#schongelaufen – Frauen und Mädchen als extreme Akteurinnen online: Wie können Kenntnisse der Online-Welten extremer Akteurinnen in der Tertiärprävention helfen?

Einleitung 

Zwei Hauptthemen brachten uns zu diesem Workshopthema: Einerseits wird zunehmend bekannt, dass die Rolle der Mädchen und Frauen beim IS tendenziell unterschätzt wurde. Aktuelle Studien kommen zum Ergebnis, dass Frauen (vor allem auch Female Foreign Fighters aus Europa) essenziell zum Erhalt und dem Ausbau der Strukturen im Ökosystem beitragen. Andererseits sind Praktiker*innen in der P/CVE-Arbeit mit Mädchen und Frauen mit besonderen Herausforderungen konfrontiert; es gibt tendenziell weniger Publikationen und Alternativangebote für Frauen. Beide Faktoren führten uns zur Annahme, dass Frauen und ihre Dynamiken und Rollen im einschlägigen Ökosystem besonderer Aufmerksamkeit bedürfen und wir uns so diesem Thema widmen möchten – zunächst einmal mit dem Fokus auf die Online-Welt. 

Ablauf der Veranstaltung

Inwieweit können Kenntnisse und Einblicke in die Online-Welt und das Online-Verhalten extremer Akteurinnen für die Tertiärprävention hilfreich sein? Welche Rollen nehmen Frauen und Mädchen in diesem Kontext ein? Wie können wir die Erkenntnisse über diese Rollen nutzen? 

Diese Fragen standen im Zentrum des Workshops am 13.12.2022. Ziel der Veranstaltung war es, Einblicke in die Online-Welten extremer Akteurinnen zu erlangen und zusammen mit den Teilnehmenden zu diskutieren, inwieweit diese Erkenntnisse in der Tertiärprävention dienlich sein könnten. Für junge Menschen sind Online-Welten fester Bestandteil ihres Alltags. Die Online-Welten von Akteur*innen geben somit umfassende Einblicke in deren Lebensrealitäten und die Themen, die sie beschäftigen. Das Monitoring von Online-Aktivitäten extremer Akteurinnen ist jedoch mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden. Zum einen ist hier die hohe Dynamik zu nennen, die bedingt, dass Kanäle häufig gelöscht, umbenannt, und deaktiviert werden, dass Akteur*innen verschiedene Inhalte auf verschiedenen Plattformen teilen, und dass eine Vielzahl an Inhalten nicht eindeutig als extremistisch oder nicht-extremistisch eingeordnet werden kann. Zum anderen zieht das Monitoring einen hohen Zeitaufwand nach sich und ist somit in der praktischen Arbeit nicht immer umfassend möglich. So war es das Anliegen dieser Veranstaltung, Erkenntnisse aus dem Monitoring in kondensierter Form zu präsentieren und dabei auf Rollen und Themen hinzuweisen, die auch in der Offline-Arbeit von Bedeutung sein können.  

Meike Krämer (VPN und Teil des Projekts „Islam-ist“) hat in ihrem 35-minütigen Vortrag einige Themen, die auf Social Media Resonanz finden, genannt und anhand gesammelter Beiträge gezeigt, welche Art Inhalte von extremen Mädchen und Frauen geteilt werden, welche Diskurse geführt werden, und welche Rollen Akteurinnen dabei einnehmen. Nach dem Workshop wurde von den Teilnehmenden eingehend diskutiert, welche weiteren Themen aktuell im Ökosystem eine Rolle spielen und thematisiert werden. Dabei wurde auch nach Gründen gesucht, weshalb andere Themen, zum Beispiel die Lage im Iran, nicht thematisiert werden. Verbindungen und Parallelen zu Kanälen männlicher Akteure wurden immer wieder aufgezeigt. 

In Kleingruppen hatten die Teilnehmenden Zeit, sich mit ihren Kolleg*innen zu spezifischen Fragen auszutauschen und so ihre Erfahrungen zu teilen. Unterschiede von Rollen online und offline, Möglichkeiten der Einbeziehung von Rollen online in die Offline-Arbeit und Herausforderungen, mit denen Praktiker*innen dabei konfrontiert sind, waren zentrale Themen der Diskussion. 

Es zeigte sich abschließend, wie wichtig der Austausch von Einschätzungen und Erfahrungen ist, um den Überblick über das weite Ökosystem und seine stetig im Wandel befindlichen Elemente zu bewahren. 

Diskussionspunkte  

  • Wiederkehrende Schwierigkeit, Kanäle und Akteur*innen richtig einschätzen zu können. 
  • Enorme Online-Aktivitäten junger Menschen machen es schwierig, immer und auf allen Plattformen up-to-date zu sein. 
  • Auseinandersetzung von Spezifika von Mädchen und Frauen wird allgemein als „Frauenthema“ abgestempelt; Männer sind in einschlägigen Diskussionen auch auf Seite der Praktiker*innen wenig vertreten.
  • Extreme Akteurinnen scheinen einerseits strikte Geschlechtertrennung zu befürworten, sehen sich andererseits dazu gezwungen, im (engen) Rahmen der ihnen zugestandenen Rollen Geld zu verdienen. Sie bedienen sich der Idee von „Girl Boss-Entrepreneurship“ und betreiben Onlineshops oder verdienen Geld mit Sprachkursen und Workshops, die sie online Followerinnen anbieten. 
  • Männliche Akteure des Ökosystems sprechen Frauen und Mädchen bestimmte Rolle zu, bewerten ihr Verhalten, ihre Kleidung, ihre Fehler. Zudem wird versucht, Frauen und Mädchen Social Media als Sphäre zu präsentieren, die nicht für sie geeignet sei. Frauen und Mädchen betreiben Kanäle zumeist vollständig anonymisiert, und zeigen zu großen Teilen ihr Gesicht nicht. Sie nehmen aber dennoch am Diskurs teil, teilen Inhalte von männlichen Akteuren und erstellen gleichermaßen ihre eigenen.

Schlüsselergebnisse 

Teilnehmende wünschen sich  

  • regelmäßig Einblicke in die Online-Welten zu erhalten und ihre Kenntnisse darüber auszuweiten. 
  • mehr Einblicke in den Umgang mit bzw. die Methode des Monitorings. 
  • die Gründung einer „AG Frauen und Mädchen“, bei der regelmäßig Best Practices und Erfahrungen über Offline- und Online-Verhalten ausgetauscht werden können. 

Ausblick

Im Workshop wurde der große Bedarf und das Interesse an Wissen und Kenntnis über Entwicklungen und Themen in den Online-Welten deutlich. Diesem Bedarf könnte ggf. 2023 in Form eines weiteren Workshops begegnet werden. Zudem wurde es als Idee formuliert, eine „AG Frauen und Mädchen als extreme Akteurinnen“ zu gründen, um stetig in Austausch und Diskussion treten zu können. 

Literaturverweise 

Gielen, Amy-Jane. “Exit programmes for female jihadists: A proposal for conducting realistic evaluation of the Dutch approach”. International Sociology 2018, 33(4), pp. 454-472. https://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1177/0268580918775586 

Hass im Netz.info. „Dschihadisten werben um Mädchen und junge Frauen: Web-Propaganda für Terror und Gewalt auf weibliche Zielgruppe zugeschnitten“. Jugendschutz.net. Oktober 2017/3/3. https://www.hass-im-netz.info/fileadmin/public/main_domain/Dokumente/Islamismus/ TP_Dschihadisten_werben_um_junge_M%C3%A4dchen_und_Frauen.pdf  

Koller, Sofia; Schiele, Alexander. „Holding Women Accountable: Prosecuting Female Returnees in Germany“, CTC Sentinel, Volume 14 (10), https://ctc.westpoint.edu/holding-women-accountable-prosecuting-female-returnees-in-germany/. 

Koller, Sofia. „Women and Minors in Tertiary Prevention of Islamist Extremism“, DGAP Report, Issue Paper from InFoEx Workshop, April 21-22, 2021, https://dgap.org/en/research/publications/women-and-minors-tertiary-prevention-islamist-extremism#Arbeit%20mit%20Frauen 

Scheuble, Sophie; Oezmen, Fehime; et al. „Extremists’ Targeting of Young Women on Social Media and Lessons for P/CVE”. RAN Practitioners, European Commission. https://home-affairs.ec.europa.eu/system/files/2022-03/ad_hoc_young_women_social_media_Lessons-p-cve_022022_en.pdf 

West, Johanna. „Warum Gender? Geschlechterdimensionen in der Distanzierungs- und Deradikalisierungsarbeit“, KNIX Report 2021, pp. 74-82, https://kn-ix.de/wp-content/uploads/2022/02/2021-12-02-KNIX-Report-2021.pdf. 

 

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