#schongelaufen – Kunsttherapeutische Ansätze in der Distanzierungsarbeit

EINLEITUNG

Während es in der Primärprävention von Radikalisierung und Extremismus an kreativen Ansätzen nicht mangelt, ist die Distanzierungsarbeit stark dominiert von gesprächsbasierten Ansätzen. Kunstbasierte und bisweilen kunsttherapeutische Ansätze sind dabei eher eine Seltenheit, existieren aber vereinzelt. Dieser KN:IX Workshop bot entsprechend den Rahmen, kunstbasierte Ansätze der Distanzierungsarbeit kennenzulernen, zu sammeln, und sich über deren Wirkweise auszutauschen.

Ablauf der Veranstaltung

Die Veranstaltung wurde moderiert und organisiert von Alexandra Korn und Niklas Brinkmöller. Zunächst wurden im Rahmen einer Vorstellungsrunde Erfahrungswerte mit und Ansätze von kunstbasierter Distanzierungsarbeit gesammelt. Anschließend wurden zwei kunstbasierte Ansätze vorgestellt, woraufhin die Teilnehmenden die Gelegenheit hatten, Fragen zu stellen und mit den Präsentierenden sowie miteinander in den Austausch zu treten.

„Die Werft“ ist die Studiobühne der Justizvollzugsanstalt Wiesbaden. In Zusammenarbeit zwischen dem Förderverein JVA Holzstraße, der Justizvollzugsanstalt Wiesbaden und der Kultur- und Filmproduktion INVOLVE – Dechow Freie Partner wird seit 2008 anspruchsvolle Theaterarbeit mit jungen gefangenen Männern geleistet. Ziel ist es, dadurch ihre Resozialisierung verbessern und interkulturellen Dialog fördern – und hochwertiges Theater auf die Bühne zu bringen.

Intersubjektives Body Mapping ist eine explorative, kunstbasierte Methode zur Förderung des Dialogs und zur Bewältigung von Herausforderungen bei der Reintegration von Rückkehrer*innen und dem Dialog zwischen Rückkehrer*innen, Überlebenden von Terrorismus, Strafverfolgungsbehörden und Gemeindemitgliedern. Die Rückkehrer*innen wählen und verwenden Farben, Symbole und Bilder, um ihre inneren Erfahrungen im Rahmen der Wiedereingliederung und der Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus sowie ihre Erfahrungen in Bezug auf die Gesellschaft darzustellen, zu visualisieren und zu erforschen. Dieser Reflexionsprozess, bei dem Gründe und Bedeutungen für die Wahl bestimmter Farben und Symbole während der Erstellung der Body Maps artikuliert werden, widersetzt sich linearen Erzählungen und lädt dazu ein, Verbindungen zwischen vergangenen Erfahrungen herzustellen. Die Methode ermöglicht eine Kommunikation über die verkörperten Erfahrungen jenseits des verbalen Ausdrucks – in einer bisher unerforschten Weise – und bietet ein konfliktfreies Mittel für die Kommunikation zwischen allen an der Rehabilitation und Reintegration beteiligten Akteur*innen und Interessengruppen.

Diskussionspunkte

  • Teilnehmende berichteten von der Nutzung unterschiedlicher kunstbasierter Ansätze in ihrer eigenen Arbeit mit Jugendlichen, wie z.B. Graffiti- und Musikworkshops oder Comic-basierter Biografiearbeit.
  • Im Kontext des Theaterprojekts wurde auf die hierarchischen Strukturen und Grenzen im Gefängnisumfeld hingewiesen. Das Projekt hilft den Gefangenen, ihre Gefangenenpersona vorübergehend abzulegen.
  • Ein zentraler Punkt war die Bedeutung der offenen Kommunikation und Diskussion im Theaterprojekt. Es gab keinen Raum für Tabus, stattdessen wurde ermutigt, kontroverse Ansichten zu äußern und zu diskutieren.
  • Die Projektmitarbeitenden und die Gefängnisleitung sehen den Wert des Theaterprojekts darin, dass es den Inhaftierten dabei hilft, Akzeptanzerfahrungen zu machen und ihr Verhalten zu ändern. Außerdem beeinflussen sie auch die nicht in das Projekt involvierten Inhaftierten positiv, in dem sie ihnen von ihren Erfahrungen berichten.
  • Im Kontext beider Methoden wurde der Effekt der Endprodukte, also des fertigen Theaterstücks bzw. der fertigen Bodymaps, auf die Gemeinschaft erwähnt. Beide Projekte schaffen Berührungspunkte und erlauben Außenstehenden einen Einblick in die Erfahrungswelt der Projektteilnehmenden.
  • In Bezug auf das Bodymapping-Projekt wurde dabei explizit das Potenzial herausgestellt, auch mit den Strafverfolgungsbehörden in Kontakt zu kommen. Zu einer Ausstellung der Bodymaps waren auch Polizist*innen eingeladen und sahen sich dort in den Bildern mit Kritik konfrontiert, ohne dass sie jedoch darauf hätten reagieren oder sich rechtfertigen müssen. Dies wurde als eine sehr positive Erfahrung beschrieben.

Schlüsselergebnisse

  • Kunstbasierte Angebote können sehr niedrigschwellig sein und erfordern nicht zwangsläufig eine therapeutische Qualifikation.
  • Allerdings müssen Emotionen, die kunstbasierte Prozesse mitunter aufbringen, aufgefangen werden können.
  • Sie eröffnen Möglichkeiten des Ausdrucks über Sprache hinaus.
  • Die Arbeit im Strafvollzug erfordert immer Beziehungsarbeit und ein Vertrauensverhältnis zwischen externen Trägern und der Gefängnisverwaltung.

AUSBLICK

Für die weitere Arbeit von KN:IX könnte eine Materialsammlung von kunstbasierten bzw. kunsttherapeutischen Ansätzen erstellt werden, um diese Berater*innen als Ergänzung zu sprachbasierten Ansätzen zur Verfügung zu stellen.

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