Podcast KN:IX talks

Folge #23 | Selektivität und Polarisierung auf Social Media

In dieser Folge sprechen wir mit Niklas Brinkmöller (Violence Prevention Network) über die Beobachtungen des Online-Informationsangebots KN:IX plus bezüglich der Entwicklungen in den sozialen Medien im Phänomenbereich “Islamistischer Extremismus” seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem seither anhaltenden Krieg zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen. Anhand der Ergebnisse des Monitorings werden die Muster, Strukturen und Narrative aufgezeigt, die in den sozialen Medien genutzt werden, um das Thema aufzugreifen und mitunter für andere Zwecke zu instrumentalisieren.

Im Podcast zu Gast

Niklas Brinkmöller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Violence Prevention Network. Er studierte Politikwissenschaft, Psychologie und Friedens- und Konfliktforschung und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Kommunikationsstrategien extremistischer Akteur*innen sowie dem Monitoring von Onlineinhalten und -entwicklungen. Zuletzt hat er im Rahmen von KN:IX verschiedene Beiträge veröffentlicht, die sich unter anderem damit beschäftigt haben, welche Rolle Emotionen in der Kommunikation islamistischer Akteur*innen spielen oder wie sie auf Medien Bezug nehmen und sich dabei selbst als legitime alternative Informationsquelle präsentieren.

Transkript zur Folge

O-Ton eines TikTok Videos von Muslim Interaktiv: Wie lange möchte man es zulassen, dass unsere Geschwister wahllos massakriert werden? Wie lange noch? Die Ummah ruft und sehnt sich nach dem Kalifat. Sie wollen eine Veränderung, und diese Veränderung war noch nie so nah wie aktuell.

 

(Musik im Hintergrund)

 

Niklas Brinkmöller: Man könnte vielleicht sagen, dass wir verschiedene Perspektiven haben, das aber eben quasi nur zwei dieser Perspektiven stattfinden und durch dieses selektive und teilweise auch überzeichnet polarisierend Dargestellte wir dann eine Wirkung haben, die einen sehr einseitigen, sehr dichotomen, sehr schwarzweiß gezeichneten Konflikt darstellen.

 

(Musik Intro KN:IX talks)

 

Charlotte Leikert (Intro KN:IX Talks): Herzlich willkommen zu KN:IX talks, dem Podcast zu aktuellen Themen der Islamismusprävention. Bei KN:IX talks sprechen wir über das, was die Präventions- und Distanzierungsarbeit in Deutschland und international beschäftigt. Für alle, die in dem Feld arbeiten oder immer schon mehr dazu erfahren wollten: Islamismus, Prävention, Demokratieförderung und politische Bildung. Klingt interessant? Dann bleiben Sie jetzt dran und abonnieren Sie unseren Kanal. KN:IX talks: Überall da, wo es Podcasts gibt.

 

Alexandra Korn (KN:IX): Herzlich willkommen zur zweiten Folge der ersten Staffel KN:IX talks im Jahr 2024. Mein Name ist Alexandra Korn und gemeinsam mit Johanna West verantworte ich die Folgen von KN:IX talks, die Violence Prevention Network produziert. In den ersten drei Folgen dieses Jahres beschäftigen wir uns mit der Relevanz des Nahostkonflikts für den Phänomenbereich Islamistischer Extremismus und den Auswirkungen des 7. Oktober auf die Fachpraxis. Die Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus hat dafür in der letzten Folge mit Peter Neumann den Blick auf global agierende Organisationen wie Al-Qaida und den sogenannten Islamischen Staat gerichtet, während wir bei Violence Prevention Network eher auf die deutsche Szene blicken werden. Dafür schauen wir in das Informationsangebot von KN:IX plus, über das unser Gast gleich mehr berichten wird. In der letzten Folge der Staffel, wird sich ufuq anschließend mit Impulsen für die pädagogische Praxis im schulischen Kontext befassen. Unser Gast in dieser Episode ist Niklas Brinkmöller. Niklas Brinkmöller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Violence Prevention Network. Er studierte Politikwissenschaft, Psychologie und Friedens- und Konfliktforschung und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Kommunikationsstrategien extremistischer Akteur*innen sowie dem Monitoring von Onlineinhalten und -entwicklungen. Zuletzt hat er im Rahmen von KN:IX verschiedene Beiträge veröffentlicht, die sich unter anderem damit beschäftigt haben, welche Rolle Emotionen in der Kommunikation islamistischer Akteur*innen spielen oder wie sie auf Medien Bezug nehmen und sich dabei selbst als legitime alternative Informationsquelle präsentieren.

 

(Musik im Hintergrund)

 

Alexandra Korn (KN:IX): In unserer heutigen Folge möchten wir mit Niklas über die Beobachtungen von KN:IX plus bezüglich der Entwicklungen in den sozialen Medien im Phänomenbereich seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem seither anhaltenden Krieg zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen sprechen. Dabei werden wir uns auf die Inhalte aus dem Monitoring beschränken, die wir bis Mitte Februar gesammelt haben. Ein kurzer Disclaimer, dass es nicht Ziel der Folge ist, einzelne inhaltliche Positionen oder Aspekte in Bezug auf den Konflikt zu bewerten, sondern anhand des Monitorings die Muster, Strukturen und Narrative aufzuzeigen, die in den sozialen Medien genutzt werden, um das Thema aufzugreifen und für andere Zwecke zu instrumentalisieren. Niklas, bevor wir inhaltlich einsteigen, könntest du bitte kurz beschreiben, was KN:IX plus ist.

 

Niklas Brinkmöller: Sehr gerne. KN:IX plus ist ein Onlineinformationsangebot des Kompetenznetzwerks Islamistischer Extremismus, bei dem wir uns das Social Media Auftreten von verschiedenen islamistischen Akteur*innen anschauen. Wir haben dabei verschiedene Formate. Einmal den KN:IX monitor, den KN:IX kontext und den KN:IX trend. Da gehen wir wahrscheinlich im späteren Verlauf noch mal drauf ein. Und es ist eine passwortgeschützte Plattform, wo sich Multiplikator*innen und Praktiker*innen anmelden können und einen Überblick bekommen sollen darüber, was auf Social Media stattfindet. Und dabei schauen wir uns vor allem die Plattformen YouTube, TikTok und Instagram an.

 

 

Alexandra Korn (KN:IX): Super, vielen Dank. Genau, auf die unterschiedlichen Formate werden wir im Laufe der Folge noch weiter eingehen. Denn darauf stützen sich ja die Einsichten, die du mit uns teilen wirst. Könntest du vielleicht zu Beginn einmal das Ökosystem von Kanälen beschreiben, die im Rahmen des KN:IX plus Monitorings überhaupt beobachtet werden und vielleicht schon darauf eingehen, welche Unterschiede sich darin erkennen lassen, wie auf den 7. Oktober reagiert wurde?

 

Niklas Brinkmöller: Genau. Also der gemeinsame Nenner ist, dass es sich um Kanäle handelt, die islamistische Inhalte verbreiten. Die Art und Weise variiert aber durchaus. Das heißt, wir haben Kanäle, die klassisch salafistisch unterwegs sind. Wir haben aber eben beispielsweise auch Kanäle, die der Hizb ut-Tahrir nahestehen. Da wären beispielsweise Generation Islam, Muslim Interaktiv und Realität Islam zu nennen. Und dann auch noch ein paar weitere Kanäle, die sich jetzt vielleicht nicht einer dieser beiden Gruppierungen zuordnen lassen. Also ein heterogenes Feld, wo es aber schon Gruppierungen oder Akteurscluster gibt.

 

(Musik im Hintergrund)

 

Die Qualität und Quantität war sehr unterschiedlich, das heißt, wir haben einige Akteur*innen, die das kurz aufgegriffen haben, aber wo es nicht ein Hauptthema geworden ist. Wir haben Akteure, die sehr stark auf das die Situation in Gaza fokussieren, ohne so einen starken Bezug auf den deutschen Diskurs zu nehmen beispielsweise oder über Israel viel zu sprechen. Und wir haben aber eben auch Akteur*innen, für die das das zentrale Thema ist und auch seitdem größtenteils geblieben ist. Und bei manchen dieser Akteure war das vorher auch schon einfach ein sehr präsentes Thema. Also es ist dann nicht erst mit dem 7. Oktober aufgekommen, sondern es war auch vorher schon relevant. Und das bietet dann vielleicht auch die Überleitung zur Quantität an, weil wir beispielsweise bei Generation Islam ein Video hatten, was vermeintlich die Geschichte Palästinas darstellen soll, was bereits aus dem Mai 2023 stammt, was so 7000 bis 8000 Abrufe hatte und dann in Folge des 7. Oktobers von Generation Islam selber noch mal gepusht wurde und dann auf einmal auf 25.000 Abrufe gestiegen ist. Und zur Quantität insgesamt muss man sagen die Inhalte mit Bezug zum Nahostkonflikt sind definitiv gut geklickt worden, haben eine Reichweite erzielt. Es gibt aber eben auch Akteur*innen, die sich nicht primär damit auseinandersetzen und die noch mit anderen Beiträgen teilweise eine deutlich höhere Reichweite haben.

 

(Musik im Hintergrund)

 

Da wär ja dann eher der Punkt, dass die Anzahl der Klicks das eine sind, dass wir vereinzelte Videos haben, die sehr erfolgreich sind, dass wir aber einfach auch gesehen haben, das gerade diese drei Hizb ut-Tahrir nahen Kanäle massenmedial ganz anders rezipiert wurden, weil dadurch, dass sie im Rahmen von Demonstrationen aufgetreten sind, dadurch, dass sie da eine Relevanz bekommen haben und sichtbarer geworden sind, sie eben auch im massenmedialen Diskurs relevant geworden sind oder relevanter geworden sind – natürlich in der kritischen Auseinandersetzung und Einordnung. Aber es gab verschiedene Berichte von großen TV Kanälen, die sich da eben mit auseinandergesetzt haben und das ist, glaube ich, tatsächlich die Veränderung. Ich würde nicht sagen, dass die jetzt in dem Diskurs auf einmal wahnsinnig präsent sind, weil sie verdreifacht haben an Abozahlen, weil das haben sie nicht, sondern eher in die Richtung, dass sie auf Social Media eine etwas höhere Reichweite haben, vereinzelte Beiträge haben, die sehr reichweitenstark sind, aber gleichzeitig eben auch noch mal anders wahrgenommen bzw. auch kritisch eingeordnet werden.

 

(Musik im Hintergrund)

 

Am Beispiel von Generation Islam haben wir es uns auf YouTube zum Beispiel mal genauer angeschaut. Und da sieht man eben, dass die Abrufzahlen der Videos schon deutlich gestiegen sind, insbesondere im Oktober, also unmittelbar im Kontext der Eskalation. Und wie gerade schon gesagt, auch Videos von vorher, den thematischen Bezug haben gestiegen sind. Und spannend ist gleichzeitig, dass sich auf YouTube die Contentstrategie von Generation Islam verändert hat. Denn üblicherweise haben sie an einem festen Wochentag ein Video pro Woche hochgeladen und quasi mit dem 7. Oktober waren es dann auf einmal zwei. Das heißt, da hat der Akteur offensichtlich auch auf die sich verändernden Bedingungen Bezug genommen. Und ähnlich kann man das auch mit den Instagramstorys vielleicht beschreiben. Auch vorher gab es schon Instagram Stories zu aktuellen Geschehnissen. Dass wir bei bestimmten Akteur*innen aber jetzt täglich zehn oder 20 verschiedene Stories sehen, die beispielsweise Bilder der Verwundung und Verwüstung zeigen, das ist schon eine neue Qualität.

 

Alexandra Korn (KN:IX): Mit Blick auf die Kanäle, die nach dem 7. Oktober eine erhöhte Aktivität mit Bezügen zum Nahostkonflikt aufweisen. Welche Themen, Perspektiven und Narrative lassen sich dort erkennen?

 

Niklas Brinkmöller: Wir haben uns das insbesondere für die Kanäle Generation Islam, Muslim Interaktiv und Realität Islam mal detaillierter angeschaut. Das heißt sowohl die quantitative Komponente, das heißt, wie viele Abrufzahlen haben die, wie viele Leute folgen denen, als auch qualitativ, dass wir uns detaillierter mit den einzelnen Beiträgen und vielleicht auch Gemeinsamkeiten zwischen den Beiträgen auseinandergesetzt haben und haben dann zu Gliederungen so Kategorisierungen aufgebaut. Wir haben dabei drei Perspektiven herausgearbeitet. Zum einen, wie die Menschen in Gaza dargestellt werden, dann wie Israel so als Feindbild konzipiert wird und wie der deutsche Diskurs dargestellt wird.

 

(Musik im Hintergrund)

 

Alexandra Korn (KN:IX): Wie werden die Palästinenser*innen denn dargestellt und was daran ist problematisch?

 

Niklas Brinkmöller: Als problematisch könnte man vielleicht was in der Art von selektiver Empathie bezeichnen. Das heißt, es wird ganz viel auf das zivile Leid der Menschen in Gaza eingegangen, was ja grundsätzlich völlig legitim und wichtig und richtig ist. Es wird aber eben ausschließlich auf das Leid der Menschen in Gaza eingegangen, häufig auch noch mit der Deutung, weil sie Muslim*innen sind. Das heißt, wir sehen Beiträge, in denen dann das Leid von Menschen in Gaza als das Leid von Muslim*innen und als Angriff auf Muslim*innen und eben auch als Verachtung muslimischen Lebens gedeutet wird. Gleichzeitig wird gerade aufgrund dieses Leid oder aufgrund dieser Situation betont, dass sie weiterhin am Glauben festhalten und das einerseits als Stärke ihres Glaubens interpretiert und gleichzeitig aber auch als Appell an die Menschen hier, an die Zielgruppe dieser Akteur*innen formuliert, sich dem Glauben zuzuwenden.

 

(Musik im Hintergrund)

 

Dieser selektive Aspekt kommt eben dann hervor, wenn man sich anschaut, dass die Hamas die Angriffe der Hamas, die Geiseln, die die Hamas genommen hat und die Menschen, die die Hamas bei den Angriffen ermordet hat, komplett ausgespart werden. Und dieser selektive Blick darauf, der verdeutlicht vielleicht auch, warum es so problematisch ist, was diese Kanäle machen und eben nicht darum geht, primär auf ziviles Leid hinzuweisen.

 

Alexandra Korn (KN:IX): Und wie wird Israel dargestellt?

 

Niklas Brinkmöller: Bei der Darstellung von Israel finden wir auch wieder eine Art von Selektivität, also das, was ich gerade schon angedeutet habe. Die zivilen Opfer werden ausgeklammert, werden nicht thematisiert. Auch Unterschiede oder politische Differenzen innerhalb von Israel werden zum Beispiel gar nicht berücksichtigt, sondern es wird vor allem Bezug genommen auf die israelische Regierung oder das israelische Militär und da insbesondere auf eine vermeintlich bösartige Absicht, die Palästinenser*innen zerstören zu wollen. Also diesen Vorwurf findet man bei verschiedensten Akteuren. Das ist natürlich im aktuellen Kontext extrem schwer zu beurteilen, was tatsächlich im Gazastreifen passiert und das wollen wir uns glaube ich, auch gar nicht anmaßen hier. Dass aber zum Beispiel andere Stimmen aus Israel und die Unterschiede oder die unterschiedlichen Auffassungen, die es dazu gibt, Proteste, die es dazu gibt, die finden gar nicht statt. Sondern das heißt, es wird als eine homogene Entität dargestellt, die repräsentiert wird durch eben gewalttätige Soldat*innen und bösartige Politiker*innen.

 

(Musik im Hintergrund)

 

Man könnte vielleicht so sagen, dass wir verschiedene Perspektiven haben. Dass wir israelisches Leid haben in der Zivilbevölkerung, dass wir auch Gewalt und Aggression vonseiten Israels haben, dass wir Leid in der palästinensischen Zivilbevölkerung haben und durch die Hamas auch Aggression und Gewalt und das aber eben quasi nur zwei dieser vier Perspektiven stattfinden und durch dieses selektive und teilweise auch überzeichnet polarisierend Dargestellte, wir dann eine Wirkung haben, die einen sehr einseitigen, sehr dichotomen, sehr schwarzweiß gezeichneten Konflikt darstellen.

Ich würde außerdem noch ergänzen wollen, dass Israel teilweise auch gar nicht als Israel bezeichnet wird, sondern umschrieben wird mit Apartheidsregime, Zionistengebilde oder derartigem. Wir sehen auch, dass Israel regelmäßig in Anführungszeichen gesetzt wird oder verfremdet geschrieben wird. Und das sind alles Aspekte, die zumindest eine starke Anschlussfähigkeit an antisemitische Narrative, insbesondere eben Narrative, die Israel das Existenzrecht absprechen, haben. Wir haben aber teilweise auch von insbesondere kleineren Accounts, die wir jetzt noch nicht genannt hatten, Beiträge, die offen antisemitische Narrative verbreiten, die von einer jüdischen Weltverschwörung sprechen oder Demokratie als ein in Anführungszeichen Produkt von Juden und Jüdinnen darstellen. Das ist nicht so häufig wie diese anderen Beispiele, die ich eben genannt habe, aber finden wir gerade auf kleineren, vielleicht auch noch sich radikaler ausdrückenden Accounts schon auch.

 

Alexandra Korn (KN:IX): Die letzte Perspektive war der deutsche Diskurs. Könntest du da auch noch mal ein bisschen erklären, was ihr da gesehen habt?

 

Niklas Brinkmöller: Genau. Der deutsche Diskurs ist bei vielen Akteur*innen relativ eng mit dem Thema verbunden. Das heißt, wir sehen sehr schnell einen Wechsel von der Beschreibung der Situation in Gaza auf die Implikationen für Deutschland. Das heißt, wir sehen viele Erzählungen, Narrative, die wir auch vorher schon kannten von diesen Akteur*innen, die aber jetzt in dem konkreten Kontext gedeutet werden. Das heißt, ein Beispiel ist, es wurde schon vorher davon gesprochen, dass es Sprech- und Denkverbote gäbe, dass es eine Meinungsdiktatur gäbe, und das wird eben jetzt am Beispiel der Situation in Gaza, an Demonstrationen, die in Deutschland stattfinden, aber eben auch an der medialen Berichterstattung über den Konflikt festgemacht und vermeintlich als Beweis angeführt, dass diese Narrative stimmen. Und Ähnliches gilt für eine vermeintliche Unvereinbarkeit von muslimischem Leben oder muslimischer Identität mit dem Leben als Person in Deutschland. Auch das ist etwas, was wir vorher schon gesehen haben, was verschiedenste Akteure immer wieder aufzählen, wo sie sagen: es ist nicht möglich, dass du deinen Glauben lebst und trotzdem akzeptiert wirst, sondern du musst dich entscheiden, weil, jetzt in Anführungszeichen, die deutsche Mehrheitsgesellschaft wird dich nie akzeptieren. An der Stelle ist es natürlich extrem wichtig, darauf hinzuweisen, dass antimuslimischer Rassismus ein erwiesenermaßen sehr großes Problem ist in Deutschland, in anderen Gesellschaften. Und das soll in keinster Weise das in Abrede stellen oder einschränken. Es wirkt aber so, dass diese Akteure das eher für sich instrumentalisieren wollen, für ihre eigenen Zwecke instrumentalisieren wollen, um eine Trennung herbeizuführen, einen Spalt herbeizuführen zwischen Menschen muslimischen Glaubens und dem, was sie als Mehrheitsgesellschaft definieren. Und das ist eben der Punkt, der auch so problematisch ist, weil wir ein, wie in Bezug auf Gaza auch, ein sehr wichtiges, ein sehr emotionales Thema haben, das Aufmerksamkeit braucht, wo es auch viele gesellschaftliche Diskurse braucht und Aushandlungsprozessen und das aber eben sehr verkürzt dargestellt wird und in ein einfaches Freund Feind Schema gedeutet wird und vermeintlich suggeriert wird, man müsse sich entscheiden, weil es gäbe nur Variante eins oder Variante zwei.

 

Alexandra Korn (KN:IX):  Und diese selektive Darstellung, von der du eben gesprochen hast, findet sich die auch in Bezug auf den deutschen Diskurs?

 

Niklas Brinkmöller: Auf jeden Fall. Die Selektivität sehen wir auch da in verschiedenen Kontexten oder auf verschiedenen Ebenen. Beispielsweise im Rahmen der Großdemonstrationen anlässlich der bekanntgewordenen rechtsextremistischen Deportationspläne wurde quasi komplett ausgespart, dass da insgesamt Millionen Menschen auf die Straße gegangen sind gegen diese rechtsextremistischen Bestrebungen. Und das könnte man so deuten, dass das natürlich was ist, was in dieses Narrativ, dass die Mehrheitsgesellschaft apathisch bis aktiv umfassend muslim*innenfeindlich ist und selbst rechte oder rechtsextremen Positionen vertritt, dass es da eben sich nicht mit deuten lässt, weil wir eben ein Zeichen der Solidarität haben. Und das wurde beispielsweise auf den Kanälen von Muslim Interaktiv, Generation Islam, Realität Islam meines Wissens nach ausschließlich thematisiert im Rahmen eines Posts, der Olaf Scholz Doppelmoral vorgeworfen hat, weil er hier in Deutschland gegen Rechtsextremismus demonstrieren würde, aber in Israel einen Rechtsextremisten mit Benjamin Netanjahu unterstütze. Und das ist vielleicht auch noch mal eine weitere Ebene in Bezug auf Politik und Medien. Auch da haben wir Aussparungen, das heißt, wir haben häufig eine Überzeichnung oder eine Vereinfachung, ein Weglassen von Differenzierung. Das heißt, es wird beispielsweise gesagt, die Medien würden nicht über das Leid in Gaza berichten. Und das ist natürlich auch wieder eine maximale Verkürzung der Dinge. Ähnliches gilt in Bezug auf die deutsche Politik. Es gab verschiedene Posts, die der deutschen Bundesregierung unterstellt haben, sie würde bedingungslos und blind die israelische Regierung dabei unterstützen, massive Kriegsverbrechen oder sogar einen Genozid zu begehen. Und das wurde wiederum häufig auch verknüpft damit, dass die deutsche Schuld in Bezug auf die Shoah jetzt dazu führen würde, dass die deutsche Politik, die deutsche Gesellschaft und die Medien blind seien und dementsprechend wieder massive Kriegsverbrechen unterstützen würden. Und das ist natürlich eine Verzerrung, eine Verkürzung, die Differenzierung auslässt, die gleichzeitig aber eben auch relativierend in Bezug auf die Shoah interpretiert oder gedeutet werden kann.

 

Alexandra Korn (KN:IX): Welche Resonanzen bieten diese Deutungsangebote in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Debatte? Was für Emotionen werden dabei angesprochen?

 

Niklas Brinkmöller: Als Ausgangspunkt wählen die Akteur*innen häufig das zivile Leid in Gaza, was ja verständlicherweise eine große Anschlussfähigkeit und Resonanz bietet, weil es viele Menschen bewegt zu sehen, dass da Menschen Opfer von Gewalt werden. Und das Problematische an diesen Akteur*innen ist aber eben, was sie daraus machen, das heißt für welche Zwecke, für welche Argumentationen sie dieses Leid nutzen oder man könnte auch sagen, instrumentalisieren. Weil die Schlussfolgerungen und Deutungen, die daraus folgen, sind eben absolut, sind dichotom, das heißt, das hatten wir in Bezug auf Israel schon, Israel ist homogen und im Endeffekt, wenn man es überzeichnet sagen will, komplett bösartig. Gleichzeitig ist die deutsche Mehrheitsgesellschaft apathisch, beziehungsweise unterstützt aktiv den verbrecherischen Staat Israel, in großen Anführungszeichen natürlich. Und das ist das, wo sie eben mit ihrem Ausgangspunkt eine Resonanz erzeugen und den aber umdeuten und den eben instrumentalisieren, um diese Narrative, die wir eben auch schon vor dem 7. Oktober gekannt haben, relevant zu machen und diese besondere Resonanz eben erzeugen zu können. Und die Lösung ist aber eben dann häufig nicht, dass es einen offenen Diskurs gibt darüber, oder dass dann zwangsläufig das Wohlergehen der Zivilbevölkerung immer im Vordergrund stünde, sondern im Rahmen von Demonstrationen von Generation Islam haben wir beispielsweise sehr prominent die Forderung nach dem Kalifat als Lösung gesehen. Das heißt, da wird nicht eine Lösung vorgeschlagen, die eine plurale Gesellschaft ermöglicht, die das Zusammenleben von verschiedenen Menschen verschiedener Religionszugehörigkeiten ermöglicht. Sondern es wird eben ihre eigene Deutung eines Kalifats als die utopische Lösung dargestellt.

 

(Musik im Hintergrund)

 

O-Ton eines TikTok Videos von Muslim Interaktiv: Alhamdulillah, gepriesen sei Allah Subhanahu Wa Ta’ala, der uns mit dem Islam ehrte und uns zu einer Ummah gemacht hat. In dieser Zeit, wo das Zionistengebilde einen Genozid begeht, in dieser Zeit, wo der Westen dies als gut und als richtig erachtet, und genau in dieser Zeit, wo man uns Muslime mundtot machen will, zeigt jedoch die aktuelle Lage, mit was für einem Potenzial wir gesegnet worden sind. Die gesamte Ummah ist aufgestanden. Muslime aus aller Welt prangern das Unrecht an und wünschen sich die Befreiung unserer Geschwister in Gaza. Wir sind bereit, doch hindern uns genau diese Vasallenherrscher. Wie lange möchte man es zulassen, dass unsere Geschwister wahllos massakriert werden? Wie lange noch? Die Ummah ruft und sehnt sich nach dem Kalifat. Sie wollen eine Veränderung, und diese Veränderung war noch nie so nah wie aktuell.

 

(Musik im Hintergrund)

 

Niklas Brinkmöller: Dann sehen wir durchaus auch, dass auf Kritik daran eingegangen wird. Das heißt, es gibt dann auch Videos, die sagen: aber im Kalifat können Menschen aller Glaubenszugehörigkeiten sicher leben, und wir wollen das auch nicht in Deutschland jetzt errichten. Aber der Grundtenor ist schon, dass insbesondere in den mehrheitlich muslimischen Ländern ein zusammenhängendes Kalifat errichtet werden soll. Und gerade diese schnelle Verbindung, von zivilem Leid in Gaza, zur Verknüpfung der bekannten Narrative und auch dem vermeintlichen Beweis, dass was wir gesagt haben, was wir immer schon gesagt haben, stimmt, dann eben unter anderem zu dieser Folgerung, dass das Kalifat die Lösung sei, das weckt natürlich schon massive Zweifel daran, was die tatsächliche Intention der Akteure ist. Ob es ihnen wirklich darum geht, eine Bühne und eine Sichtbarkeit für ziviles Leid zu erzeugen, oder ob es ihnen mit ihrer selektiven Darstellung auf allen Ebenen nicht im Endeffekt darum geht, das so passend zu machen, dass es in ihre Erzählung passt, dass Gaza im Endeffekt nur ein weiteres Beispiel dafür ist, wie, in Anführungszeichen westliche Staaten, gezielt gegen Muslim*innen vorgehen und Muslim*innen Leid zufügen.

 

Alexandra Korn (KN:IX): Wir haben jetzt ja schon ziemlich viel über die Inhalte der Akteur*innen gesprochen. Und auch kurz schon über die Demonstrationen, die stattgefunden haben. Was für andere Aktionsformen werden denn noch gewählt?

 

Niklas Brinkmöller: Das unterscheidet sich tatsächlich relativ stark nach den Akteur*innen. Das heißt, wir haben diese Gruppe um Generation Islam, Muslim Interaktiv und Realität Islam, die bei Demonstrationen als zentrale Sprecher*innen da waren, die diese Videos auch auf YouTube hochgeladen haben, teilweise aufwendig inszeniert verwertet haben, um auch so ein bisschen zu zeigen wir haben Mobilisierungspotenzial und können von Onlineauftritten auf Offlinekontexte auch das in gewisser Weise übertragen. Wir haben aber auch bei verschiedenen Akteur*innen gehört, dass sie sich zum Beispiel gegen Demonstrationen ausgesprochen haben, weil sie gesagt haben, das entspricht nicht der Art und Weise, wie wir diese Themen aufgreifen wollen. Das entspricht nicht der Auffassung, wie wir generell, vielleicht auch im Rahmen unseres Glaubens das deuten. Und da fällt schon diese Gruppe, die der Hizb ut-Tahrir nahesteht, auf. Dann haben wir aber auch reine Onlineaktionsformen gesehen, wie zum Beispiel Twitterstürme. Das heißt gerade Generation Islam und Realität Islam haben gemeinsam bestimmte Hashtags, wie zum Beispiel den Hashtag #KeinBlutfürSchuld in die Twitter (oder inzwischen X-) Trends gepusht, mit mehreren 10.000 Tweets, um auch da eine Sichtbarkeit zu haben. Und das ist vielleicht generell so ein Faden, der sich bei dieser Gruppierung durchzieht, dass sie sich sehr bewusst über den öffentlichen Diskurs sind und versuchen, eben ihre Punkte, ihre Sichtbarkeit zu etablieren oder auch zu steigern. Und bei weiteren Aktionsformen oder vielleicht auch eher inhaltlichen Mitteilungsformen haben wir beispielsweise gesehen, dass es von Generation Islam ein Positionspapier gab, wo sie auf über zehn Seiten dargelegt haben, wie sie sich im Kontext des Nahostkonflikts positionieren, was ihre Überzeugungen sind, wo, wenn ich mich nicht vollkommen irre, die Hamas vor allem dafür kritisiert wurde, dass sie mal an Wahlen teilgenommen hat. Und zusätzlich gibt es auch und das ist vielleicht noch ein rückbindender Gedanke an die mediale Darstellung, einen Wochenrückblick, den Generation Islam immer wieder mal veröffentlicht, der dann verschiedene Nachrichten oder Schlagzeilen besser gesagt, aufgreift, und die dann aber wiederum aus ihrer Perspektive einordnet. Und auch das zeigt ja dieses Bemühen darum, sich selber als eine Art alternative Informationsquelle darzustellen, immer mit der grundlegenden Behauptung das, was man sonst erfährt, ist sowieso unglaubwürdig. Und da, das wurde auch in Videos von anderen Akteuren genannt, kontrolliert eine kleine Gruppe die Medien beispielsweise. Also diese Unterstellung sind immer die Baseline davon, von denen sich dann dieser Akteur*innen abgrenzen wollen und den vermeintlich wahren Blick auf die Situation zeigen wollen. Aber wie wir ja eingangs schon ein bisschen erörtert haben oder ausgearbeitet haben, ist es eben kein neutraler oder um Neutralität bemühter Blick und aus meiner Sicht auch kein Versuch einer ehrlichen Auseinandersetzung damit, sondern eben das gezielte Instrumentalisieren von Teilaspekten. Und es werden dann Fakten mit vielleicht auch falschen Informationen vermischt und die dann zu so einer Melange zusammengetan, dass am Ende ein sehr eindeutiges Bild rauskommt.

 

Alexandra Korn (KN:IX): Ja, vielen Dank für die ganzen Einsichten Niklas. Wenn Praktiker*innen sich jetzt auf der Plattform anmelden möchten, um noch mehr Informationen zu erhalten, was genau erwartet Sie denn dann da?

 

Niklas Brinkmöller: Wir haben, wie kurz schon angedeutet, verschiedene Formate. Das heißt, wir haben einmal den KN:IX monitor, da kann man sich Kanalbeschreibungen zu diesen verschiedenen Akteur*innen durchlesen, wo ein Überblick gegeben wird: Was sind das für Akteure? Seit wann gibt es die? Was ist so ein bisschen die Geschichte, wenn es Organisationen sind und es gibt eben auch Social Media Zahlen dazu. Das heißt, man kann eben einsehen, was sind die bestgeklickten Videos, wie hat sich über die letzten Monate die Kanalreichweite entwickelt? Das ist ein Baustein. Dann haben wir als zweiten Baustein den KN:IX trend. Das ist unser monatlicher Trendbericht, wo wir sowohl aus einer qualitativen als auch aus einer quantitativen Perspektive auf den vergangenen Monat zurückblicken und schauen, was auffällig, was besonders war. Da ist natürlich jetzt die vergangenen Monate auch immer wieder die Eskalation des Nahostkonflikts als zentrales Thema aufgekommen. Und das dritte Format, was wir haben, ist der KN:IX kontext. Der erscheint zweimal im Jahr und ist ein etwas ausführlicheres Format, was sich Narrativen und größeren Konzepten, die immer wieder auftauchen, widmet. Und auch da haben wir die aktuellste Folge oder Ausgabe dem Nahostkonflikt, der Eskalation des Nahostkonflikts gewidmet und eben auch diese Gliederung, die ich schon kurz angedeutet hatte, aufgebaut, entwickelt und umgesetzt.

 

Alexandra Korn (KN:IX): Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, Niklas.

 

Niklas Brinkmöller: Vielen Dank für die Einladung.

 

(Musik im Hintergrund)

 

Charlotte Leikert (KN:IX Outro): Sie hörten eine Folge von KN:IX talks, dem Podcast zu aktuellen Themen der Islamismus-Prävention. KN:IX talks ist eine Produktion von KN:IX, dem Kompetenznetzwerk Islamistischer Extremismus. KN:IX ist ein Projekt von Violence Prevention Network, ufuq.de und der Bundesarbeitsgemeinschaft Religiös-begründeter Extremismus, kurz BAG RelEx. Ihnen hat der Podcast gefallen? Dann abonnieren Sie uns und bewerten KN:IX talks auf der Plattform Ihres Vertrauens. Wenn Sie mehr zu KN:IX erfahren wollen, schauen Sie doch auf unserer Webseite www.kn-ix.de vorbei. Und wenn Sie sich direkt bei uns melden wollen, dann können Sie das natürlich auch machen. Mit einer Email an info [at] kn-ix.de. Wir freuen uns über Ihre Anmerkungen und Gedanken. KN:IX wird durch das Bundesprogramm “Demokratie leben!” des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Weitere Finanzierung erhalten wir von dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung in Sachsen-Anhalt, der Landeskommission “Berlin gegen Gewalt” und im Rahmen des Landesprogramms “Hessen. Aktiv für Demokratie und gegen Extremismus.” Die Inhalte der Podcast-Folgen stellen keine Meinungsäußerungen der Fördermittelgeber dar. Für die inhaltliche Ausgestaltung der Folge trägt der entsprechende Träger des Kompetenznetzwerks Islamistischer Extremismus, die Verantwortung.

 

(Abspann Musik)

 

 

Weiterführende Links

Bundesministerium des Innern und für Heimat (2023). Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz (wird in Kürze wieder veröffentlicht)

 

KN:IX plus Informationsangebot – Registrierung

https://kn-ix.de/knixplus/

 

Muslim Interaktiv, im O-Ton zitiertes TikTok Video https://www.tiktok.com/@muslim.interaktiv/video/7305360239279344928

 

Violence Prevention Network (2023). Schuld, Scham, Schande: Zur Rolle von Emotionen in der Kommunikation islamistischer Social Media-Akteur*innen, https://kn-ix.de/publikationen/schuld-scham-schande .

 

Violence Prevention Network (2023). “Mein Bruder, wer glaubt noch der Zeitung?” Medien als Feindbild und Bezugspunkt in der Kommunikation islamistischer Online-Akteure, https://kn-ix.de/publikationen/mein-bruder-wer-glaubt-noch-der-zeitung .

 

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