#schongelaufen – Was passiert auf Social Media? Aktuelle Trends und Themen bei extremistischen Akteur*innen online

EINLEITUNG

Die Bedeutung von Social Media für Jugendliche ist hinreichend bekannt; extremistische Kräfte nutzen Social Media, um neue Follower*innen anzuwerben, teils mit eindeutig extremistischen Inhalten, teils jedoch auch mit Aussagen, die nicht auf extremistische Ausrichtungen schließen lassen. Die Beobachtung von Akteur*innen, Themen und Trends online zeigt, dass es immer schwerer fällt, die Inhalte eindeutig als salafistisch, islamistisch, oder extremistisch einzustufen. Hybride Inhalte nehmen deutlich zu, neue Verbindungen entstehen, neue Formate werden erschlossen. Zudem zeigt sich, dass Akteur*innen auf unterschiedlichen Medien teils sehr unterschiedliche Inhalte teile. Algorithmen und die Funktionsweise von Social-Media-Plattformen formen Aussagen und Auftritte von Akteur*innen und müssen so in jede Diskussion um Online-Dynamiken einfließen. Aus den enorm hohen Aufrufzahlen und der Zunahme antidemokratischer, antiliberaler und stark polarisierender Online- Inhalte ergibt sich ein dringender Handlungsbedarf.

Ziel dieses Workshops war es, in der Diskussion mit Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen, die sich in der Beratung oder ihrer Recherche mit Online-Inhalten bzw. deren Rezeption unter Jugendlichen auseinandersetzen, auf diese Dynamiken einzugehen. Zum einen wurden Beobachtungen im Plenum gesammelt, zum anderen teilte das KN:IX-Team Eindrücke aus dem Monitoring im Rahmen von KN:IX plus.

Ablauf der Veranstaltung

Die Veranstaltung wurde moderiert und organisiert von Niklas Brinkmöller und Margareta Wetchy. Nach einer Vorstellungsrunde wurden im Plenum aktuelle Beobachtungen gesammelt. Leitende Fragen waren dabei, welche Themen, Akteur*innen oder Innovationen aktuell auf Social Media besonders relevant scheinen. In einem kurzen Input von Margareta wurden fünf Aspekte aufgegriffen: zwei aktuell einflussreich erscheinende Akteur*innen, zwei kürzlich online debattierte Themen – die Türkei-Wahl und die Razzien bei sog. „IS“-Sympathisant*innen, und eine „Innovation“ auf Social Media – sogenannte KI-(Künstliche Intelligenz-)Prediger. Der Fokus der Diskussion lag drauf, gemeinsam mit den Teilnehmenden herauszuarbeiten, welche Relevanz die jeweiligen Inhalte für das Ökosystem als Ganzes haben könnten bzw. von welchen weiteren Entwicklungen ausgegangen werden kann.

Diskussionspunkte

  • TikTok als besonders reichweitenstarkes Medium, doch auch Instagram, Telegram, Facebook und Discord in ihren Effekten nicht zu unterschätzen.
  • Inhalte von Videos (z.B. Diskussion, ob Musik haram oder halal ist) scheinen sich seit Jahren zu wiederholen, nur Formate und Ansätze der Vermittlung dieser verändern sich.
  • Veränderungen in Sprache von Akteur*innen zu beobachten; Beobachtungen zufolge äußern sich einige Akteur*innen nach weniger „hart“ auf Social Media, andere verbreiten ihre Aussagen auch wieder deutlich offener und offensiver – wohl ohne große Furcht vor Eingreifen von Plattformen oder Sicherheitsbehörden. Es scheint hier Unterschiede in der Generation der Akteur*innen zu geben, die bereits um 2010 aktiv waren und denjenigen, die erst seit einigen Jahren aktiv sind.
  • Besonders einflussreiche Akteur*innen geben sich aktuell als äußerst nahbar, als „Bruder von nebenan“, der seine eigene Vergangenheit überwunden hat, seine Fehler zugibt, aber nun sein Publikum auf den rechten Weg führt.
  • Schlagwort der dog whistles – der Verwendung von Sprache, die je nach Publikum sehr unterschiedlich verstanden wird und die es möglich macht, subtile, codierte Botschaften zu streuen, die nur „Eingeweihte“ verstehen.
  • Trennung von Kultur und Islam, Religion und Religiosität als zentraler Aspekt, der von einschlägigen Akteur*innen online propagiert wird und von Workshop-Teilnehmenden als diskussionswürdig beschrieben wird.
  • Jugendliche scheinen äußerst hohes Bedürfnis zu haben, ohne Sorge vor Bewertung oder voreiligem „Abstempeln“ Fragen rund um den Islam zu stellen und in den Austausch zu gehen. Dies wird sowohl bei Offline-Veranstaltungen als auch im Online-Raum deutlich. Die Frage, wie auf diesen Bedarf angemessen reagiert werden kann, wurde in der Diskussion lediglich angeschnitten.

Schlüsselergebnisse

  • Die aktuellen Online-Inhalte können immer schwerer eindeutig Kategorien zugeordnet werden; Inhalte als „extremistisch“ einzustufen ist dabei häufig nicht möglich. Teils könnte es helfen, den Blick lediglich auf vorkommende Narrative wie Antifeminismus oder Antiliberalismus – wie sie auch rechtsextreme Akteur*innen aufgreifen – zu richten, und sich weniger auf die Einstufung von Akteur*innen oder deren Zugehörigkeit zu Netzwerken zu konzentrieren.
  • Der Bedarf nach Vernetzung unter Präventionsakteur*innen und dem weiteren Ausbau von Wissen über Sprache, Referenzen und Dynamiken des Ökosystems – auch um den besprochenen Entwicklungen entgegenzuwirken – wird als zentraler Wunsch der Teilnehmenden geäußert.

AUSBLICK

Für die weitere Beschäftigung mit Online-Inhalten wird es zentral sein, das Wissen über diese strukturell mit anderen Präventionsakteur*innen zu teilen, um die sich dynamisch entwickelnde Online-Sphäre im Blick zu halten und auch subtilere Inhalte und Referenzen einordnen und verstehen zu können. Dafür ist die weitere Vernetzung unerlässlich. Die Abkehr von dichotomen Definitionen, die eine kohärente, homogene Ideologie annehmen, ist sinnvoll, da sich die Inhalte durch die Integration verschiedener ideologischer Versatzstücke auszeichnen.

 

Literaturverweise

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