deren Kontext tagespolitisches Geschehen aufgegriffen wird. Die darüber hinaus von GI ausgemachten und adressierten Feindgruppen lassen auch erkennen, wie islamistische Gruppen versuchen, eine Gleichsetzung von rassistischen oder rechtsextremen Positionen und der Mehrheitsgesellschaft herzustellen. Mit dieser Strategie werden nicht nur reale sowie vermeintliche Diskriminierungserfahrungen der Zielgruppen aufgegriffen und verstärkt. Dahinter steht auch das Ziel islamistischer Akteur*innen, eine Polarisierung der Gesellschaft zu befeuern (Berger 2018: 53; Fielitz et al. 2018). Für die extreme Rechte stellen Gruppen, die sich für Diversität und Pluralismus einsetzen, Gegner*innen innerhalb der Gesellschaft dar (Faessler 2014: 73; Häusler 2016: 141, 152ff.). Aus den nur von der Identitären Bewegung genannten Fremdgruppen lässt sich daher eine klassische rechtsextreme Trias aus Migrant*innen, Linke und Staat erkennen.

Für die IB konnten im Rahmen der Untersuchung fünf Frames/Deutungsrahmen ausgemacht werden: Migration nach Deutschland und Migration nach Europa, Diskriminierung der Eigengruppe, Kritik an Berichterstattung und mangelnder Meinungsfreiheit sowie Gewalt durch Migrant*innen. Für GI wurden hingegen folgende vier Frames identifiziert: Gewalt gegen Muslim*innen außerhalb Europas, Diskriminierung vor Ort, Kritik an der Berichterstattung und mangelnder Meinungsfreiheit sowie Diffuse Bedrohung. Es zeigt sich also, dass nur für die Fremdgruppe „Medien“ ein ähnliches Framing vorliegt. Sowohl bei der Identitären Bewegung wie auch bei Generation Islam wird vor allem (aber nicht nur) den klassischen Massenmedien unter anderem die Verbreitung von Falschinformationen unterstellt und ein Bezug zu mangelnder Meinungs-/Pressefreiheit hergestellt. Bei den anderen geteilten Fremdgruppen sind keine Übereinstimmungen im Framing festzustellen. Zwar tauchen sowohl deutsche wie auch ausländische Politiker*innen als für Probleme „ursächliche Akteur*innen“ auf – allerdings in ganz unterschiedlichen Kontexten. So werden sie im Framing der Identitären Bewegung vor allem für die Migration nach Deutschland und Europa verantwortlich gemacht. Im Framing von Generation Islam treten Politiker*innen hingegen als „direkte Aggressor*innen“ auf und werden in den Frames Gewalt gegen Muslim*innen außerhalb Europas und Diskriminierung vor Ort als Ursache konkreter Bedrohung dargestellt. In der Kommunikation der Identitären Bewegung wird dies in den Frames Diskriminierung der Eigengruppeund Gewalt durch Migrant*innen vor allem Migrant*innen, linken Akteur*innen und dem Verfassungsschutz zugeschrieben.

Die Analyse bestätigt die Annahme, dass der Bezug auf Fremdgruppen im Kontext von jeweils als relevant erachtetem tagespolitischem Geschehen erfolgt. So nennt Generation Islam als ausländische Politiker*innen beispielsweise die Regierungen Chinas oder Indiens, also Länder, die im vergangenen Jahr wegen der Diskriminierung von muslimischen Minderheiten in die Kritik gerieten. Das Aufgreifen realer, aber auch vermeintlicher Diskriminierung ist eine gängige Taktik islamistischer (aber auch rechtsextremer) Akteur*innen. Dadurch wird die Selbstviktimisierung der Adressat*innen unterstützt und das Ziel verfolgt, die Ziel-/Eigengruppe von der Mehrheitsgesellschaft zu entfremden (BfV 2020; Ebner 2019: 57ff.). Ferner ermöglicht dies eine Selbstinszenierung der Gruppe als die, die für die Unterdrückten auf- und einsteht (BfV 2020; Baron, 2021; Fielitz et al. 2018). Die gezielte Instrumentalisierung realer Diskriminierung durch Fremdgruppen soll die Eigengruppe emotionalisieren und für die eigene Sache gewinnen.

Wie am Beispiel der Frames Migration nach Deutschland und Migration nach Europa erkennbar, ist das „Kernthema ‚Einwanderung‘“ (Häusler 2016: 141) in der strategischen Kommunikation der Identitären Bewegung stark ausgeprägt. Durch die Frames werden zwei weitere Aspekte deutlich: Zum einen spielt geografische Nähe eine unterschiedliche Rolle, denn wie zu erwarten, ist die Eigengruppe von Generation Islam transnational gedacht, während sich die Identitäre Bewegung ausschließlich auf den europäischen Raum konzentriert. Zum anderen ist interessant, dass beide Gruppen in den ausgewerteten Posts so gut wie keine Lösungsvorschläge oder Handlungsaufforderungen in Verbindung mit den Problemdarstellungen und Ursachenzuschreibungen anbieten.

Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass die Gruppen mit konkreten Formulierungen im Sinne von Handlungsaufforderungen (in Bezug auf die Fremdgruppen) Gefahr liefen, von der entsprechenden Plattform verwiesen zu werden. So nannte ein Sprecher von Twitter die Tatsache, „dass die betreffenden Accounts Terrorismus und Gewalt verherrlichten“ (Laaff 2020) als Hintergründe zur Sperrung des Accounts der Identitären Bewegung im Sommer 2020. Tatsächlich veröffentlichen oder teilen beide Gruppen durchaus Beiträge mit Handlungsaufforderungen, allerdings ohne dabei einen konkreten Bezug zu „ihren“ Fremdgruppen herzustellen.

Ausblick

Durch Framing wird eine spezifische Interpretation ausgewählter Ereignisse kommuniziert und versucht, die Deutungsmacht über diese Ereignisse und die damit verbundene Problemdefinition, Ursachenzuschreibung und Schlussfolgerung zu erlangen. Die Analyse von Frames ermöglicht es, spezifische Erkenntnisse über eine Gruppe und ihre Werte herauszufinden – etwa wie grundlegende gesellschaftliche Debatten und Konfliktlinien um Migration beispielsweise oder (antimuslimischen) Rassismus in der Kommunikation der Gruppen eine zentrale Rolle spielen und wie diese Kommunikation zur Ausbildung einer kollektiven Identität genutzt wird. Darüber hinaus zeigen die geteilten Fremdgruppen (etwa „politische Akteur*innen“ oder „(traditionelle) Medien“) sowie gemeinsame Frames (Kritik an der Berichterstattung), wie beide Gruppen auf ein Anti-Eliten-Framing zurückgreifen.

Dies und die damit einhergehende wahrgenommene oder konstruierte Ungerechtigkeit können phänomenübergreifend Anlässe und Anknüpfungspunkte für die pädagogische Auseinandersetzung mit den Inhalten, den Positionen und Kommunikationformen sein, derer sich extremistische Akteur*innen bedienen. Darüber hinaus zeigt sich, dass angesichts der Unterschiedlichkeit der Frames der hier betrachteten Gruppen phänomenspezifisches Wissen bei Fachkräften (etwa in Pädagogik und politischer Bildung) weiterhin notwendig ist. So können die hier ausgeführten Ergebnisse als Anknüpfungspunkte für die (pädagogische) Praxis genutzt werden, um mit Jugendlichen über Merkmale der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit oder über Themen, Positionen, Taktiken und Strategien extremistischer Akteur*innen ins Gespräch zu kommen. Dabei sollte der Blick auf die von extremistischen Gruppen als attraktiv erachteten Angebote und Ansprachen in der praktischen Arbeit stets durch den Blick auf die Jugendlichen und die Frage ergänzt werden, weshalb ihnen extremistische Ansprachen interessant erscheinen könnten bzw. welche Bedürfnisse damit angesprochen werden.

Literaturverzeichnis

Baron, H. (2021): Die Hizb ut-Tahrir in Deutschland: Herausforderungen und Ansätze der Präventionsarbeit, Bundeszentrale für politische Bildung, https://www.bpb.de/themen/infodienst/329054/die-hizb-ut-tahrir-in-deutschland/#footnote-target-2, abgerufen am 26.04.2023.

Berger, J. M. (2018): Extremism, Cambridge. Benford, R. D.; Snow, D. A. (2000): Framing Processes and Social Movements: An Overview and Assessment, in: Annual Review of Sociology 26, S. 611–639.

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Dantschke, C. (2009): Zwischen Feindbild und Partner: Die extreme Rechte und der Islamismus, in: Braun, S.; Geisler, A.; Gerster, M. (Hrsg.), Strategien der extremen Rechten: Hintergründe – Analysen – Antworten, Wiesbaden, S. 440–460.

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Häusler, A. (2016): Themen der Rechten, in: Virchow, F.; Langebach, M.; Häusler, A. (Hrsg.), Handbuch Rechtsextremismus, Wiesbaden, S. 135–180. Hentges, G.; Kökgiran, G.; Nottbohm, K. (2014): Die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) – Bewegung oder virtuelles Phänomen?, in: Forschungsjournal Soziale Bewegungen 3.

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Tajfel, H.; Turner, J. (1979): An Integrative Theory of Intergroup Conflict, in: Austin, W. G.; (Hrsg.): Social Psychology of Intergroup Relations, Monterey, S. 33–47. Weimann, G.; Jost, J. (2015): Neuer Terrorismus und Neue Medien, in: Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik 8 (3), S. 369–388.

Anmerkungen

[1] Als Fremdgruppen werden im Folgenden Gruppen bezeichnet, von denen sich die IB oder GI entweder abgrenzen wollen oder die sie explizit als Feindgruppen ausmachen. Die Begriffe sind an die Theorie der Sozialen Identität (Tajfel/Turner 1979) angelehnt, die hier neben dem Framing-Ansatz (Benford/Snow 2000; Berger 2018: 24) zur Untersuchung der Kommunikation beider Gruppen herangezogen wird. Der Text basiert auf der inhaltsanalytischen Erhebung und Untersuchung von Frames beider Gruppen durch die Autorin im Rahmen einer Masterarbeit.

[2] Dabei dient die hier eingenommene vergleichende Perspektive nicht der Gleichsetzung. Vielmehr sollen einzelne Aspekte unterschiedlicher Phänomene betrachtet werden, um strukturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu diskutieren.

[3] Follower: 70.300 (Instagram), 6.940 (Twitter), 56.500 (Youtube); Stand: 15.05.2023.

[4] Im Februar 2023 konnte die ebenfalls dem HuT-Spektrum zugerechnete Gruppe Muslim Interaktiv in Hamburg 3.500 Menschen zu einer Demonstration gegen Koranverbrennungen mobilisieren.

[5] Zum Zeitpunkt der Datenerfassung lag die Sperrung der Accounts noch nicht vor; der Bedeutungsverlust war nicht in dem Maße fortgeschritten.

[6] Stand 07.06.2023.

[7] Der Begriff „Framing“ beschreibt eine kommunikative Praxis, der Framing-Ansatz eine theoretische Perspektive, um Kommunikation zu untersuchen (Frame-Analyse). Neben der Nutzung von Frames in der journalistischen (massen)medialen Berichterstattung ist seit Langem etwa auch die Verwendung von Frames durch soziale Bewegungen Gegenstand der Forschung (Benford/Snow 2000).

[8] Einer der Gründe für die Auswahl von Twitter war, dass es wenig Plattformen gibt, auf denen beide Gruppen zum Zeitpunkt der Datenerhebung etwa gleich aktiv waren. Zudem bot sich Twitter aufgrund der zur Verfügung gestellten API zur Datenaggregation an.

[9] Von insgesamt 1.786 Beiträgen, die beide Gruppen im Jahr 2019 veröffentlichten, wiesen 955 einen Bezug auf Gegner*innen auf, von denen 856 schlussendlich in die Analyse einbezogen wurden.

 

 

Die Autorin

Charlotte Leikert ist Kommunikationswissenschaftlerin und Fachreferentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus (BAG RelEx). Sie studierte Kommunikationswissenschaft und Psychologie in Jena und Nizza und absolvierte einen Master mit Schwerpunkt politische Kommunikation an der Freien Universität Berlin.

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